ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer. Klaus Schafmeister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Schafmeister
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347068315
Скачать книгу
der Rio gluckert, die Sonne lacht, Frieden ist greifbar, und überdies haben wir Sonntag. Überall schlängeln sich windbewegt die rotgelb-karierten Wimpel über die Dächer der Kleinbürgerhäuser, auf dem Marktplatz stelzt frischgewienert der obligate arienplärrende Lautsprecher neben den Plakaten mit EL SUPREMOs markantem Konterfei, darauf zu lesen: AVE SPRIZZ! und auch auf der Promenade scheppert Marschmusik, transistorerzeugt.

      Und Hussa! Die Soldaten sind wieder da.

      Die Bar Al pobre Diablo lagert am unteren Teil des Promenädchens, der wilde Mann hat sich dort an einen Tisch gelassen. Wer er ist, wie er heißt, weiß keiner außer ihm selbst (und auch das scheint fraglich), trotzdem springt er dem nachmittäglichen Flaneur sofort ins Auge, stattlich nennt man solche Menschen. Seine Füße stecken in schwarzklobigen Schnürstiefeln, darüber trägt er eine einst olivfarbene Soldatenhose samt gleichartigem Hemd. Die Bärenschultern mag nur der bodenlange gelbe Duster zu bedecken: ein Staubmantel mit weiten Ärmeln unter einer Pelerine, innen und außen jede Menge Taschen; große aufgesetzte und kleine geheime. Darin trägt der Mann sein Leben mit sich, wirft nichts davon weg, viel wird es ohnehin nicht sein.

      Der Grobian hat die verschossene Mütze abgenommen, welche dereinst einen amerikanischen Sezessionsschädel zierte, nach fast einem Jahr100 verschlagen worden ist auf diesen Kopf, der jetzt der Frühlingssonne gestattet, seine kahle Wölbung zu braten. Des Mannes Alter changiert zwischen 33 und 99, je nach Beleuchtung. Die beringten Augenäpfel über der Sattelnase glimmen bösgrau aus rissiger Haut, darunter das Kinn: ein Schwerthieb, die Kiefer: neandertalisch - alles in allem, als hätte GOTT vor der Konstruktion dieses Trumms erst noch den Goldenen Schnitt versoffen.

      Als der Kerl sich hinsetzte, ebbte das Palaver merklich ab, und selbst das Sprizz-Gedudel aus dem Bar-eigenen Transistorradio schien leiser zu werden. Die Leute bewahrten Contenance, aber großzügigen Abstand. Am Tisch hatte sich zuvor ein strammer Soldatenlümmel auf den Stuhl gefläzt: Muskeln, goldener Nasenring, Tätowierung. Vor dem baute sich der Mantel auf, öffnete und schloss knackend die Schaufelhände - der Tisch wurde sofort frei. Drinnen hinterm Tresen stieß der Zapfer das Serviermädchen an, „guck auf diesen Kerl, guck auf diese Fresse!“ Und höre! Denn zu vernehmen war sie bisher nicht, die Stimme, die - als sich die Bedienung herauswagt – etwas zu ordern versucht mit merkwürdigen Lauten: dumpf, rauh, kreischend. Weist endlich auf die Karte Das da!

      Weil der einfache Taglöhner auch Sonntags weder Zeit noch Geld hat, zu flanieren, wird der angenehme Ort von betuchteren Spaziergängern frequentiert, die ihre Gutwettergarderobe vorführen. Da knittert weißes Leinen unter Panamahüten, die über braunen Schnauzbartgesichtern thronen; gelegentlich trippelt etwas Crepe de Chine an den Seiten der Panamesen, auch etliche bleiche Baumwollgewebchen machen sich bemerkbar. Dazwischen stolzieren schmucke Uniformen der in der Estancia einliegenden 1.Pelargonischen Bandera. Der Kriegsgott schien EL SUPREMO hold zu sein an der Nordfront, der Feind war im Sack - und gleich wieder schneidig und unverzagt, die Herren Regulares in ihren scharf gebügelten Rotröcken!

      Dieses Gehabe geht dem Manne ab; eher anzunehmen, dass alles an ihm zum Himmel stinkt - allein, das hat kaum jemand je gerochen, bis auf jene vielleicht, die das Unglück hatten, ihm zu nahe zu kommen. Es hatte welche gegeben, die frei heraus waren, nicht nur leise muckten, sondern ihm spontan ihre Meinung nachriefen Guarro! Skunko! Die Ehrlichkeit währte jedoch nur so lange, bis er die Motzer zwischen die Finger bekam.

      Aus einem Haufen Lehm zusammengeklatscht! denkt sich die Kleine aus der Cafecantina, serviert ihm scheu den Becher und bemüht ein Lächeln, tritt dann schleunigst zurück. Andererseits überlegt die süße Senorita im Abgang, ob man dieses Menschending in seiner Gesamtheit auch als stimmige Komposition begreifen möchte, als auserlesenen Adel von Disharmonien - das denkt es sich natürlich nicht wissentlich und wörtlich, das junge Ding, sondern sein Unterbewusstsein verkürzt es aufs Blitzgefühl: Baron von Häßlich gibt sich die Ehre!

