Europa - Tragödie eines Mondes. Uwe Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Roth
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783347049666
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in den Strom der Schwimmer einreihen. Körper an Körper drängten sich die vielen Reisenden vorwärts. Unentwegt wurde Zeru von fremden Maboriern angestoßen und zur Seite gedrängt. Deren Atemwasserzüge drangen bis tief in ihre Ohren ein, die zwar eng an ihren flachen Kopf anlagen, aber immer wieder versuchten, die vielen Geräuschen zu orten. Wäre sie nicht schon in engen, verfallenden Ruinen herumgeschwommen, die manchmal enger waren als dieser Strom an Reisenden, wäre sie bestimmt in Panik verfallen. So aber schwamm sie ruhig und gelassen dem Ende der Eingangsröhre entgegen. Sekunden später erblickte sie glücklicherweise das Ende des Tunnels. Sie sah, wie die Reisenden vor ihr am Ende des Tunnels auseinander strömten und sich in der Halle verloren. Wenige Augenblicke später erreichte auch sie das Ende der Röhre und schwamm ebenfalls, wie die Reisenden vor ihr, zur Seite in die riesige Empfangshalle ein. Gegenüber der Enge der Eingangsröhre schien die Empfangshalle riesig zu sein. Aber umso tiefer sie in die Empfangshalle eintauchte, umso gewaltiger wurde sie auch. Sie war erfüllt von den Reisenden, die über ihr, unter ihr oder neben ihr wimmelten. Viele reihten sich in Schlangen vor Kiosken und Ticketterminals ein. Diesen Eindruck aber schnell beiseite schiebend orientierte sie sich und suchte ihren Bahnzustiegsbereich. Als sie anschließend ihren Bahnsteig von dem ihre Bahn starten sollte erreichte, erkannte sie, dass sie viel zu früh aufgebrochen war. Das war ihr aber egal. Eine gute Chance den Reisenden zuzuschauen, die unentwegt an ihr vorbei schwammen. Da jeder Bahnzustiegsbereich nur die Höhe der vorhandenen Bahnzustiegsschleuse maß, huschten die vielen Reisenden nur in ihrer Augenhöhe an ihr vorbei. Wenn sie an die riesige Vorhalle dachte, die sie noch vor kurzem durchschwommen hatte, gab diese Enge dem ganzen Treiben eine klaustrophobische Atmosphäre. Mit ihr befanden sich noch etwa ein Dutzend andere Maborier, die ebenfalls auf ihre Bahn warteten, im Bahnzustiegsbereich. Sie stellte fest, dass mehr als 80 Prozent der Reisenden hier im Bahnhof von Lorkett ankamen. Sie überlegte, ob es sich bei diesen vielen Maboriern um Flüchtlinge handelte. Wenn das so wäre, würde ihre schöne Heimatstadt bald überfüllt sein. Aber davon durfte sie sich jetzt nicht ablenken lassen. Sie dachte wieder an die seltsamen Funksprüche, die sie seitdem nicht aus ihrem Kopf bekam. Wenn sie die Intelligenzen finden würde, dann könnten diese bestimmt den vielen Flüchtlinge helfen, ihre Heimat nicht weiterhin durch die Eisbarriere zu verlieren. Sie wandte sich von dem Strom der eintreffenden Maborier ab und richtete ihren Blick nach vorn, auf die noch verschlossene Bahnschleuse, die die wasserleere Röhre vom Bahnsteig trennte. Eine Anzeige über der Schleuse, die grell blau leuchtete, so dass ihre Augen schmerzten, signalisierte, dass die Bahn in dem Moment einfuhr. Nun brauchte sie nur noch wenige Sekunden zu warten, um ihre aufregende Reise zu beginnen. Die Signalleuchte änderte ihre Farbe. Nur wenige Sekunden später öffnete sich die Schleuse und gab den Blick ins Innere der Bahn frei. Aber ehe sie die Vakuumbahn beschwimmen konnte, strömte ihr ein erneuter Schwall von Maboriern entgegen.

