Die Minidame räkelte sich, kam im Zeitlupentempo nach oben und trippelte dann auf den Gang.
„Die hat Tempo, was?“, staunte Le Beau. „Da reißt einen ja der Fahrtwind vom Sessel. — Sag mal, Muttchen, ist für den lieben kleinen Tony vielleicht ein Bissen von dieser fabelhaften Pastete drin, die du da im Töpfchen hast?“ Er deutete auf eine Porzellanschüssel.
„Pastete? Erstens bin ich nicht Muttchen, sondern Schwester Claire. Zweitens ist das keine Pastete, Sie Heringsbändiger, sondern Salbe. Und drittens, Sie Oberkomiker, ist das hier eine Heilanstalt. Bei Burschen wie Ihnen frage ich mich manchmal, ob wir nicht besser dran wären, solche wie Sie einzusperren und zu behandeln als manch einen, der hier ist und eigentlich recht normal wirkt.“
„O höret die weise Frau von Tularem!“, meinte Le Beau. „Und schon kommt Klein Schätzchen mit dem Wägelchen. Ich danke dir, du geliebtes unbekanntes Wesen!“
Die Minidame staunte so sehr, dass sie gar nicht wusste, was sie sagen sollte. Le Beau zog ihr den Wagen weg, belud ihn im Zeitraffertempo mit dem Geschirr und schob ab. „Und so fliehe ich dahinnen, ihr Geliebten! Träumet und zehret euch um mich!“, rief er zum Abschied.
„Mensch, hau bloß ab!“, knurrte die Schwester, und die Minidame meinte verzückt: „Na hören Sie mal, Schwester Claire, der ist doch Klasse, dieser Typ! Endlich mal einer, der Sinn für Humor hat. Und Sie sagen immer, hier hätte keiner welchen.“
Die Schwester zuckte die Schultern.
„Humor? Der wollte uns verkohlen. Möchte nicht wissen, was er unten bei diesen geilen Böcken wieder erzählt, was er hier erlebt hat. Die sind doch da unten alle verrückt. Die ganze Küche ist verrückter als der dritte Stock. Lass dich bloß mit denen nicht ein! — Und jetzt bring endlich die Puddingportionen weg! Und sag den Zimmerschwestern, dass die Medizin dazu genommen werden muss! Vergiss das bloß nicht, sonst spielt die Stationsschwester verrückt!“
„Und in der Isolierung? Soll ich da auch hin?“
„Nein, mache ich selbst. — Ist auch so was. Ein so nettes Mädchen, schade drum. — Nun geh schon und gaff mich nicht so an!“
„Ich geh’ ja schon. Schwester Claire. Warum Sie einen auch immer gleich so anmotzen müssen.“
„Dummes Gemüse!“, knurrte die Schwester, aber das hörte die Kleine nicht mehr.
Schwester Claire nahm sich eine Portion Brot, eine Schüssel Pudding. Milch und Pappbecher und ein Hamburger Steak, das aussah, als wäre es aus Schwamm gefertigt. Alles zusammen trug sie auf einem Tablett hinaus auf den Gang und marschierte ihn entlang, immer weiter nach hinten. Und weil sie Plattfüße hatte, das Gehen ihr auch sonst nicht mehr viel Freude machte, schlurfte sie, als gälte es, die Fliesen abzuschleifen. Verdrossen arbeitete sie sich dem Gangende entgegen. Dort befand sich eine Tür. Schwester Claire nahm das Tablett in die linke Hand, zog aus ihrer Schürzentasche einen an einer dünnen Kette hängenden Schlüssel und öffnete damit die Tür. Sofort machte sie die hinter sich wieder zu. Dann kam eine Gittertür. Dahinter lag ein weiterer Gang. Die Gittertür erinnerte an ein Gefängnis. Ein Pfleger saß dahinter, stand nun auf und schloss auf. Hinter der Schwester, die er mit lässigem Nicken begrüßte, schloss er wieder ab. Die Schwester schlurfte weiter. Rechts war das Arztbüro der geschlossenen Abteilung. Dahinter wieder eine Gittertür, die jetzt nicht geschlossen war. Überall an den Türen befanden sich Gitter, so dass ein flüchtender Haftpatient nicht nur die Tür, sondern auch noch das Gitter öffnen musste. Manche der etwa zwölf zellenartigen Räume waren nur durch die Gittertür verschlossen. Die richtige Tür stand offen. Schwester Claire sah die Inhaftierten auf dem Bett sitzen oder, wie der eine, am Boden liegen. In der vorletzten Zelle standen Gittertür und Tür offen. Im Raum saßen zwei Männer um einen Tisch. Angeblich waren das Beamte der Polizei, aber Schwester Claire konnte diese Burschen nicht ausstehen, die so taten, als hätten sie die englische Queen zu bewachen.