      So ruhen Ihre Rohheit scheinbar in sich selbst und auf der Veranda der Bar zum armen Teufel; in der Klaue das Getränk, welches auf der Karte hochtrabend als Cafe Americaine firmiert, was aber eine elende Plörre ist, Aufguss aus gerösteten Saubohnen und Unerfindlichem. Der Hüne glotzt in den Kump, in die spiegelnden Scheiben der Cantina: zweimal Unappetitliches. Fremder - was willst du bloß hier?

      Der Mann kippt sich den Rest der Brühe in den Hals, wirft ein Geldstück auf den Tisch, kommt hoch, der Stuhl fällt. Als er hinter den Bäumen verschwindet, springt das Serviermädchen heraus und wischt die Münze vom Holz, guckt dem Hauklotz hinterdrein doch etwas hatte er!

      Beim Fischzug nach der Münze ist dem Mann ein Fetzen zu Augenschein gekommen aus tiefster Tiefe seiner Manteltasche wie eine vergessene Kellerkartoffel; die Schrift auf dem einst güldenen Wisch verschmiert, nur noch LaEsmeralda zu lesen. Während der kurzen Zeit in den Taschentiefen des Dusters hat der Zettel schon ordentlich Patina angesetzt, doch zerbricht er bei dem Manne die Kruste des Vergessens aus dem Lande Lampedusa der Kammersänger Rinaldo Tagliatelle, dazu seine elfengleiche Tochter, Primaballerina LaEsmeralda mit dem Ziel Nombredelrio! Wo sonst zu suchen, als im Gemeindesaal an der Plaza Episcopao Sprizz?

      Der Mantel knurrt sich durch in Richtung Dorfzentrum, wenige Minuten Fußmarsch. Er lässt die Estancia mit den Soldaten links liegen, biegt ab in Richtung Marktplatz, vorbei an SIEG!trompetenden Fensterhöhlen in sonnengeküssten Gärtchen, aus denen sich erste Fliederdüfte wagen zu EL SUPREMOs Tschingderassabum. Bis auf die paar Lastwagen der Estancia und der Regulares draußen hat es hier im Ort keine Automobile, dafür sind die Dörfler viel zu arm und die Gassen viel zu schmal, da passen nur Fahrräder durch oder schmale Handkarren.

      Der Fremde erreicht unbehelligt die Plaza Episcopao Sprizz, wie es geschrieben steht auf kugeldurchlöchertem Namensschild: ein bescheidenes Geviert, 20 Meter zum Quadrat, treu umlagert von verblichenen Fassaden, an denen sich altbackene Holzläden ausrichten. Lorbeer steht stramm, vor der kleinen Kirche wacht ein Eimerbrunnen unter aussprießendem Knöterich und den Weisen EL SUPREMOs aus vorgenannter Lautsprechertüte. Zu dieser inselweiten Musikalienberieselung ist noch einiges zu sagen. Später!

      Vor Wochen hatten sich hier Regulares mit einem Haufen Cimarrones duelliert; die Rebellen schossen die Guardia erst ordentlich zusammen, zogen sich beim Eintreffen der Verstärkung, der gefürchteten 1.Bandera Los Lobos Infernales, jedoch zurück - der Ort war befreit. Mit Zeitungen sind die zerklirrten Scheiben des Gotteshäuschens verklebt, es duckt sich ängstlich hinter ein paar Lederkastanien - was wirklich nicht mehr nötig ist, denn es hat ja gewonnen. Neben dem Kirchlein überlebte auch das zweistöckige Ayuntamento, daran ein Holzkabuff genagelt, an dessen Lattentür steht: Caballeros. Wenn, klebte ein Esmeraldaplakat entweder an der Kirchentür - vor dem sich jedoch nur Laub und Unrat mit den Dorfkatzen streiten, oder es wäre angepappt an die Pissanstalt - oder ans Tor des Gemeindesaales. Doch bis auf das unvermeidliche Konterfei EL SUPREMOs und einigen Aufgeboten für zwangszuversteigernde Taglöhnerparzellen findet sich nichts.

      Dann hinter dem Mann: ein tiefes Knurren.

       Kaliber 8 - Versuch über LaPelargo

      In Pelargonien gab es zwei große Frauenspersonen, ohne welche die Isla nicht so wäre wie sie ist. Das Wunder der Independencia hat 300 Jahre nach dem ruchlosen Cobolz die Staatsgründerin Dona Mahagonia Tiberia Pelargo bewirkt. Über die zweite Dame wird später geredet.

      Am 14. Januar 1833 wurde Mahagonia als Tochter eines andalusischen (sich nach Andeutung von Mahagonias Erdendasein umgehend empfehlenden) Wander-Olivenpflückers und der ledigen Hühnerbäuerin Marmolada Pelargo in die Welt gesetzt; Mutter und Tochter - wie der nasenferne deCobolz und der versoffene Inselfinder Pirazz - Kinder der für ihre Töchter und Söhne stets zu rühmenden Balearenblume Mallorca.

      Senora Pelargo (und zwangsläufig auch ihre Tochter) ist nun wegen diverser Unredlichkeiten - unter anderem hatte sie auf Bauernmärkten Aufgüsse aus Wermuth und faulen Eiern als den guten Magentröster Palo verkauft - auf die damals Miasma Grande genannte Isla strafdeportiert und ins Dörfchen SesGeriatres eingewiesen worden, wo sie sich bald wieder eine Geflügelzucht zulegen konnte.

      Marmolada erlernte eifrig das Spanische, vergaß ihr Mallorquin