Nach dreizehn Jahren. Sofie Schankat. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofie Schankat
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783748201595
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zupfte sich seine Kopfhörer aus den Ohren und sah ihnen verärgert zu. Er hasste Auswärtsspiele.

      »Was ist mit dir?« Leon, der auch auf Yannicks Zimmer war, erschien in der Tür und streckte sich im Rahmen. »Gehst du mit?«

      »Nein. Ich bin nicht so der Typ fürs Feiern und Saufen und Spaß haben«, knurrte Yannick.

      Leon warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Fürs Feiern und Saufen vielleicht nicht, aber das mit dem Spaß haben doch wohl!«

      Nun war es Yannick, der skeptisch schaute. »Ach ja?« Er hatte die Erfahrung gemacht, von Jugendlichen gleich als Spaßbremse oder gar Langweiler abgestempelt zu werden, wenn man sich für Alkohol und laute Musik nicht begeistern konnte.

      »Also, ich mag dich«, erklärte Leon, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, und löste sich vom Türrahmen.

      Du kennst mich ja nicht einmal richtig, dachte Yannick.

      Leon ließ sich auf sein Bett sinken. »Ich bleibe auch hier.«

      »Du kannst ruhig gehen, Leon! Du musst nicht wegen mir hierbleiben!«

      »Ich habe ja selbst keine Lust.« So hätte Yannick ihn nach dem ersten Eindruck nicht unbedingt eingeschätzt. Leon hatte auf ihn eher wie jemand gewirkt, der sich keine Gelegenheit entgehen ließ und nichts langweiliger fand als Ruhe.

      Doch als die Schritte, das Lachen und Reden und Türenknallen auf dem Flur schließlich verebbt war, ließ Leon sich mit einem zufriedenen Seufzer nach hinten in sein Kissen sinken. »Stille! Endlich!«

      Yannick betrachtete ihn einen Moment. »Ich hätte eher gedacht, dass du nur glücklich bist, wenn um dich herum was los ist«, gab er dann zu.

      Leon drehte sich auf die Seite und schob eine Hand unter seinen Kopf, um Yannick ansehen zu können. »Ich bin gerne mit Kumpels zusammen und gehe auch gerne feiern, aber ich weiß auch Ruhe zu schätzen.« Er lachte. »Ich war sogar total schüchtern als Kind. Bis zur siebten Klasse oder so habe ich mich nie gemeldet, weil ich Angst hatte, etwas Falsches zu sagen.«

      »Mir war die Meinung der anderen schon immer mehr oder weniger egal.«

      »Dabei bist du ja eher der stille, zurückhaltende Typ, oder?«

      »Ich bin eben introvertiert. Das verwechseln viele mit Schüchternheit. Dabei hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun.«

      »Als schüchtern hätte ich dich auch nicht bezeichnet. Eher als ein bisschen … abweisend.«

      Yannick musste lächeln und Leon tat es ihm nach. »Liegt wohl daran, dass ich einzelgängerisch bin.«

      Leon richtete sich etwas auf. »Also, wenn ich dich nerve …«

      »Nein, ist schon okay.« Yannick hatte sich ebenfalls in sein Kissen gekuschelt und spielte gedankenverloren mit seinem In Ear-Kopfhörer herum, als eine Nachricht von Amy auf seinem Handy einging. »Ich freue mich so für euch!«, hatte sie ihm auf Yannicks knapp zusammengefassten Spielbericht geantwortet.

      Yannick konnte nicht anders, als zu lächeln. Sein kleines Hasenherz, sein größter Fan. Egal, wie gut er bei dem war, was er tat, und egal, was er tat, Amy stand doch einfach immer hinter ihm und stärkte ihn mit ihrer Zuneigung und unerschütterlichen Liebe.

      »Hast du denn auch einen schönen Abend?«, schrieb Yannick zurück.

      »Ich überprüfe, ob meine Barbies den Umzug gut überstanden haben.«

      Yannick musste schon wieder lächeln. Ihre Schleich-Tiere und Barbies hatte sie immer noch. Sie spielte nicht mehr mit ihnen, sah sie sich aber manchmal an und schwelgte dann in Erinnerungen daran, wie sie mit ihnen gespielt hatte. Amy war einfach etwas ganz Besonderes. Yannick konnte sich daran erinnern, dass er mit dreizehn, vierzehn, fünfzehn dieses Verhalten als süß belächelt hatte. Seit einiger Zeit dachte er anders darüber. Jetzt machte so etwas sie für ihn liebenswert. Er sehnte sich plötzlich sehr nach ihr. Sie war anders als andere Mädchen. Nicht nur wegen ihrer Probleme und Alpträume, obwohl sie vielleicht zum Teil auch deshalb so geworden war. So still und sanft und verträumt und feinfühlig. So liebevoll. Sie hatte früher sogar einmal einen kleinen Vogel, der scheinbar verletzt auf der Straße hockte, in ihre Hände genommen und darauf bestanden, ihn zum Tierarzt zu bringen, und wenn Veronica Spinnen und Schnaken erschlug, die sich in die Wohnung verirrt hatten, hatte sie stets geweint. Yannick musste warm lächeln bei dieser Erinnerung. Bei Amy fühlte er sich so lebendig und frei, wie er das bei einem anderen Menschen doch nie könnte. Sie war einfach wunderbar. Es gab kein Adjektiv, das sie besser beschreiben konnte. Sie ist eine Prinzessin. Bloß einen Prinzen braucht sie noch.

