Der Abgerichtete. Maxi Magga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maxi Magga
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347097537
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       Maxi Magga

       Der Abgerichtete

      © 2020 Maxi Magga

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN
Paperback:978-3-347-09751-3
Hardcover:978-3-347-09752-0
e-Book:978-3-347-09753-7

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Cover: Anette Weber, Krefeld

      Mein spezieller Dank geht an Anette Weber,

      die meine vage Coveridee („Ein Mann außerhalb

      von Recht und Ordnung, der schwer leidet“)

      grandios umgesetzt hat.

       Nomen est omen

       Die wichtigsten Personen

Moron (Nummer Fünf) AbgerichtetermoronTrottel
FerineHausmädchenferineungezähmt
KovitVerwalterto covetbegehren, begierig sein, versessen sein auf etw.[Covid: mitleidlos, potentiell tödlich]
Herrder Herr
EligaHausherrineligibleberechtigt
SoraMorons EhefrausorrowSorge, Trauer, Schmerz
NexorKochinexorableunbarmherzig
AgnataHaushälterin, Putzfrauagnatewesensverwandt
DerisHausmeisterderisiveverächtlich

       1

      Es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass mich jemand mit „Sie“ anspricht. Beide Male bedeutet es für mich das Ende meiner Welt. Damals, vor ungefähr 28 Jahren, sollte die Anrede mich verwirren, mir Sand in die Augen streuen, damit ich den Abgrund vor mir nicht sah. Heute ist es umgekehrt. Heute wollen sie, dass ich das Grauen vor mir deutlich erkenne. 24 Stunden haben sie mir dazu gegeben. 24 Stunden, in denen ich meine Geschichte in dieses Gerät sprechen soll, von dem ich immer noch nicht so genau weiß, wie es funktioniert. Einen Tag und eine Nacht, in denen ich mich endgültig dem Tod ausliefere. Erwarten sie, dass ich bereue? Wahrscheinlich nicht. Es ist auch egal, was sie erwarten, ich bereue nicht, was ich getan habe. Höchstens, dass ich es so spät getan habe.

      „Sora, siehst du denn immer noch nicht ein, dass ich es tun muss? Für dich und unser Kind - unsere Kinder“, verbesserte er sich sofort.

      Moron versuchte seiner Stimme Stärke zu verleihen. Aber wo sollte eine solche Kraft herkommen, wenn er mit Tränen in den Augen auf seine junge Frau hinuntersah, die mit einer Hand über ihren Bauch strich, als wollte sie das ungeborene Kind darin schützen. Der andere Arm stützte ein kleines Mädchen, das verzweifelt an der leeren Brust der Mutter saugte. Jeder, der das dreijährige Kind nicht kannte, würde es für fast ein Jahr jünger halten.

      „Es ist bestimmt dein Kind, Moron“, brachte Sora stocken heraus, als sie seinen Blick auf ihren gewölbten Bauch bemerkte. Gegen ihren Willen brach sie wieder in Tränen aus.

      „Ich könnte es doch nie jetzt schon so lieben, wenn es … wenn …“

      „Schhh, beruhige dich. Ich glaube ja auch, dass es so ist. Wirklich. Komm jetzt, leg dich hin. Du musst dich doch ausruhen. Nach all dem.“

      „Wie soll ich mich denn beruhigen? Ich will mich gar nicht beruhigen!“

      Moron hatte Sora noch nie so aufgebracht gesehen.

      „Vielleicht ist ja alles gelogen, was du mir gesagt hast, und du willst nur weg von mir, weil du dich vor mir ekelst, seit dieser Mann mich …“

      Was sie sonst noch sagen wollte, ging im Schluchzen unter. Moron verdrehte die Augen. Diesen Vorwurf hatte er schon zu oft gehört. Es kränkte ihn, dass sie so über ihn denken konnte.

      „Sora, ich will jetzt nicht noch einmal mit dir darüber streiten. Das bringt doch nichts. Du tust mir weh, wenn du so etwas sagst.“

      Seine leicht beleidigt klingende Stimme nervte ihn selbst. Er atmete tief durch, strich ihr zärtlich eine Strähne ihres langen, rotbraunen Haares aus dem Gesicht und bemühte sich, seinen Tonfall in den Griff zu kriegen.

