Europa - Tragödie eines Mondes. Uwe Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Roth
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783347049666
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diesen Zusammenstoß überstanden zu haben, betrachteten sie nun genauer die Eisbarriere, die sich majestätisch inmitten des Weges vor ihnen in die Höhe erhob. Die von ihnen noch vor kurzem so bewunderten Erscheinungen rückten nun augenblicklich in den Hintergrund.

      Fassungslos über diese Gewalt starrten sie aus ihrem Cockpitfenster, hinter dem die Eisbarriere wie ein Mahnmal empor prangte. Nun konnten sie deutlich beobachten, wie an mehreren Stellen der Barriere aus diesen Ausbuchtungen langgezogene, spitze, sperrartige Nadeln entstanden. Diese Nadeln wuchsen regelrecht aus den Ausbuchtungen, die erst mäßig abgerundet waren und schließlich zu langen und scharfkantigen Schwertern wurden. Wie Sperrspitzen ragten sie nun aus der Barriere heraus. Wenn Atara und Maru länger und konzentrierter einen Bereich davon beobachteten, konnten sie regelrecht mitverfolgen, wie sich diese Ausbuchtungen veränderten. An Massigkeit zulegten, schließlich aber wieder zum Stillstand kamen. Dafür wuchsen an anderen Stellen der Eisbarriere neue Ausbuchtungen, die erst klein, schließlich aber schnell an Größe zulegten. So schritt das Eis der Barriere immer weiter voran, um ihre Welt zu verschlucken. Die Unregelmäßigkeiten, die nun deutlich sichtbar wurden, verzerrte die sich dahinter befindliche restliche Siedlung zu einer geisterhaften Stadt.

      „Was ist passiert, Maru?“, fragte Atara, als sie hörten, wie die Motoren des Flitzers verstummten.

      „Ich weiß nicht“, antwortete Maru, die vergeblich versuchte, die Motoren wieder zu starten. Als nur ein leises Klicken zu hören war, während sie den Startknopf drückte, sah sie verzweifelt Atara an.

      „Ich bekomme ihn nicht wieder zum Starten“, versuchte sie unnötigerweise ihrem Kollegen zu erklären.

      „Während wir eine der Spitzen gestreift haben, wurde wahrscheinlich unser Antrieb beschädigt“, stellte Atara fest, der nun doch besorgter wirkte.

      In der Kabine breitete sich eine beängstigende Totenstille aus, der sich Maru und Atara nur schwer widersetzen konnten. Sie lehnten sich erschöpft in ihren Sitznischen zurück und überlegten, wie sie nun weiter verfahren sollten. Atara wusste nicht, was beschädigt wurde. Aber er war zuversichtlich, dass er die Lage meistern würde. Er würde sich und Maru aus dieser Lage retten.

      „Keine Panik, ich werde ihn wieder zum Starten bringen“.

      „Du weißt doch gar nicht, was beschädigt ist“, antwortete sie ihm resigniert. Wenn ihnen hier etwas zustoßen würde, wäre es alleine ihre Schuld. Denn sie war nicht aufmerksam genug, so dass sie mit diesen verdammten Sperrspitzen zusammengestoßen waren. Wie hatte sie sich auch so sehr von dieser Eisbarriere ablenken lassen können, überlegte sie. Aber nachdem sie ihren Kopf hob und erneut zu der Barriere sah, musste sie wieder deren Ausmaße staunend bewundern. Sie wusste, dass jeder andere Flitzerpilot im Angesicht dieser gewaltigen Barriere ebenso gehandelt hätte. Aber dennoch trug nur sie die alleinige Verantwortung für dieses Desaster. Da hatte sie recht, fand A-tara. Er wusste tatsächlich nicht, was beschädigt war. Aber er musste sie beruhigen. Daher tat er so, als habe er alles im Griff. Was aber nicht der Wahrheit entsprach. Sollten irgendwelche Aggregate am Flitzer defekt sein, würde er sie kaum reparieren können. Dafür war er nicht ausgebildet.

      „Ich sehe nach und begutachte den Schaden“, sagte er zu Maru, die ihn voller Entgeisterung ansah. Auch wenn sie hoffte, dass der Schaden gering ausfiel, glaubte sie nicht, dass Atara ihn beheben konnte. Mehr als um den Schaden des Flitzers sorgte sie sich um die Temperaturen, die draußen herrschen mussten. Auch wenn sie mit Atara schon manche bedrohliche Situation hatte meistern können, machte sie sich deshalb umso mehr Sorgen.

      „Sei aber vorsichtig. Bleib nicht so lange. Es ist hier für uns zu kalt.“

      Entschlossen schwamm Atara aus seiner Nische heraus und zog sich einen wärmenden Außenanzug an, den er sich über seinen schuppenengen Overall überstreifte. So gegen die Kälte geschützt schwamm er an Maru vorbei, die ihn respektvoll, aber dennoch skeptisch ansah. Von sich und seinem Können völlig überzeugt, erreichte er die Ausgangsluke und öffnete sie dennoch verhalten. Mit nur einen kurzen Schlag seiner Flossenbeine tauchte er augenblicklich in das kalte Außenwasser ein, dessen Kälte, trotz des Anzuges, sofort die dicken Schichten des Anzuges durchdrang. Er spürte sofort diese eisige Kälte, die unaufhörlich durch seinen Körper kroch und seine Bewegungen augenblicklich verlangsamten. Das würde er nicht lange durchhalten. Da war er sich ganz sicher. Atara war froh, seinen Schutzhelm aufgesetzt zu haben. Müsste er dieses kalte Wasser pur einatmen, würden seine Kiemen bestimmt augenblicklich den Dienst verweigern. So sog er das angewärmte Atemwasser ein, das wohltuend seine Kiemen durchspülte. Da aber der Vorrat für nur wenige Minuten reichte, verlor er keine unnötige Zeit, die, wie er wusste, schneller verstreichen würde, als ihm lieb war.

