Florentine Matuschka wirkte nachdenklich. „Ehrlich gesagt, das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, war kurz bevor Herr Bykow zuletzt verreist ist.“
„Wann war das?“
„Vor anderthalb Wochen. Ich glaube, er sagte etwas von St. Peter Ording. Das liegt an der Nordsee, glaube ich. Da würde ich gerne sein. Herr Bykow ist dort öfter hingeflogen.“
„Meinen Sie wirklich St. Peter Ording“, sagte ich.
„Was weiß ich!“
„Könnte es sein, dass er nach St. Petersburg in Russland geflogen ist?“, mischte sich Rudi ein.
Florentine Matuschka wirkte etwas ratlos. „Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen“, gestand sie.
„Hat Bykow irgendwann mal geäußert, dass er sich bedroht fühlt?“, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wir haben kaum miteinander gesprochen. Herr Bykow war immer sehr höflich, aber er hat nie viel mit mir geredet.“
„Hatte er Angestellte in seiner Galerie?“, fragte ich.
„Ja, einen Mann namens Kai-Uwe Thränhart. Aber der war nicht fest angestellt. Herr Bykow hat ihn immer dann angeheuert, wenn es viel zu tun gab.“
Ich wandte mich an Dommacher. „Sagt Ihnen der Name Thränhart etwas, Meinhart?“
„Nein, aber es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwie aus der Szene kommen würde und wir bereits etwas über ihn im Archiv hätten. Ich werde das mal überprüfen.“
„Herr Thränhart wird heute sicher noch auftauchen“, glaubte Frau Matuschka. „Der schöne Kai-Uwe...“ Sie blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „In einer halben Stunde öffnet die Galerie. Eigentlich müsste er jetzt sogar schon hier sein – aber ich weiß natürlich nicht, was Herr Bykow für Abmachungen mit ihm getroffen hat.“ Sie seufzte hörbar und fuhr fort: „Glauben Sie, es besteht noch eine Chance, dass Herr Bykow nicht umgebracht, sondern vielleicht nur entführt wurde?“
„Beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen möchte ich da keine Spekulationen in die Welt setzen, Frau Matuschka“, antwortete ich ausweichend.
„Das verstehe ich“, murmelte sie tonlos.
Sie schluckte und schüttelte stumm den Kopf.
9
Später befragten Rudi und ich die Angestellten des Security Service, der für die Sicherheit im Haus verantwortlich war.
Pro Schicht waren drei Wachmänner im Einsatz. Sie überwachten von einem Kontrollraum aus die zu den Kameras gehörenden Monitore und gingen rund um die Uhr regelmäßig auf Patrouille.
„Für ein mit zehn Stockwerken ziemlich winziges Haus sind wir hervorragend besetzt“, meinte Claus-Hellmut Reekers, der gerade diensthabende Schichtführer, als wir ihn im Kontrollraum aufsuchten.
Seine beiden Kollegen wirkten etwas reserviert, aber Reekers war sehr auskunftsfreudig.
„Trotzdem ist bei Herr Bykow eingebrochen worden, und wir haben Grund zu der Annahme, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist“, gab ich zu bedenken.
Reekers runzelte die Stirn.
