Nach dreizehn Jahren. Sofie Schankat. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofie Schankat
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783748201595
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      Leon wiegte den Kopf. »Sehr anspruchsvoll. Ich gehöre leider zu denen, die Deutsch gewählt haben, weil sie nichts so richtig können – und dann kommt da so ein Herr Reimann um die Ecke. Der wäre an der Uni besser aufgehoben, wenn du mich fragst. Der leidet unter uns dummen Schülern. Naja, wenigstens schaut er mit uns viele Filme. Der hat bisher zu jedem Buch, das wir gelesen haben, Hunderte von Verfilmungen und Theateraufführungen angeschleppt und mit uns zentrale Szenen geschaut, um zu analysieren, wie gelungen oder weniger gut gelungen die Regisseure die Werke interpretiert haben.«

      »Das hört sich nach einem spannenden Deutschunterricht an! So was mache ich in meiner Freizeit auch gerne.«

      Leon starrte ihn entgeistert an. »Wie bitte? Du vergleichst in deiner Freizeit zentrale Szenen aus Filmen und den dazugehörigen Büchern?«

      »Ja klar! Ich könnte mich damit stundenlang beschäftigen!«

      Leon grinste breit. »Okay, ich erkläre dich jetzt schon zu Herrn Reimanns Lieblingsschüler!«

      »Wie ist der Kurs denn so?«, wollte Yannick wissen und musste ebenfalls grinsen.

      »Ach, es gibt schon auch einige gute Schüler.«

      »Dann ist ja gut! Auf meiner alten Schule war ich in einem unterirdischen LK.«

      »Wo habt ihr eigentlich vor eurem Umzug gelebt?«, wollte Leon wissen.

      »In Biesfeld. Da war Papa ja Trainer.«

      »Oh, im kleinen Biesfeld. Und, wie ist die Umstellung auf eine Großstadt?«

      »Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir in einer Großstadt leben. Wir sind schon so oft umgezogen …« Yannick wurde ernster und musste seufzen. Das Thema Deutschunterricht hatte ihm deutlich besser gefallen. »Einer der Nachteile, wenn man einen Vater hat wie ich.«

      Leon starrte auf seine angewinkelten Knie. »So habe ich darüber noch nie nachgedacht. Ich habe dich eigentlich ein bisschen um ihn beneidet«, gab er leise zu und warf ihm einen kurzen Blick zu. » Mein Vater interessiert sich nicht für Eishockey. Der fragt mich nie, wie das Training war, wie es momentan läuft.« Ein dunkler Schatten huschte über Leons Gesicht. »Ich habe mir schon oft gewünscht, er wäre einer dieser völlig begeisterten Väter, die früher immer über der Bande gehangen und sich im Verein engagiert haben und mit ihren Kindern mitgehen bis zum Geht-nicht-mehr. Deiner tut das doch bestimmt.«

      »Es kann aber auch ziemlich nervig sein, einen Vater zu haben, für den es praktisch nichts anderes gibt. Der immer alles ganz genau wissen will und dir ständig Tipps gibt und sauer ist, wenn es nicht so gut läuft, der sich einbildet, man könnte wie ein Lukas Reichel spielen, wenn man sich mehr anstrengen würde …«

      »Wahrscheinlich weiß er aus Erfahrung, dass man selbst diesen Ehrgeiz aufbringen muss, um es zu schaffen.«

      »Ja, geschafft hat er es … aber was hat er denn letztendlich davon? Er ist nicht berühmt, nicht einmal in Deutschland. Hat wenig Geld verdient, ist von Club zu Club geschickt worden, musste sich abrackern … Fünf Jahre hatte er in seiner ganzen Karriere richtig Erfolg. Hat bei den Geparden in der ersten Reihe gespielt und ist sogar dreimal Meister geworden – aber über diese Zeit schweigt er sich tot. Er tut regelrecht so, als hätte es diese fünf Jahre Erfolg nicht gegeben. Und jetzt, wo er hier seine Chance als Trainer in der ersten Liga bekommt, da freut er sich nicht mal ein bisschen darüber, nein, seine Laune wird seit dem Zeitpunkt, wo er den Vertrag unterschrieben hat, nur schlechter und schlechter und schlechter. Ehrlich, wenn ich sein griesgrämiges Gesicht sehe, dann will ich meine Schlittschuhe am liebsten gleich an den Nagel hängen, wenn man als Profi so depressiv und bitter wird …« Yannick holte Luft und musste feststellen, dass es ihm besserging.

      »Dein Vater hat bei den Geparden gespielt?«, horchte Leon auf.

