Rom kämpft um den Rhein. Walter Krüger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walter Krüger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Rom kämpft um den Rhein
Жанр произведения: Зарубежная публицистика
Год издания: 0
isbn: 9783347013063
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römischen Untertanen ein Unrecht zuzufügen.

      Von einem freien Abzug der Bewohner, die aus der Umgebung stammten, und von der der Krieger, war nicht die Rede. Die Gesandten ahnten, dass ihnen und der Stadt ein schlimmes Schicksal bevorstünde. Dennoch warfen die Männer Waffen über die Mauer in den Graben am Tor, der sich füllte „bis zur Höhe von Mauer und Damm“. Danach öffneten die Räte die beiden Stadttore und ließen die Römer ein. Deren Augen richteten sich zuallererst auf die mögliche Beute, die hier zu holen war. Das blieb den Menschen nicht verborgen. Ihre Sorgen wuchsen. Auch deshalb, weil niemand die Stadt verlassen durfte. Am Abend wurden die Legionäre aus der Stadt gerufen und die Tore wurden geschlossen, angeblich, um die Bewohner vor Übergriffen zu schützen. Tatsächlich wollte Caesar die Flucht von Menschen verhindern. Was hatten wohl die Legionäre den ganzen Tag über in der Stadt gemacht? Waren sie spazieren gegangen? Hatten sie mit deren Bewohnern geplaudert? Ich denke, sie orientierten sich über die Lage und den Umfang der zu erwartenden Beute.

      Die kommende Nacht konnte kein Bewohner, kein Flüchtling, kein Krieger schlafen. Alle ahnten, dass der römische Feldherr etwas im Schilde führte, was nicht gut für sie sein würde. Die Stadttore geschlossen zu halten, obwohl sie sich unterworfen hatten, kam ihnen vor, als wären sie wie Gefangene eingesperrt worden. Am quälendsten entwickelte sich der Gedanke, tatsächlich in Gefangenschaft geraten zu können. Caesar hatte im Gespräch mit den Gesandten zu verstehen gegeben, dass er die Atuatuker als Nachfolger der Teutonen immer noch als Feinde Roms betrachte. Das bedeutete, dass alles, was die Atuatuker besaßen, rechtmäßig Rom gehörte. Verzweiflung breitete sich aus. Die Krieger rebellierten. Bewohner wollten schnellstens die Stadt verlassen. All diese Ängste mündeten in dem Entschluss, doch einen Ausbruch zu versuchen. Nur wenige Waffen lagerten noch in der Stadt. Man behalf sich und baute neue zusammen aus allen möglichen Materialien. Als der Morgen graute, wurde das Tor geöffnet und eine Schar Bewaffneter drang nach draußen. Wie überrascht waren die Männer, als sie sich nicht etwa einigen müden Wachposten gegenüber sahen, sondern aufspringenden Legionären, die bereits durch Feuerstöße alarmiert worden waren. Die Römer hatten schon mit diesem Ausbruchsversuch aufgrund der sehr harten, von Caesar diktierten Bedingungen gerechnet. Gerät ein Mensch in eine ausweglose Situation, macht sich Verzweiflung breit und führt zu unüberlegten spontanen Handlungen. So hatte der römische Feldherr es vorausgesehen und nun seinen Grund gefunden, die Stadt und ihre Menschen trotz ihrer gestrigen Unterwerfung mit Feuer und Schwert zu überziehen.

      Damit bestätigte sich der Verdacht der Belagerten, sie seien absichtlich eingesperrt worden. Es half alles nichts, jeder atuatukische Mann kämpfte in diesem Augenblick verzweifelt um sein und seiner Angehörigen Leben. Vor allem die Krieger wollten die Umfassungsmauer der Römer überwinden, doch sie wurden von einer Unzahl von Wurfspeeren, Pfeilen und Schleudersteinen empfangen. Alles drängte sich zwischen dem Tor und der Belagerungsmauer, in diesem kleinen Raum zusammen. Niemanden gelang es durchzubrechen. Als bereits 400 Männer (ein Zehntel nach Caesars Angaben) dahingestreckt auf dem Boden lagen, musste der Rest in die Stadt zurück flüchten. Die Wachen schlossen schnell die Tore. Im Inneren verbreitete sich Panik. Manche Bewohner sprangen von den Mauern in die Tiefe, andere konnten sich abseilen, davon nur wenige entweichen, da römische Wachen von der Belagerungsmauer aus Jagd auf sie machten.

      Als der Tag dann voranschritt, ließ Caesar, zufrieden mit dem bisherigen Verlauf, den Rammbock sprechen und die Tore aufsprengen. Die wenigen Krieger hatten nur geringe Kraft, sich zu verteidigen. Das von Caesar erdachte Schicksal nahm seinen Lauf. Seine Legionäre durften erneut in die Stadt eindringen und ungehindert Beute machen. Dann trieb man die Bewohner, Flüchtlinge und Krieger zusammen und vor die Stadttore. Dort wurden sie auf die Legionäre aufgeteilt und anschließend von den bereits wartenden Aufkäufern abgenommen. 53.000 gefangene Menschen nennt uns Caesar. So viele konnten damals in keiner eisenzeitlichen Siedlung untergebracht werden. Ich wähle wieder das Zehntel. 5.300 Personen sind für eine eisenzeitliche Siedlung in diesen linksrheinischen Gebieten schon eine bemerkenswert hohe Kopfzahl. Dies wird der Wahrheit vielleicht nahe kommen, obwohl die Siedlung mit so vielen Personen völlig überfüllt gewesen sein müsste. Nach diesem „Sieg“ über die Atuatuker sonnte sich Caesar nachträglich im Glanze seines Onkels Marius. Er hatte die Teutonen an ihrer Quelle vernichtet. Nun traten auch sie den Weg ihrer Vorfahren in die sizilianischen Güter der Senatoren an, wieder als Sklaven. Soweit der persönliche Kommentar zu diesem Ereignis, dem Auftakt zu den Germanenkriegen.