Er wechselte kurz einen Blick mit seinen Kollegen und erklärte dann: „Herr Bykow war immer ein problematischer Hausbewohner für uns.“
„Wie meinen Sie das?“
„Zunächst einmal, weil er viele Sonderregelungen für sich beansprucht hat, die es nicht gerade erleichtert haben, für seine Sicherheit zu sorgen.“
„Was waren das für Sonderregelungen?“
„Er beharrte darauf, dass gesamte Überwachungssystem für seinen Teil des Hauses autonom abschalten zu können – was er relativ häufig getan hat.“
„Hat er das begründet?“
„Ja, er meinte der Kunsthandel, den er betreiben würde, wäre ein sensibles Geschäft und er hätte manchmal sehr zahlungskräftige Kundschaft, die keinen Wert darauf legt, gefilmt zu werden. Dass wir Aufnahmen, die wir in den Fluren und im Eingangsbereich aufzeichnen, alle zwei Wochen vernichten, schien ihm nicht auszureichen.“ Reekers zuckte mit den breiten Schultern. Das schwarze Uniformhemd spannte sich um die kräftigen Bizeps, als er die Arme vor der Brust verschränkte. „Wann ist das Verbrechen geschehen?“
„Wahrscheinlich in dieser Nacht, aber genau lässt sich das wohl erst sagen, wenn die Erkennungsdienstler ihren Job gemacht haben“, erläuterte Rudi. „Hoffe ich jedenfalls.“
„Gestern am frühen Abend wurde die Überwachungsanlage für seinen Teil des Hauses abgeschaltet“, erklärte Reekers. „Wahrscheinlich hatte er wieder eine exklusive Vorführung irgendwelcher Kunstobjekte für genauso exklusive Kunden. Also keine öffentliche Veranstaltung oder so etwas. Sie müssten mal mit diesem Typ sprechen, den er angestellt hatte. Der kann Ihnen bestimmt mehr darüber sagen.“
„Kai-Uwe Thränhart?“, vergewisserte ich mich.
„Ja, das ist sein Name. Er hat einen Schlüssel zum Haus und zur Galerie. Außerdem einen Parkplatz in der Tiefgarage, genau wie Bykow selbst.“
„Wir brauchen die Adresse von diesem Thränhart.“
„Steht in seinen Unterlagen. Warten Sie, ich suche ihnen das heraus. Ich habe sogar Fingerabdrücke von ihm, sonst hätte er weder die Schlüssel noch den Parkplatz bekommen. Das ist eine Auflage der Eigentümergemeinschaft, der dieses Haus gehört. Schließlich soll hier nicht jeder nach Belieben ein- und ausgehen können!“
„Wunderbar!“, freute ich mich. „Dann händigen Sie uns doch bitte alle Unterlagen aus, die Sie über Thränhart haben!“
Reekers erhob sich von seinem Platz, ging an einen Aktenschrank und holte eine Mappe hervor.
„Das hier ist das Original. Aber wir haben das ganze auch als Datensatz. Wenn Sie mir Ihre Email-Adresse geben, kann ich Ihnen das gerne auf den Rechner schicken!“
„Gerne.“
„Ich muss vorher nur kurz mal mit meinem Chef telefonieren und fragen, ob das okay ist. Aber im Prinzip kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich querlegt, wenn es darum geht, dem BKA Hilfe zu leisten!“ Er verzog das Gesicht. „Schließlich kämpfen wir doch auf derselben Seite, wie ich meine!“
„Wir hätten dann trotzdem noch gerne Ihre Videoaufzeichnungen der letzten zwei Wochen“, mischte sich Rudi ein. „Es könnte ja sein, dass jemand, der als Täter in Frage kommt, Herrn Bykow bereits früher einmal besucht hat.“
Reekers nickte. „In Ordnung.“
Ich erkundigte mich anschließend nach der Tiefgarage. „Sie hat zwei Decks und ist eigentlich für das Haus etwas überdimensioniert. Aber es war wohl von Anfang an so konzipiert, dass Leute, die ein Heidengeld für eine Wohnung in diesem Haus bezahlen, sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob sie Platz für den Wagen finden – und zwar selbst dann, wenn mehrere oder sehr sperrige Autos vorhanden sind. Herr Bykow zum Beispiel besaß einen Lamborghini und einen etwas unscheinbaren Chevrolet...“
Ich schrieb mir Stellplatznummer und die Kennzeichen der beiden Fahrzeuge auf – so wie ich mir auch notierte, wo Thränhart seinen Wagen abzustellen pflegte.
„Ich nehme an, dass die Überwachung des Parkdecks lückenlos war“, vermutete ich. „Oder hatte Herr Bykow da auch Sonderregelungen?“
Reekers lächelte dünn.
„Ich glaube kaum, dass er so etwas gegen die anderen Eigentümer hätte durchsetzen können. Die haben ihn ohnehin alle für einen Spinner gehalten. Beliebt war er nun wirklich nicht. Schon deshalb, weil immer wieder Kleinlastwagen völlig verkehrswidrig vor seinem separaten Eingang zum Be- und