      »Aber ich werde langsam ziemlich müde«, schrieb sie. »Ich werde wohl gleich ins Bett gehen müssen …« Dazu ein herzzerreißender Smiley.

      Yannick streckte sich in seinem Bett aus und tippte ein: »Stell dir vor, dass ich bei dir bin, dich ganz fest im Arm halte, dass du dich an mich kuscheln kannst und mein Herz hörst.« Er suchte nach einem passenden Emoji, wählte denjenigen aus, der einen Herzchen-Kuss zuwarf, hielt inne, fand das plötzlich irgendwie komisch und wählte stattdessen das freundlich und etwas schüchtern lächelnde Emoji mit den zur Umarmung ausgestreckten Händen. Ja, das passte gut. Yannick schickte die Nachricht ab und hatte urplötzlich ein … ein Kribbeln im Magen. Ganz sacht und zart, ganz tief irgendwo in sich drin, aber dennoch spürte er es ganz deutlich. Er hielt inne, um dem genauer auf den Grund zu gehen, doch da schrieb Amy zurück mit dem Emoji mit den riesigen, schimmernden Augen, die ihre eigenen hätten sein können: »Wenn du doch nur wirklich bei mir wärst! «

      »Das wünschte ich auch«, schrieb Yannick zurück und meinte es ernst. Er verspürte den Drang, sie jetzt im Arm zu halten. Wie er es gewohnt war. Er war auch in gewisser Weise darauf angewiesen. Oft genug schreckte er in Nächten, in denen sie getrennt schliefen, mitten in der Nacht aus dem Schlaf, tastete über die Matratze, suchte nach Amy – bis er dann so wach war, dass ihm einfiel, dass sie ja gar nicht da war. Er kam nicht halb um vor Angst, wenn sie mal nicht da war, aber er vermisste es trotzdem. Er vermisste sie. Es war, als wäre er nicht ganz vollständig ohne sie im Arm, als wäre sie in seinem Arm ein fester Bestandteil von ihm.

      Was zum Kuckuck war das für ein Kribbeln? Was zum Kuckuck war das plötzlich für ein aufregendes, verlegenes Gefühl, mit ihr zu schreiben, ihr Emojis zu schicken? Yannick hatte ihr doch immer alle möglichen Emojis geschickt, ohne groß darüber nachzudenken, und plötzlich traute er sich nicht, seiner kleinen Schwerster ein Küsschen zu schicken? Sie hatten sich doch auch oft mit genau solchen Nachrichten einfach nur geneckt! Mit Amy konnte er doch jeden Scheiß machen, albern und dumm sein!

      »Schreibst du mit deiner Freundin?«, drang plötzlich Leons Stimme zu ihm durch. Yannick zuckte leicht zusammen und drehte sich um. Er hatte beinahe vergessen, dass Leon mit im Zimmer war, und stellte verlegen fest, dass er mit dem Gesicht zu Yannick gewandt im Bett lag und ihn unverblümt beobachtete.

      »Mit meiner Schwester«, stellte er schnell richtig. »Ich habe keine Freundin.«

      Leon lachte. »Ach so! Sorry. Ich dachte nur …«

      »Was?«

      Leon musterte Yannick einen weiteren Moment mit einem undefinierbaren Blick, dann fragte er, ohne auf Yannicks Frage einzugehen: »Wie alt ist Amy eigentlich?«

      »Sechzehn. Und deine Schwester?«

      »Fünfzehn. Sie kommt in die zehnte nach den Ferien.«

      »Amy auch! Auf welche Schule geht ihr eigentlich?«, wollte Yannick langsam wissen.

      »Aufs Heine-Gymnasium.« Leon begann zu grinsen. »Sag bloß, da kommt ihr auch hin! Wie cool ist das denn? Nachbarn, Mannschaftskollegen und Schulkameraden! Kommst du auch in die zwölfte?«

      »Ja.«

      »Was für LKs hast du?«

      »Deutsch und Geschichte.«

      »Dann sind wir ja im selben Deutsch-LK! Ich habe nämlich als zweiten LK Sport, und das ist genau