Aber ebenso existieren völlig unterschiedliche Qualitäten unter den Arten: Einmal sind da die Allerweltsarten. Das sind die Null-Acht-Fuffzehn-Typen, die an jeder Straßenecke der mittleren Standorte in der Landschaft herumstehen. Anpassungsfähig kommen sie mit recht unterschiedlichen Bedingungen klar. Sogar eine Hummelart, die dunkle Erdhummel, zählt momentan mit zu diesen flexiblen Gewinnern. Aus der Sparte der Pflanzen liegt der Löwenzahn im Aufwärtstrend. Da er aktuell viel mehr Stickstoff bekommt als noch vor 100 Jahren (näheres dazu erfahren wir noch in Kapitel 8), kurbelt er seinen Turbo an und dominiert mittlerweile ganze Landstriche. Mit ganz viel Kraft presst er seine starken Blätter ganz flach auf den Boden. Damit verhindert er, dass sich direkt neben ihm andere Pflanzen niederlassen und ihm womöglich den schmackhaften Stickstoff vom Brot nehmen. Das führt dann schon mal dazu, dass im April stark gedüngte Wiesen buttergelb, mit blühendem Löwenzahn überzogen sind. Von Vielfalt keine Spur.
Weniger konkurrenzstark, aber dennoch häufig vorkommend, sind Arten, die schlichtweg anspruchslos sind. Denen ist es wurscht, ob sie in der Stadt, auf dem Land oder im Wald leben und werden als Ubiquisten bezeichnet. Als Beispiel dafür aus der Tierwelt kennen wir die Amsel.
Im Gegensatz dazu erweisen sich die allermeisten Bienenarten als echte Spezialisten mit diversen Spleens. Etliche benehmen sich wie echte Diven und stellen ganz besondere Bedingungen sowohl an Lebensraum als auch an Nahrung. So etwa sammelt die Natternkopf-Mauerbiene für ihre Brut ausschließlich Pollen des gemeinen Natternkopfes. Oder einige Pflanzen, wie der Sonnentau, finden sauren Moorboden erst so richtig lustig. Noch spleeniger wird’s, wenn eine Art seltene Lebensbedingungen miteinander kombiniert. Der Hochmoorgelbling gehört als Schmetterling zu solch einer extravaganten Sorte. Seine Raupen mögen ausschließlich die Blätter einer ganz bestimmten Moorpflanze, nämlich die der Rauschbeere - dem Namen nach zumindest mehr als verständlich. Als Erwachsener benötigt er hingegen viel Nektar von blütenreichen Wiesen zur eigenen Energieversorgung. Und diese bitte schön in unmittelbarer Nachbarschaft zum Moor gelegen. Nicht etwa aus Faulheit, sondern aus Vorsicht. Lieber verhungert er, als dass er weiter als einen Kilometer von seinem Gelege wegflattert. Schließlich schlagen Schmarotzer dann gern zu, wenn die Luft rein ist.
Seltene Arten besitzen häufig weitere Eigenarten. Einige von ihnen ziehen nur wenige Nachkommen groß und trifft besonders große Tiere. Sie investieren lieber in Klasse statt in Masse - in lange Tragezeit und in liebevolle, intensiverzieherische Aufzucht. Bei dem Aufwand kann man sich eben nur wenige Kinder leisten. Selbst manche Bienenarten handhaben das ähnlich und legen nur wenige Eier zugunsten eines spektakulären Nestbaus wie die Schneckenhausmauerbiene. Ebenso sollten Lebensräume entsprechend groß sein, um sich genügend Nahrung beschaffen zu können. Selbst ein relativ kleines Tier wie der Igel beansprucht bereits ein Revier von einem Quadratkilometer. Ein Steinadler benötigt bis zu 150 Quadratkilometern und ein Wolf bereits 250 Quadratkilometern.
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft ihre geographische Verbreitung. Einige Arten kommen nahezu weltweit vor wie etwa Hahnenfußgewächse (die gemeine Butterblume gehört dazu). Andere natürlicherweise nur auf der Nordhalbkugel wie die Hummeln. Und andere sind wiederum so wählerisch, dass sie sich nur in einem ganz umgrenzten Gebiet wohlfühlen wie die Malven-Langhornbiene nur in einer winzigen Region Bayerns. Viele Inseln beherbergen solche Arten, die sich aufgrund ihrer Abgeschnittenheit vom Rest der Welt weiterentwickeln und spezialisieren konnten. Als berühmte Beispiele dafür fungieren die Galàpagos-Inseln inklusive Darwinfinken oder Madagaskar, das viele endemische Pflanzen und Tiere besitzt. Oder mittlerweile - leider - besaß.
Kommen bei einer Art mehrere dieser Aspekte zusammen, die seltene Arten kennzeichnen, wird man zur besonders seltenen Art. Für solch Sensibelchen wird das Aussterben inzwischen täglich zur realen Bedrohung.
Lebensräume: Ohne die Vielfalt der Lebensräume würde es keine Vielfalt der Arten geben, die sich den äußeren Bedingungen anpassen müssen. Die unterschiedlichsten Individualisten – vom Grottenolm über die Sägehornbiene, der Bergprimel und bis zum Chamäleon - hätte es ohne die unterschiedlichsten Lebensräume nie gegeben.