      „Du weißt doch, ich liebe nichts auf der Welt so sehr wie dich und da… die Kinder.“

      Verflucht, konnte er denn nicht besser aufpassen? Da war er beinahe wieder mit beiden Beinen mitten in das Fettnäpfchen gesprungen. Er hoffte, dass sie nichts bemerkt hatte, und beeilte sich weiterzusprechen.

      „Das weißt du doch, oder? Was gäbe ich darum, eine andere Lösung zu finden! Wenn du eine weißt, dann sag sie mir doch. Dann rede ich nie wieder von meiner Idee.“

      Sora senkte langsam den Kopf, so dass ihr Haar fast das ganze Gesicht wie mit einem dichten Schleier verdeckte.

      „Ich weiß keine“, flüsterte sie nach einer Weile stockend und fast unhörbar, „aber …“

      Moron verlor die Geduld.

      „Ja, willst du denn, dass wir alle verhungern? Sieh dir Calla an! Unsere Tochter wird vielleicht den nächsten Monat schon nicht mehr erleben. Unsere Felder sind unfruchtbar oder zerstört. Sora, bitte, wir werden den nächsten Winter nicht überstehen. Und selbst wenn, was wäre dann, hm? Was dann, Sora? Wir haben Schulden, das weißt du doch. Wir dürfen nicht von hier weg, weil wir Schulden haben. Und wir können unsere Schulden nicht bezahlen, weil wir dieses verfluchte, tote Land ja nicht verlassen dürfen. Aber wenn es mir gelingt, mich als Sklave zu verkaufen, dann sind wir gerettet. Alle.“

      Moron warf einen schnellen Blick zur Seite, aber er konnte nicht erkennen, ob sein Vater diese Worte gehört hatte. Liebevoll drückte er seiner Frau einen Kuss auf den Scheitel. Sora brachte es nicht über sich, den Kopf zu heben und Moron anzusehen.

      „Wir werden uns niemals wiedersehen. Du lässt uns allein.“

      Moron wollte auffahren, aber er musste eingestehen, dass sie vermutlich recht hatte. Darum fuhr er sanfter fort:

      „Vielleicht, aber so muss es ja nicht unbedingt sein. Es ist nicht gut, wenn du immer nur das Allerschlimmste erwartest.“

      „Ich weiß, aber meistens kommt es doch so. Außerdem wirst du dich zu Tode schinden müssen, sie werden dich bestimmt hungern lassen, vielleicht sogar schlagen. Selta, die Frau von Lanzo, hat mir erzählt, dass sie die Striemen auf dem Rücken ihres Mannes gesehen hat.“

      „Na, da siehst du es, die beiden sind zum Beispiel nicht für immer voneinander getrennt“, meinte er leichthin. „Schau mich an, Sora. Ich kann sehr hart arbeiten, solange ich denken kann, habe ich hart gearbeitet. Das weißt du doch, oder? Warum sollten sie mich dann prügeln? Und selbst wenn, so ein paar Schläge haben noch keinem geschadet. Außerdem, vergiss bitte nicht, dass ich auch jetzt schon zu den beliebtesten Prügelknaben für die aus der Stadt gehöre. Und wenn ich tatsächlich ab und zu mal hungern müsste, glaubst du, das wäre schlimmer als jetzt? Sie können doch nicht wollen, dass ich zu schwach zum Arbeiten werde. Ganz sicher nicht. Na, also. Sieh nur, Calla ist an deiner Brust eingeschlafen. Leg du dich auch etwas hin. Du musst dich ausruhen. So ist es gut.“

      Moron hob sie auf.

      „Wie eine Feder“, dachte er, „viel zu leicht.“

      Es stimmte ja, was er zu ihr gesagt hatte. Er hatte immer schwer geschuftet, solange das Tageslicht es überhaupt zuließ, kannte nichts als endlose Plackerei. Trotzdem schaffte er es nicht, für wenigstens eine Mahlzeit am Tag zu sorgen. Was machte er denn nur falsch?

      Erst als Sora haltsuchend den freien Arm fester um seinen Hals schlang und ihn stirnrunzelnd ansah, merkte er, dass er sie schon eine ganze Weile fest an sich drückte, ohne auch nur einen