Rom kämpft um den Rhein. Walter Krüger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walter Krüger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Rom kämpft um den Rhein
Жанр произведения: Зарубежная публицистика
Год издания: 0
isbn: 9783347013063
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Ciney nachverfolgen. Wenn es einen solchen Weg bereits in vorrömischer Zeit gegeben hat, dann durchschnitt er das atuatukische Stammesgebiet im Süden und grenzte die Wohngebiete zu den Remern ab. Die östliche Grenze könnte dann die Wasserscheide zur Maas gewesen sein.

      Um die Fläche des Stammesgebiets zu ermitteln, kann der Ausgangspunkt nur das Einzugsgebiet der Sambre sein. Von der Quelle bis zur Mündung in die Maas beträgt die Länge des Flusses 193km. Er überwindet ein Gefälle von 199m. Das Bassin misst 2.740 km2. Durch die Teilung mit den Nerviern können von dieser Fläche etwa 2/3 für die Atuatuker angerechnet werden, d.h. etwa 1800km2. Das Gebiet im Norden, Teil des Scheldebassins, kann nur geschätzt werden. Die Dijle, in der Mitte des Gebiets, ist 86km lang. Etwa bis zur Hälfte floss sie durch atuatukisches Gebiet. Für die Breite des Lebensraums nehme ich 45km an. Das ergibt grob eine Fläche von 4.500km2; insgesamt könnte das Stammesgebiet eine Fläche von etwa 6.300km2 umfasst haben.

      Die Einwohnerdichte muss in Beziehung gesetzt werden zur Geografie. Im Einzugsgebiet der Sambre bestimmten Hügel und tiefe Täler das Profil. Im Norden davon dehnten sich riesige Wälder auf lehmigen Böden aus. Ohne dies eindeutig begründen zu können, sondern als Querschnittswert aus vielen Texten zur Bevölkerungsdichte der vorrömischen Eisenzeit in Mitteleuropa gehe ich von einer Wirtschaftseinheit in den Abmessungen 3x3km aus, in der sich durchschnittlich 7 Gehöfte befanden. Mit einer Personenzahl von 7 bis 9 ergäben das 49 bis 63 Menschen auf 9km2 oder etwa 4,5 bis 7 Personen pro km2. Der Stamm könnte deshalb eine Größe von 28.000 bis 44.000 Mitgliedern erreicht haben. Nach den gültigen Erfahrungswerten hieße das: etwa 5.600 bis 9.000 Krieger stünden zur Verfügung. Die von den Remern angeblich an Caesar übermittelte Zahl, die 19.000 Krieger für das belgische Bündnis umfasst haben soll, setzte eine Bevölkerung von mindestens 95.000 Menschen voraus, wahrscheinlich noch mehr, denn das Hilfskontingent eines Stammes dürfte wohl nicht alle Waffenfähigen umfasst haben, sondern nur einen kleineren Teil. Diese Bevölkerungszahl von 95.000 übersteigt die Möglichkeiten, die der Lebensraum bietet. Sicher sind die Zahlen anfechtbar, doch findet eine Aussage sehr wahrscheinlich Zustimmung: Die Atuatuker waren nicht in der Lage, den Römern ein Heer entgegenzustellen, dass auch nur geringste Chancen auf einen Sieg gehabt hätte. Caesars Angaben sind völlig übertrieben.

      Von den Siedlungen der Atuatuker kennen wir keine mit gesicherter Lage, auch keine mit richtigem Namen. Aus den geografischen Gegebenheiten lassen sich einige mögliche Standorte annehmen, so bei Maubeuge, Thuin, Montigny-le-Tilleul und Namur. Sollten sich an diesen Orten befestigte Siedlungen befunden haben, dann hätten sie sich aufgereiht entlang der Sambre und nicht entlang des Fernwegs. Das erscheint logisch, denn am Fluss war die Verteidigungsfähigkeit größer als in der Ebene. Angesichts der Widerstände, die die Nachfolger des teutonischen Hauptquartiers zu bewältigen hatten bis zu ihrer endgültigen Ansiedlung und Ausbreitung, war der hohe Aufwand zur Befestigung von Orten im Vergleich zur germanischen Umgebung gerechtfertigt. Dennoch muss man auch von festen Siedlungen im flachen Hügelland oder in der Ebene ausgehen.

       Der Angriff auf die Atuatuker 57 v.Chr.

      Caesars Anlass für einen Feldzug

      Ausgangspunkt für den Vorstoß Caesars nach Osten in Richtung des Rheins war die Schlacht an der Selle im Juli 57 v.Chr. Sie stellte den vorläufigen Endpunkt seines Eroberungszuges gegen die belgischen Stämme dar. Er siegte an den Ufern der Selle, die von den Römern Sabis genannt wurde, über das Heer der Nervier, die sich mit den Atrebaten und Viromanduern unter dem Feldherrn Boduognatus zum Kampf gestellt hatten. Dieser Kampf wurde im Teil II dieses Buches ausführlich beschrieben.