      Mit kräftigen Flossenbewegungen schwamm er an der Außenhaut des Flitzers entlang, bis seine Augen am hinteren Bereich des Flitzers eine aufgerissene Wunde erspähten. Je näher er der Stelle kam, desto mehr zweifelte er an seinem Vorhaben. Erst wenige Meter vor dem Riss, der etwa vierzig Zentimeter lang sein musste, manifestierten sich diese Zweifel zu erbitterten Wahrheiten.

      Atara drehte sich zu der Barriere um. Von hier draußen sah es noch viel gewaltiger aus, fand er. Jetzt konnte er mehrere hundert Meter in das Eis hineinsehen. So glasklar präsentierten sich die Stellen zwischen den Ausbuchtungen und den Spitzen, die wie Sperrspitzen auf ihn zeigten. Zwischendurch immer wieder glatte Bereiche, die lang genug glatt blieben, um ungehindert in die erstarrte Welt der Eisbarriere schauen zu können. In ihr tummelten sich unzählige Niedriglebensformen, die zwischen den zerborstenen Gebäuden reglos im Eis hingen oder zwischen erstarrten Farnengewächsen lungerten. Ihm wurde plötzlich unwohl. Ohne weiter zu zögern, wandte er sich dem Schaden an seinem Flitzer zu.

      „Kannst du was erkennen?“, hörte er Maru über Funk in seinem Helm. Er begutachtete den Schaden ausgiebig und bekam im Angesicht des Wirrwarrs, das hinter der Vakuumverkleidung sichtbar wurde, sofort ein mulmiges Gefühl. Ihm war sofort klar, dass er diesen Schaden nicht hier reparieren konnte und somit hier gestrandet war. Wie würde er das Maru erklären können? Er wusste, dass sie eigentlich eine taffe Sicherheitsbeauftragte war. Aber in solch einer Situation würde sie bestimmt durchdrehen. Trotzdem musste er ihr die Wahrheit sagen.

      „Es sieht nicht gut aus. Mehrere Vakuumkabel sind gebrochen. Dies können wir nur im Dock reparieren lassen. Gib einen Notruf ab!“

      „Dann müssen wir hier so lange ausharren, bis wir abgeholt werden?“ Eigentlich stellte solch eine Situation keine große Hürde für Maru dar. Sie hatte schon des Öfteren schlimmere Situationen meistern müssen. Aber hier packte sie die bloße Angst. Wenn sie daran dachte wie sie bei ihrem letzten Auftrag, gerade so in letzter Sekunde, die Maborier aus ihren Wohnungen retten konnte und sie und Atara hinterher freudig zusammensaßen, wurde ihr jetzt ganz anders zu mute. Hier gab es sobald kein freudiges Ende, vermutete sie.

      „Ja, das müssen wir. Wir haben keine andere Wahl“, hörte sie Atara aus dem Lautsprecher sagen.

      Die Unruhe, die sie ergriff, ließ sie ihren Blick wieder der Eisbarriere zuwenden, an der ihr der ausgespülte Weg wieder ins Bewusstsein rückte. Denn, als sie diesen Weg vor einigen Minuten betrachtet und die angrenzenden zerborstenen Korallenarme begutachtet hatte, in deren Konstrukt die Gebäude bereits halb in die Barriere eingetaucht waren, hatten sich trotzdem immer noch drei Gebäude außerhalb der Barriere befunden. Nun zählte sie aber nur noch zwei Gebäude, die sich außerhalb der Barriere befanden. Das Dritte, dass nur halb in ihr steckte, war nun von der Barriere vollends verschlungen worden. Sie beugte sich weiter nach vorne, um das Gesehene besser fokussieren zu können. Sie konnte es nicht fassen, was sie da gerade beobachtet hatte. Ihr war sehr bewusst, dass die Barriere sich ausbreitete, jedes Kind wusste das inzwischen. Dass das aber so schnell geschah, ahnte sie nicht. Nachdem was sie da sah, schossen ihr die gerade gesehenen eingeschlossenen Tiere ins Bewusstsein zurück. Sie gab sofort den Notruf ab. Hastig huschten ihre Flossenfinger über die Bedienelemente des Notsignalgebers. Das Signal umfasste alle relevanten Informationen: Ort Uhrzeit, wie viele Personen sowie eine kurze Beschreibung der Lage.

      „Atara, wir haben ein Problem. Egal wie, aber du musst den Flitzer sofort reparieren. Schnell beeil dich!“ schrie sie voller Angst. Atara, der mit beiden Flossenhänden im Gewirr der zerborstenen Vakuumkabel herumhantierte, drehte