Eine Art fällt jedoch völlig aus dem Bilderrahmen dieses Gesamtarrangements. Diese Art heißt Homo Sapiens und stellt möglicherweise sogar nur eine Unterart namens Homo sapiens sapiensis dar. Mit Hilfe vieler Tricks schafft sie es fast alle Lebensräume für sich zu nutzen. Die Wüste als Beduine, die Arktis als Eskimo, den tropischen Regenwald als Indigener oder den Himalaya als Kaschmirziegenhirte. Im gemäßigten Flachland hingegen macht sie gerne einen auf zivilisiert, plastifiziert sich und ihre Umgebung und beschleunigt liebend gerne ihren Körper sowie die Verbreitung ihrer Ideen. Lange Zeit galt in dieser Region die Faustformel: je schneller desto fortschrittlicher. Kein Lebensraum scheint ihr unangenehm genug. Selbst im Weltall ist sie bereits gesichtet worden. Obwohl dieser, mangels echter Lebewesen – mal abgesehen von Marsianern und Vulkaniern - nicht ganz der Definition eines Lebensraumes genügt. Als Supertalent der Anpassung stellt sie den Extremisten unter den Anpassungsfähigsten. Ihren körpereigenen klimatischen Toleranzbereich weitet sie durch jede Menge Innovationen aus. Klimaanlagen, Fußbodenheizungen, Sauerstoffmasken, selbstgestrickte Pudelmützen. Als letzte existierende Art aus der Gattung der Hominiden muss sie nicht mal mehr die Konkurrenz der eigenen Mischpoke fürchten. Allen anderen Hominiden, etwa den Neandertalern, hat sie die evolutionären Äste bereits abgesägt. Und nur weil diese mit etwas leichterem Gepäck – intellektuell gesehen - unterwegs waren. Damit ist keinerlei nähere Verwandtschaft mehr übrig, die ihr ernsthaft Konkurrenz machen könnte.
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Wie definiert man genau Lebensräume? Ganz grob lassen sie sich erst mal nach den drei verschiedenen „Elementen“ Erde, Wasser, Luft unterscheiden. Nehmen wir das Beispiel Wasser. Hier geht es dann weiter entweder in Richtung salzig oder süß. Jetzt kommt das Klima hinzu: Befinden wir uns im tropischen Ozean oder im kalten Gebirgssee? Weiterhin existieren Ufer- und Tiefseezonen, und so weiter. Stellen wir uns einen See vor. Hier gibt es den Seegrund, den tieferen Wasserbereich, den seichten Bereich, die Uferzone und vielleicht noch einen Schilfgürtel. Sauerstoffreiche, sauerstoffarme Wasserzonen. Alles verschiedenste Lebensräume mit speziell angepassten Arten. An Land gilt das ebenso. Hier gibt es vielfältigste Lebensräume wie Wüsten, Steppen, Gebirge, Wälder. Wälder können weiter in Gebirgswald, Regenwald, Hochwald, Niedrigwald aufgespalten werden. Der Regenwald wiederum weiter in einen tropischen oder gemäßigten Regenwald. Im tropischen Regenwald geht‘s dann los in welche der Etagen - von minus drei über Parterre bis vielleicht zur 20. - sich der Lebensraum befindet. Und so weiter bis hin zu niedlichen Mikrolebensräumen für Bakterien und Pilze, wie sie vielleicht unter dem Nagel des linken großen Zehs des Brüllaffen Archie zu finden sind.
Offiziell sind allein für Europa 231 Lebensraumtypen definiert, angefangen bei „Salzwiesen im Binnenland“ über „Trockene europäische Heiden“ bis hin zu „Kalkfelsen mit Felsspaltenvegetation“. Einige tierische Organismen lassen sich dabei nicht nur auf einen Lebensraum begrenzen, sondern nutzen verschiedene, Zugvögel sogar besonders weit auseinanderliegende Lebensräume für sich. Die scheren sich dann nicht mal um irgendwelche politischen Grenzen. Und selbst winzige Bienen oder Hummeln können in der Abbruchkante des Flussufers ihr Nest anlegen und nebenan auf dem Lebensraum Magerrasen Pollen und Nektar sammeln. Folglich macht es manchmal eher Sinn, eine Lebensraumsituation vom Bewohner aus zu betrachten und dessen jeweiligen Kiez als Habitat zu bezeichnen.
Werden wir konkret und kommen zum Regenwald mit seinen unterschiedlichsten Lebensräumen in den einzelnen Stockwerken zurück. Da gibt es ein Untergeschoß mit dem Minuszeichen davor im Aufzug. Es befindet sich direkt in der obersten Schicht des Erdbodens. Hier nisten schillernde Persönlichkeiten: die Orchideenbienen. Weiter geht’s eins drüber ins Erdgeschoss mit seiner Kraut- und Strauchschicht. Es ist schummrig düster mit nur einem Prozent des Sonnenlichtes. Im ersten Stockwerk stehen Sträucher und Büsche recht lässig verteilt. Die mittleren Stockwerke – endlich wird’s deutlich heller - bestehen aus kleineren Bäumen wie Mango, Kakao und jungen Urwaldriesen, die hier in den Startlöchern stehen. Noch eins drüber kommt das Kronendach,