ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer. Klaus Schafmeister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Schafmeister
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347068315
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abgehärtet - oder womöglich durch Geburtsherkunft ohnehin gegen scharfe Düfte immunisiert; hatte die Pelargo doch in der Gegend um Manacor gehaust, wo es noch heute zur überwiegenden Zeit des Jahres nach wildem Knoblauch riecht, nach Lavendel und tausend anderen duftölhaltigen Gewächsen. Unhöfliche Zeitgenossen behaupten jedoch, es stänke dort permanent nach Katzenpisse. Und / Oder Hühnerdreck.

      Die Jahre vergingen, und Senora Marmolada ging mit. Die galliforme Landfrau hinterließ ihrer nunmehr 20-jährigen Tochter neben dem Hühnerstall auch eine wohlgefüllte Spardose (natürlich in Ei-Form), doch Tochter Mahagonia hatte das schläfrig-feuchte SesGeriatres samt den vermilbten Eiervögeln lang schon satt und machte sich nach Abschlachtung und Ausverkauf des Federviehs auf in den Süden, um jenseits der gackernden Abgeschiedenheit ihrer Jugendtage ihr Lebensglück zu finden.

      Mit vollem Sparstrumpf mangelte es auf Miasma Grande damals nicht an Gelegenheit, großflächig Landbesitz zu erwerben. Die Wüstenböden des Malpais, doch auch ausgedehnte Areale der kargen Bergregionen konnten spottbillig von der spanischen Kolonialverwaltung erworben werden. Doch nirgendwo brachte das Land nennenswerte Dauererträge: neben extensivem Tabak- und Gerstenanbau zog der Insulaner ein wenig Obst und Hanf, betrieb dazu ein wenig Weinbau und selbstversorgende Bohnenzucht in den Ringgebirgstälern; diese und die Randregionen zum staubig-kühlen Malpais wurden von ein paar Schaf- und Ziegenherden besetzt.

      Ergänzend ist auszuführen, dass sich auch die insulare Fischwirtschaft in Grenzen hielt. Die Küstengewässer rundum waren mit zackig-scharfen Schrunden des abfallenden Inselsockels besetzt und von stinkenden durchgasten Fluten umschmirgelt, so dass sich das Gros der südatlantischen Flossenvielfalt sicherheitshalber einige Meilen von der ungastlichen Küste entfernt aufhielt und den ohnehin wenig seetauglichen Fischerkähnen aus Vayacondios regelmäßig entging.

      Alles in allem lieferte die Land- und Wasserwirtschaft der Insel gerade soviel, dass die damals etwa 3.000 Insulaner nicht allzuoft hungern mussten. Das unwegsame Inselinnere war vollgestopft mit Abermilliarden stachliger Gliederkakteen, die aber selbst den eingeführten Cochenillen-Schildläusen zu bitter schmeckten, als dass sich das purpurfarbgebende Ungeziefer mehr als nur sporadisch vermehrt hätte. Die Insel taugte im Grunde zu nichts - wer wollte da Großgrundbesitzer sein?

      Mahagonia erwarb von ihrem Erbe neben etlichen Quadratkilometern Wüste auch einen Flecken Land im Südwesten der Insel, dazu eine Pension im Dorfe Los-Pompoesos im Grenzland zwischen Picos und Malpais. Die Herberge wurde hauptsächlich von Bohnenaufkäufern, Ziegentreibern und Reisepriestern aufgesucht; nur gelegentlich buchten sich bessergestellte Logiergäste ein. So vergingen die Jahre; die junge Pelargo hatte letztendlich das Hühnerhaus gegen einen Menschenstall eingetauscht, und ihr drohte erneut das Versinken - früher im Hühnermist, nunmehr in durchschwitzter Bettwäsche, Bohneneintopf und Scheuersand.

      Mahagonia war weder besonders hässlich noch ausnehmend hübsch, dafür aber doch ein Glückskind. An ihrem 23. Geburtstag wurde sie errettet aus dem enervierenden Pensionseinerlei durch einen Engel in Persona ihres treuesten Stammgastes, dem gutmütig-vertrottelten, jedoch halbwegs begüterten Don Arcimboldo Bacigalupo Sprizz. Des Dons Vorfahren mit friesischer Verwurzelung hatten sich vor 200 Jahren im Örtchen Solysombra im Südosten Miasma Grandes angesiedelt; Nachfahre Arcimboldo baute der Väter insulare Version eines Haubarges zur ertragreichen Ziegenfinca um. Und er begehrte Mahagonia so heiß und innig, dass er sich nach einigen holperigen Erklärungsanläufen (und etlichen Flaschen Tinto) als ihr unsterblich verfallen erklärte. Mahagonia tat erst tugendhaft und abweisend, ihr Herz jedoch einen Purzelbaum - und nachdem sie Don Arcimboldo einen Tag und eine Nacht mit Liebesweh im Herzen (und einem Kater im Schädel) hatte schmachten lassen, gab sie seinem Werben großmütig statt. Und schon zwei Wochen später, am zweiten Dezember 1857, gab der blitzesstolze Arcimboldo seiner Mahagonia vorm solysombrischen Dorfpastor auch offiziell das Ja-Wort.

      Das Schicksal meinte es also gut mit der jungen Dona Mahagonia Pelargo deSprizz und machte sie zu einer geachteten und wohlhabenden Ehefrau. Und bald zur Mutter eines entzückenden kleinen Sohnes namens Episcopao. Und durch einen plötzlichen Blutsturz ihres Gatten kurz darauf zur lustigen Witwe. Ein Balearenmädchen kriegt alles fertig, wenn man es nur läßt.