      Aus militärischer Sicht war diese Belagerung ein völlig unnützer und unbedeutender Schritt. Sie diente lediglich der Befriedigung der beutehungrigen Offiziere und Soldaten. Unter den Römern dürfte es wenig Verluste gegeben haben. Die Unterwerfung dieser einen Stadt und ihres engeren Umlandes hatte mehr symbolischen Charakter. Der größte Teil des atuatukischen Stammesgebiets war noch frei, nur das Gebiet, durch das Caesar zog, war auf der Breite einer Reiterstunde beidseitig der Marschroute verwüstet worden.

      Caesar betrachtete die Eroberung der atuatukischen Stadt als einen gewaltigen Sieg, der sich angeblich bis über den Rhein herumsprach und die dort lebenden Germanen veranlasste, sich bereits aus der Ferne ihm zu unterwerfen. Doch nahm er sie aus „Zeitgründen“ noch nicht an. Er verschob sie auf das nächste Jahr (liber II, 35). Wie es möglich war, dass sich die Einnahme von Binche über den ganzen Raum des Niederrheins in wenigen Stunden ausbreitete und die dortigen Stammesführer veranlasst haben sollte, über Hunderte Kilometer Entfernung sofort Gesandtschaften zu Caesar zu schicken, um sich, ohne das Schwert zu heben, zu unterwerfen, lässt sich nur durch einen glücklichen Traum des Eroberers erklären. Er muss so viel Gold und Silber, so viele Sklaven erbeutet haben, dazu ohne nennenswerte Opfer, dass seine Einbildung zu Höhenflügen aufgestiegen war.

      In der Realität unterschied sich der Angriff auf Binche von allen bisherigen deutlich. Wir kennen die Eroberung wichtiger Städten der Suesionen, Bellovaker, Ambianer, Atrebaten, Viromanduer und Nervier. Keine Siedlung und kein Oppidum wurden bisher geplündert, gebrandschatzt und ihre Bewohner versklavt, wie er das bei dem kleinen Stamm der Atuatuker getan hatte. Vollzog sich in Caesar eine Wandlung? Nein. Es war das Ziel, das er sich gesetzt hatte und dessen Erfüllung ihm große Probleme bereitete. Sein Vorstoß auf den Rhein, das wusste er, mobilisierte eine unendliche Anzahl germanischer Stämme auf beiden Seiten des Flusses.

      Ein germanisches Reich mit straffer Führung hätte ihn vielleicht abhalten können. Doch da er wusste, dass die Stämme größeren Wert auf ihre Unabhängigkeit legten als auf ein Leben innerhalb eines Bündnisses, würde er versuchen, einige davon auf seine Seite zu ziehen und andere, die sich wehrten, mit besonderer Härte und Grausamkeit bestrafen. Es sollte sich herumsprechen, dass er gegen germanische Stämme besonders rücksichtslos vorging. Wenn er den Rhein erreichen und als Reichsgrenze auszubauen gedachte, konnte er nicht in traditioneller Art und Weise Gegner besiegen und unterwerfen. Er musste weiter gehen: Verwüsten, Töten, Mensch und Tier, Ausrotten mit Stumpf und Stiel. Dies waren seine Gedanken. Unter den keltischen Stämmen hatte er bereits das Saatkorn des „Germanenhasses“ gelegt. Auch diesen unseligen Begriff hat er erfunden. Caesar zog mit seinen Legionen aus der geplünderten und sicherlich gebrandschatzten Stadt der Atuatuker zurück zu den Legionen, die nach der Schlacht an der Selle noch bei den Nerviern lagerten, und führte sie von dort aus in die Winterlager nach Süden über die Seine in keltische Gebiete. Er selbst verließ den Kriegsschauplatz und verbrachte den Winter in Italien und Illyricum. Damit endete das Jahr 57 v.Chr. für den germanischen Stamm der Atuatuker mit einer empfindlichen Niederlage in seinem zentralen Gau, dem ein bedeutender und weithin bekannter Ort am Fernweg zum Rhein zum Opfer fiel. Noch wissen wir nicht, welchen Rang die Personen einnahmen, die sich Caesar vor der Stadt unterworfen haben. Er lernte sie alle kennen, als Gefangene. Übermittelte aber keinen Namen, obwohl die Stadt nach seinen ausschweifenden Beschreibungen möglicherweise sogar das Stammeszentrum hätte sein müssen. Persönlichkeiten der Atuatuker, der Nachfahren der besiegten Teutonen, durften keinen Platz in den Geschichtsbüchern finden. Darüber befand allein Caesar, denn die Germanen konnten nicht schreiben.

      Als die Römer ihre Herrschaft festigten, etwa 27 v.Chr. unter Augustus, bauten sie den Fernweg, der südlich an dem zerstörten Ort (Binche) vorbei führte zu einer schnurgeraden Reichsstraße aus, die dann Waudrez streifte. In diesem Ort hatten sich vielleicht nach dem Abzug der Römer zurückgekehrte Atuatuker neben ihrer zerstörten Stadt niedergelassen.