      Die Nervier und ihre Verbündeten hatten Caesar keinen Anlass gegeben für einen Angriff auf ihr Stammesgebiet. Doch als er im Land der Ambianer stand, die sich ihm

      „…mit all ihrem Besitz ohne weiteres ergaben… “ (liber II, 15, 3), erwartete er ein ebensolches Angebot von deren Nachbarn, den Nerviern. Doch die sahen keine Veranlassung, das zu tun. Allein diese Einstellung genügte Caesar als Kriegserklärung. Gerüstet hatten sich die nordbelgischen Stämme bereits, als die südlichen unter Galba ein Heer gegen den anrückenden Caesar aufstellten. Es war also bekannt, was den Römer in den Nordwesten getrieben hatte: reine Eroberungssucht.

      Die Nervier hatten nach Caesars Aussage ihren östlichen Nachbarstamm, die Atuatuker, als Verbündete gewonnen. Ob ihnen das überhaupt gelungen war, und wenn ja, ob dann die Atuatuker Wort hielten und ihre Krieger in Richtung der nervischen Streitkräfte schickten, bleibt offen. Sie erreichten nach Caesar das Schlachtfeld nicht pünktlich. Das ist erstaunlich (liber II, 29). Hatte doch die treverische Reitereinheit, die Caesar unterstützen wollte, die Nervier bereits im römischen Lager kämpfen sehen und deshalb das Schlachtfeld mit dem Eindruck verlassen, die Römer seien geschlagen (liber II, 24, 4).

      Dieses Geschehen kann nicht kommentarlos übergangen werden. Die Treverer, die einen viel weiteren Weg als die Atuatuker zur römischen Streitmacht hatten, waren pünktlich zur Stelle. Überall verbreiteten sie voreilig den „Sieg“ der Nervier. Ausgerechnet die in der Nähe lebenden Atuatuker marschierten so spät ab, dass nur noch die Nachricht von der Niederlage der Nervier bei ihnen ankam und sie umkehren mussten. Zweifel ob dieses Verhaltens kommen auf. Sie verstärken sich weiter, wenn man liest, dass der Stamm sofort seine Bevölkerung zur Flucht aufrief. Doch lassen wir das Caesar selbst sagen:

      „…verließen alle Städte und festen Plätze und schafften ihren ganzen Besitz in eine durch ihre Lage hervorragend geschützte Stadt…“(liber II, 29, 3)

      Man kann nicht übersehen, dass die Räume, in denen die Heere operierten, relativ klein waren. Caesar brauchte drei Tage von Amiens bis zur Selle. Es handelt sich um eine Strecke von 97km und sie entspricht mit etwa 32km der Marschleistung römischer Legionen vollauf. Der benutzte Fernweg kreuzte am Schlachtfeld den Fluss. Er führte den Sieger danach schnell weiter zum 27km entfernten Bavay, wo die Verhandlungen mit den Stammesältesten der Nervier stattgefunden haben könnten, wofür ein weiterer Tagesmarsch nötig war. Ohne mich jetzt bereits festlegen zu wollen, welcher Ort im Land der Atuatuker es war, den Caesar angriff, hätte er seine Legionen von Bavay in ein bis drei Tagen nach Binche und bis Namur führen können; also in einer kurzen Zeit. Wie konnte es den Atuatukern möglich gewesen sein, ihre verspäteten Truppen, die vielleicht schon auf der Höhe von Bavay standen, sofort zu wenden? Waren ihnen flüchtende Nervier begegnet? Wie gesagt, sie marschierten noch am Tag der Schlacht oder höchstens einen Tag später zurück. Gleichzeitig soll es ihnen gelungen sein, die gesamte Räumung ihres Stammeslandes in eine feste Siedlung zu veranlassen und durchzuführen? Caesars Darstellung ist ganz und gar unglaubwürdig. Zumal die Atuatuker ja noch gar nicht wussten, dass er überhaupt Legionen gegen sie in Marsch setzen würde.

      Die Wirklichkeit könnte so ausgesehen haben, dass Caesar, enttäuscht über die Härte und den Opferreichtum der Schlacht an der Selle, nicht in der Lage war, das Land der Nervier vollständig zu unterwerfen, wie er es mit den südlichen Stämmen der Belger tun konnte.

      …Er ließ sie auch im Besitz ihres Landes und ihrer Städte und verbot den Nachbarn und deren Abhängigen, sie zu belästigen oder zu misshandeln. “ (liber II, 28, 3)

      Ihm fehlte die Beute für seine eigene Kasse und für die Legionäre. So entstand sein Plan, schnell Richtung Rhein vorzustoßen, wenn auch nur ein Stück, den östlichen Nachbarn der Nervier Angst einzuflößen, ein Exempel zu statuieren und reiche Beute zu machen. Caesar suchte einen Ausweg aus der unrühmlichen Lage und fand ihn in einem Raubzug.

       Der Vorstoß und die Wahl des Weges

      Es gab nur einen Weg nach Osten, der für eine solch große Armee, wie sie Caesar befehligte, infrage kam: der bereits lange bestehende und viel genutzte Fernweg von Boulogne-sur-Mer nach Neuss am Rhein. Auf der Abb.5 wird die Wegeführung dargestellt.

      Ein anderer führte von Bavay über Avesnelles, einem nervischen Oppidum in einer fruchtbaren Landschaft, nach Ciney in den Ardennen, links der Maas. Doch dorthin zog es den Feldherrn nicht, denn er hatte sich für den Vorstoß zum Rhein entschieden. Das belegen alle weiteren Handlungen.

      Auf diesem Weg befand er sich bereits, als er an der Selle anlangte und