Aber als sie zu den zweien hinsah, zuckte sie zusammen, blieb wie erstarrt stehen und starrte noch einmal in die geöffnete Krankenzelle. Der eine ... das war doch dieser Komiker ... natürlich!
Also nein! Das ist doch unmöglich!, dachte sie fassungslos. Wie kommt dieser Tony denn hier herein? Und den anderen, den hatte sie doch auch noch nie gesehen, auch nicht heute Morgen, als sie zum ersten Mal bei der inhaftierten Kranken gewesen war.
Ich muss verrückt sein!, überlegte sie. Jetzt hat es mich auch geschafft. Kein Wunder, immer mit Verrückten zusammen. Aber ... aber es muss doch ...
„Wundere dich nicht, Muttchen! Das Leben spielt mitunter wahnsinnig komische Sachen“, sagte dieser Tony gerade, und Schwester Claire starrte ihn an wie einen Geist.
13
Zu der Zeit, da Le Beau noch weiße Linien auf den Rasen praktiziert hatte, befand sich Zlanabitniks Mann Sinclair im Arztzimmer des Isoliertraktes. Dr. Lyser, dessen Nachtdienst gleich zu Ende sein würde, schrieb etwas am Schreibtisch vorn am Fenster, durch das die frühe Morgensonne schien. Sinclair, der Mann mit dem Dutzendgesicht und der Goldrandbrille, ging nervös auf und ab. Dr. Lyser tat, als sei Sinclair gar nicht vorhanden.
Plötzlich blieb Sinclair vor Dr. Lyser stehen und fragte schroff: „Sie können mir das doch nicht weismachen! Sie haben diesen Polizisten weggeschickt, nicht wahr?“ '
Dr. Lyser sah auf. Sein schmales, ein wenig kantiges Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln. Der Spott darin war unverkennbar und ließ Sinclairs Zorn nur noch mehr auflodern.
„Kein Polizist, der einen klaren Auftrag hat“, sagte der Arzt mit herausfordernd spöttischem Unterton, „ließe sich einfach wegschicken. Er ist angerufen worden, und zwar schon bei Dienstantritt gestern Abend. Und er hat offenbar getan, was er sollte - nämlich ins Polizeidepartment zurückzukehren. Soll ich mir für Sie einen Polizisten aus den Puppen schneiden? — Wissen Sie, Mr. Sinclair, allmählich wird diese Geschichte um Miss Teflin spaßig. Ich fange an, mir darüber Gedanken zu machen. Andere als Sie natürlich. — Soll ich Ihnen mal was sagen, Sinclair? Das Medikament, das ihr regelmäßig von Dr. Hamilton verabreicht wird, ist ein Beruhigungsmittel, das sich so auswirkt, als sei derjenige, der es nimmt, betrunken. Und so benimmt sich diese Frau auch. Glauben Sie wirklich, Sinclair, dass ich diese Sache nicht durchschaut habe? Ich schweige nur, weil ich auf die Folgen aufmerksam gemacht worden bin, die ...“
„Sie sind ein kluger Kopf, Doktor“, unterbrach ihn Sinclair. „Bleiben Sie so klug und vergessen Sie, was Sie wissen, Sie kleiner Einstein! Wenn ich Sie wäre, Doktor, würde ich immer haarklein das tun, was Ihnen Dr. Hamilton sagt. Das tut man doch, wenn man einen guten Chef hat und selbst ein braver Angestellter ist. Und jetzt, Doktor, beenden Sie Ihren Dienst! Ich brauche das Zimmer hier für eine kleine Besprechung.“
Dr. Lyser stand auf, und er war einen Kopf größer als Sinclair. Er sah das Dutzendgesicht an und sagte leise: „Glauben Sie nicht, Sinclair, dass Sie sich mitunter maßlos überschätzen? Im Augenblick haben Sie noch feine Karten. Aber in einem Spiel wird auch mal gemischt. Dann bin ich dran, Sinclair.“ Er wandte sich ab, zog seinen Kittel aus, hängte ihn auf und nahm seine Jacke, klemmte die unter den Arm, dann verließ er das Zimmer.
Sinclair zuckte die Schultern, ging zum Telefon, verlangte über die Zentrale eine bestimmte Nummer, und als die Verbindung hergestellt war, sagte er: „Ihr könnt anrollen. Und vergesst die Genehmigung von Hamilton nicht!“
Eine Viertelstunde später kam die Stationsschwester, eine Frau um die Dreißig, mit drei Männern, die alle jung, kräftig und grimmig aussahen.
„Mr. Sinclair, hier sind drei Herren von der Polizei.“
„Aha!“, rief Sinclair. „Vielen Dank, Schwester! — Kommen Sie herein, meine Herren!“ Und als der Letzte der drei die Tür schloss und draußen die sich entfernenden Schritte der Schwester tackten, sagte Sinclair: „Die Bullen haben offenbar keine Lust mehr. Jetzt müssen wir hier aufpassen, und wenn mich nicht alles täuscht, ist der Abzug der Bullen der