      Mit dem durchaus nennenswerten Erbe im Beutel brütete Mahagonia einen unglaublichen Plan aus: sie erwarb Länderei um Länderei, egal wo - ganz besonders gern im Malpais, denn sie hatte herausbekommen, dass findige Bauernlümmel aus jährigen Opuntienohren und den darauf sitzenden Kaktusfeigen einen mörderischen Schnaps brannten, eingedenk des versoffenen Insel-Erstentdeckers Pirazzo genannt, welcher mit seinen (mindestens!) 75 Alkoholprozenten Köpfe und Gedärm gleichermaßen vernichtend umtrieb und deshalb auch Cacafuego genannt wurde. Früher nur zum Eigengebrauch gebrannt, ging unter Mahagonias Regie das nun in nennenswerten Mengen erzeugte Gesöff weg wie warme Semmeln - erfüllte es doch das lokal wichtigste Bedürfnis: das des sofortigen Vergessens.

      Der einfache Pelargonio an sich, damals verächtlich Miasmo, später auch Guanito genannt, schlug sich seit je her mehr schlecht als recht durchs Leben. Dies galt in abgemilderter Form auch fürs Patriziat und genauso für die junge Pelargo, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie den Pirazzo als Erste und danach, monopolgestärkt, auch als Einzige gewerbsmäßig brennen ließ. Der brachiale Tropfen gelangte in kurzer Zeit zu - im wahrsten Sinne des Wortes - mordsmäßigem Absatz. Dazu spekulierte Mahagonia erfolgreich an der Bohnenbörse, gewann in der Ziegenlotterie, und nach ein paar Jahren gehörte ihr schon ein Viertel der ganzen Insel. Doch das reichte ihr längst noch nicht.

      Es war der 24. November des Jahres 1862 und Senora Mahagonia noch keine 30. An diesem Tage kreuzte sie mit einem Haufen Peones in Vayacondios auf und zog mit ihren armierten Ziegenhirten unter aufgepflanzten Bajonetten zum Verwaltungssitz der spanischen Krone, wo sie die sofortige insulare Unabhängigkeit verkündete. Die alberne Revolution ging unblutig und erfolgreich über die Bühne, denn Dona Mahagonia stellte die drei spanischen Kolonialbeamten vor die Wahl, am Halse aus den Fenstern ihres Bureaus zu hängen - oder ihr als neuer Präsidentin die (anständig entlohnte) Treue zu schwören. Spanische Truppen waren eh nicht vor Ort, und auch sonst fiel die Wahl weder den von Madrid mager besoldeten Diplomaten - und selbst dem verschmähten Mutterland - nicht sonderlich schwer, zumal Spanien damals konzentriert dabei war, sich in den Carlisten-Kriegen selbst zu verzehren, und das Land andere Sorgen plagten, als diese atlantische Wüstenei.

      So wurde die Republica Pelargonia - ex MiasmaGrande - noch an diesem Tage unabhängig. Als Insignien der neuen Nation galten die gelb-zinnoberrot karierte Landesflagge, das mit Bohnenranken umkränzte güldenfarbene Ziegengehörn als Wappenschild und als Landeshymne der von quäkenden Sackpfeifen untermalte Hymnus des Ave Maria. Und Dona Mahagonia war Präsidentin!

      Nach weiteren vier Jahren hatte LaPelargo die Insel fast komplett in ihr Privateigentum überführt, was leider auch bedeutete, dass ihre einst beträchtlichen Barmittel fast aufgebraucht waren. Woran es schmerzlich fehlte, war eine dauernd und verläßlich sprudelnde Einnahmequelle. Das Steueraufkommen der bettelarmen Bevölkerung war lachhaft, Bodenschätze fehlten, die Landwirtschaft mit Bienen- und Bohnenanbau wie gesagt nicht nennenswert. Selbst die Pirazzo-Einkünfte schwappten nicht mehr bis an den Himmel, denn der in den Kaktusfeldern gebrannte Schnaps musste umständlich und kostspielig mit Maultiertrecks nach Vayacondios verfrachtet werden, wo das flüssige Massenvernichtungsmittel in Kanister umgefüllt und zur Mole gekarrt wurde. Auch die Schiffsfracht verteuerte sich von Jahr zu Jahr, zudem erwuchs auf den Weltmärkten mit dem - ebenso billigen und ebenso wüsten - Mezcal aus Mittelamerika dem Pirazzo zunehmend unangenehme Konkurrenz.

      Andere Industrialisierungsversuche gingen ebenfalls schief. Bemühungen ausländischer Spinner, Quecksilber aus dem Zinnobersand herauszudestillieren, erwiesen sich als vollkommen blödsinnig. Der Versuch, in Vayacondios eine Fischkonservenfabrik zu betreiben, war (wie schon angemerkt) mangels großer Fische und beherzter Fischer auch ein tot geborenes Kind. Einzig das Erdgas perlte stetig aus vulkanischen Tiefen hervor, taugte halbwegs zum Heizen, zum Beleuchten und - in späteren Jahren nach erfolgreichen Bohrungen und dem Bau von Sammelanlagen nebst einfachen Gaskraftwerken für Elektrizität und Flüssiggas auf den Estancias und Bahnhöfen - als Kraftquelle für Herde, Eisenbahn- und LKW-Motoren. Zum Glück war der Dunst umsunst, und hätte es dieses Gas nicht gegeben, das im