      Yannick gelang sogar ein klitzekleines Lächeln. »Ja. Amy und ich, wir sind sogar in Heschbach geboren worden.«

      »Ach so. Dann bin ich da ja auch gerade erst geboren worden. Deshalb erinnere ich mich gar nicht daran. Ich bin immerhin schon Fan, seit ich denken kann!«

      Yannick sah ihn einen Moment an. »Und du hast trotzdem nie etwas von Markus Sladowski gehört in all den Jahren? Er wurde nie erwähnt?«

      Leon kratzte sich an der Nase. »Hmm, nein … ich kann mich zumindest nicht erinnern. Vielleicht ist es mir einfach entgangen, weil ich mit dem Namen ja nichts anfangen konnte …«

      Yannick schüttelte den Kopf, insgeheim auch, um dieses komische Gefühl, das ihn plötzlich überkommen hatte, zu verscheuchen. Eine Legende war Markus schließlich trotz drei Meistertiteln nicht geworden und selbst seine eigenen Kinder hatten doch nie etwas über seine Zeit in Heschbach gehört. »Jedenfalls ist mein Vater im Grunde immer im Stress und meistens schlecht gelaunt und hat so wenig Zeit für seine Familie und alles andere, was nichts mit dem Sport zu tun hat. Meinst du denn, das hat sich am Ende gelohnt?«, fragte er, um das Gespräch wieder in eine andere Richtung zu lenken.

      Leon sah so aus, als hätte er viel lieber noch weiter darüber gerätselt, warum er in all den Jahren nie von Markus Sladowski gehört hatte, doch dann ging er auf Yannicks Themawechsel ein. »Wenn es das ist, was er immer wollte?«

      Yannick konnte das nicht recht glauben. Dass Markus wirklich glücklich damit war, dass er der Auffassung war, es hätte sich gelohnt. Wäre er denn sonst immer so schlecht gelaunt und verbittert?

      »Ich meine … dabei zu sein, mit Profis, als Teil von ihnen, Geld – wenn auch nicht viel – damit zu verdienen, für Zuschauer zu spielen, im Fernsehen übertragen zu werden … das alles hat doch was!«, fuhr Leon fort.

      Yannick warf ihm einen Blick zu. »Willst du Profi werden?«

      Leon schüttelte sofort den Kopf. »Nein. Ich mag den Sport wirklich, aber ich habe nicht vor, ihn zu meinem Beruf zu machen. Dafür bin ich auch nicht gut genug. Ich will Feuerwehrmann werden.«

      »Echt?«

      »Ja. Meine Mutter ist auch Feuerwehrfrau. Wenn ich Ferien habe, fahre ich manchmal mit ihr zur Wache.« Er lächelte plötzlich gedankenversunken. »Ich wollte schon immer Feuerwehrmann werden. Mich hat das schon als kleines Kind fasziniert. Die Einsätze, wenn alles ganz schnell gehen muss, mit den fetten Löschzügen und den Helmen und den Schläuchen …« Er kicherte kurz auf bei der Erinnerung. »Inzwischen möchte ich es machen, weil ich Menschen retten will und weil der Beruf nicht langweilig ist. Ich will nie im Büro arbeiten. Mein Vater ist bei einer Versicherung und hockt den ganzen Tag hinter seinem Schreibtisch. Ehrlich, da würde ich wahnsinnig werden!«

      Yannick spürte, dass er plötzlich ein Nagen in der Brust hatte. Wie glücklich Leon doch sein konnte! Er hatte ganz normale Eltern mit gewöhnlichen Berufen, die sogar noch zusammenlebten, er war von einem normalen Leben umgeben und auch sein zukünftiges Leben würde normal sein. Etwas anderes kam für ihn gar nicht in Frage, etwas anderes kannte er gar nicht. Er musste doch wirklich sorgenlos und entspannt aufgewachsen sein.

      »Was macht denn deine Mutter?«, wollte Leon wissen.

      Yannick setzte sich im Bett auf. Krankenschwester, Bürokauffrau, Erzieherin, hätte er am liebsten gesagt. Irgendein ganz normaler Beruf, eine ganz normale Mutter. »Sie ist Schriftstellerin«, hörte er sich zäh antworten.

      Leon riss die grünen Augen auf, wie Yannick es befürchtet hatte. »Schriftstellerin? So richtig mit einem Verlag und so?«

      »Ja, natürlich. Sonst könnte sie ja davon nicht leben.«

      »Profisportler als Vater, Schriftstellerin als Mutter … krass!« In Leons Blick lag doch wahrhaftig Neid.

       Das ist kein Grund, neidisch zu sein. Wenn du wüsstest, wie das ist… Eltern, die nie ganz für dich da sind, die dich oft alleine lassen und launisch und gestresst sind …

      »Wie heißt denn deine Mutter? Kennt man die?«

      »Veronica Treu. Aber du gehörst wahrscheinlich eher nicht in ihre Zielgruppe.«

      »Hmm