„Weshalb gibst Du so früh auf? Ausdauer zeichnet den Helden aus. Du bist doch sonst ein Draufgänger. Lass mich mal.“ Nimmt die Kugel, die so hübsche, weiße, bläulich schimmernde Kugel in seine gepflegten Hände. Und schon reflektiert sie nicht mehr blau, sondern das Rosa seiner Haut. Justus sieht mich an, spitzt seine Lippen und flötet das Lied einer einsamen Meise. Dreht dabei die obere Halbkugel nach links, wie ich sehe. Genau wie ich es tat. Da piept es in meinen Ohren wieder. Justus aber scheint es nicht zu hören, lächelt mich an, die obere Halbkugel in der rechten Hand, in der linken die untere. In beider Innenraum nichts. Jedenfalls nichts, was weiterer Anstrengung wert wäre.
Fritz Piccolo scheint ein Witzbold zu sein. Die Neugier von Menschen einzukalkulieren. Den Spieltrieb besonders von Männern, kennt er die Definition des Menschen als «Homo Ludens». Öfter anzutreffen als ein «Homo Sapiens», für die Spielen doch nur Kinderkram ist. Sein Dr. Bunsen könnte eine Mixtur gemixt haben, die bei Erwärmung weich wird und in der Luft rasch eine andere Form annimmt. Kugeln verschiedener Größe. Ein netter Zeitvertreib. Spielzeughersteller werden sich darum reißen. Fritz Piccolo aber wird das Patent darauf schon lange in der Mappe haben. Sind doch Kugeln nichts anderes als ein dreidimensionaler Punkt. „Hör mal Justus, da fällt mir ein, Dein Chef könnte es so gewollt haben, ist doch die Kugel nichts anderes als ein aufgeblasener Punkt. Und Punkte, wie wir wissen, sind seine Leidenschaft.“
Justus aufgeregt, wie ich ihn noch nie sah. Rot seine Wangen, rot die hohe Stirn bis an den Haaransatz. Rot die sonst so vornehme Nase über dem formvollendet geschnittenen Schnauzbart. „Denkst auch Du daran, dass uns das Größte noch bevorsteht? Andere, spektakuläre Visionen als die beim Knirps? Das ist doch das Geheimnis, das wir nicht lösen dürfen. Er wird sofort merken, dass einer die Mappe geöffnet hat, der Verdacht auf mich fallen. Wir müssen die Kugel wieder in ihren Urzustand bringen. Der Chef darf um Gotteswillen nichts merken.“ Pause.
„Du meinst also, wir sollten darüber nachdenken, wie wir die Kugel wieder flüssig machen. Hättest Du keine Sechs in Physik gehabt, wüsstest Du, Wärme hat sie groß und fest werden lassen, Wärme wird sie wieder flüssig machen. Dann können wir sie dahin befördern, wo sie herkam. Durch einen Trichter ins Röhrchen fließen lassen. Pfropfen drauf und zurück ins zweite und die ins erste Röhrchen. Auf denn, lasst uns die Kugel erwärmen.“
Wir haben beide die Kugel in die Hände genommen, gedreht. Gedrückt und gerieben. Sie uns zugeworfen, in die Luft ein paar Mal wie ein Zirkusclown, und wieder aufgefangen. Links- und rechtsherum gedreht. Nichts. Zehn Minuten in siedendes Wasser gelegt. Auch das hat nichts gebracht. Kugel blieb Kugel, als wollte sie, dass wir mit ihr Billard spielen. Die Idee ist mir gerade gekommen: „Justus, wir gehen jetzt in Dein Billardzimmer und spielen eine Partie. Wechseln aber die rote Spielkugel gegen unsere weiße aus.“ „Was ändert das an unserem Problem?“ Meinte Justus und lässt seine rechte Schulter zucken, als hätte die linke keine Lust, mit der rechten zu kooperieren.
„Könnte doch sein, dass die Kugel von Deinem oder meinem Stock gestoßen einen solche Hitze entwickelt, dass sie sich auflöst und wird, was sie war: ein weißes flüssiges Etwas.“ „Du Oberschlauberger, wie willst Du denn die weiße Masse von der Spitze lösen? Gesetzt der Fall, sie löst sich auf, von der Hitze beim Aufprall weich geworden. Das Zeugs klebt wie Du weißt und muss wieder ins Röhrchen. Keine Ahnung, wie das gehen soll. Hast Du Obersuperschlaumeier eine Idee? Dann raus damit. Sonst werde ich meines Lebens nicht mehr froh. Und Du kannst Dich gleich begraben lassen.“
Wir haben es probiert, die Kugel gestoßen, dass es jedes Mal knallte wie ein Schuss. Dann nur leicht angetippt, sie nicht zu erschrecken. Kugeln wie Frauen lieben Zärtlichkeiten. Es hat alles nichts gebracht, die Kugel blieb eine schöne weiße Kugel, die jetzt grünlich schimmert, als wir sie in Ruhe ließen. Sie scheint sich ihrer Umgebung, dem Grün des Spieltisches anzupassen. Vielleicht ist das die Lösung.
„Ich hab eine Idee!“ „Schon wieder eine? Hör auf, mir wieder Hirngespinste vorzuschlagen. Dein Hypocampus ist mit dem meines Chefs nicht zu vergleichen. Der zwar klein von Gestalt, aber groß sein Gehirn. Er wird gewusst haben, was er in Auftrag gab und sich ’s gemerkt. Gäb was drum, ich wüsste es. Vielleicht löst das Rätsel eine weitere Mappe, eine grüne vielleicht. Die Farbe Grün lässt hoffen.“
„Jetzt bist Du zu kurz gesprungen, Justus. Wie willst Du Dich rausreden, bringst Du Deinem Chef nicht, wie verlangt, die blaue Mappe ins Büro? Und zwar sofort. Denn mit unseren Versuchen ist schon viel Zeit vergangen. Du kannst nicht mal eine Stunde später kommen und er schöpft Verdacht. Wie willst Du Dich ausreden? Hast Du schon eine Idee?“
Seine Stirn kraus, von des Gedankens Blässe angekränkelt. Nach einer Weile: „Ich werde ihn anrufen und sagen, meine Großmutter liege im Sterben und ich muss sofort hin. Noch bevor ich ihm die Mappe zurückbringen könnte. Es zähle jede Minute. Sonst sei meine Erbschaft perdu. Perdu verloren auf Französisch. Monsieur Fritz liebt la langue Française. Er wird mir erlauben, die Mappe später zu bringen.“
„Ganz sicher wird er Dich auch fragen, ob Du die blaue Mappe in dem Tresor verschlossen hast, den er Dir überließ. Mit einem Spezialschloss vor fremdem Zugriff gesichert. Am besten sagst Du es ihm selbst. Er wird es Dir hoch anrechnen.“ „Gute Idee, danke für den Hinweis, bis später.“
Monsieur Fritz schien einverstanden, Justus strahlt übers ganze Gesicht: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, kann ich mir nicht verkneifen. Wir spielten noch eine halbe Partie, mit den Gedanken bei dem, was passiert, gelingt es uns nicht, den Urzustand wiederherzustellen. Verse eines Studienkollegen fallen mir ein, als hätte er diese Situation gekannt:
wohin wir auch rollen wie Kugeln –
dem Glück entgegen –
an allen Enden –
von Erde und Himmel –
lauert ein Loch –
uns zu verschlucken –
uns glücklose –
glückliche
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