      Die Vakuumbahn brachte sie pünktlich und sicher zum Startzentrum der Mission. Sie kannte sich hier ein wenig aus, da sie schon einige Male hierher eingeladen worden war, um sich mit der Mission vertraut zu machen. Sie schwamm durch mehrere Korridore und gelangte schnell in den für die Crew reservierten Raum. In einer Ecke hing ein Monitor in Schwimmhöhe der Maborier. Er wurde von einem elegant gebogenen Korallenarm getragen, dessen kantige Form von grünen, ekligen Algen abgerundet wurde. Zeru achtete nicht weiter auf den Monitor, da eine unwichtige, belanglose Sendung lief. Sie schwamm ein wenig verloren in dem Raum umher und wunderte sich, dass man sie nicht empfing. Sie war sicherlich viel zu früh, überlegte sie. Aber diesen Gedanken musste sie nicht lange weiterverfolgen, da sich in diesem Moment die Tür öffnete. Sie drehte sich zur Tür um und erkannte den Captain der Mission, Captain Tarom, der gleich auf sie zu geschwommen kam. Hinter ihm schwamm ein schlaksiger, dünner Maborier in den Raum.

      „Hallo, Zeru, ich heiße Sie herzlich willkommen auf unserem wundervollen Gelände. Ich hoffe, sie hatten eine angenehme Anreise?“, begrüßte er sie herzlich.

      „Ja, danke, die Reise war schon angenehm, wenn die Züge nicht so voll wären.“

      „Ja, die vielen Flüchtlinge aus den betroffenen Gebieten. Das ist schon traurig. Aber darf ich Ihnen unseren Missionsleiter vorstellen?“ Tarom drehte sich zu dem anderen Maborier um, der gemeinsam mit ihm den Raum beschwamm.

      „Ja, gerne“, bejahte Zeru seine Frage.

      „Das ist unser Missionsleiter. Er wird uns bis zum Start begleiten. Er ist sozusagen unsere Nabelschnur zum Überwachungspersonal“, sagte er.

      „Hallo, ich bin Zeru.“

      „Ich heiße sie willkommen. Es freut mich, ihre Bekanntschaft zu machen.“ Der Missionsleiter reichte ihr zur Begrüßung die Flossenhand und wandte sich wieder dem Captain des Aufstiegsschiffs zu.

      „Wir sollten uns in den Besprechungsraum begeben, Captain“, forderte der Missionsleiter den Captain auf.

      „Ja, sie haben recht“, bestätigte der Captain und schwamm voraus. Zeru und der Missionsleiter folgten ihm. Im Besprechungsraum angelangt, erwarteten bereits die weiteren Mitglieder der Mission ihr Erscheinen. Ohne Umschweife schwamm der Captain zu einem Monitor, der ebenfalls in der Ecke hing und versuchte ihre Mission mit einfachen Worten zu erklären.

      „Unsere Mission besteht darin, herauszufinden, was das Oben ist, und inwieweit uns das Oben, oder der obere Schleier, in der jetzigen Situation helfen kann. Wir müssen herausfinden, ob das Oben für die Katastrophen verantwortlich ist. Wir werden also an der nördlichen Barriere, die höchst wahrscheinlich bis zum Schleier heranreicht, emporsteigen. Wir halten währenddessen ständig Kontakt zur Bodenstation. Wie dann unser Weg weiter aussieht, entscheidet sich, wenn wir den Schleier erreicht haben und wissen, was er darstellt. Dank der Forschungen unseres Mitgliedes Zeru, die unter der Leitung des ehrenwerten Professors Bereu erstaunliche Erkenntnisse gewonnen hat, vermuten wir, dass der Schleier eventuell eine Art von Leben beherbergt.“ Ein Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden. Zeru lächelte dem Captain verlegen zu. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie fühlte sich irgendwie enttarnt. So sehr sie ihre Theorie weit hinaus brüllen wollte, so sehr beunruhigte sie die Tatsache, dass man sie in der Öffentlichkeit nicht ernst nahm.

      „Ja, Zeru, Sie dürfen sich ruhig geehrt fühlen“, lächelte er wieder zurück und erwies ihr so seinen Respekt.

      „Und dieses Leben könnte genau über der Stelle existieren, die errechnet wurde, nachdem vor einem Zeitzyklus der Brockenbefall stattgefunden hatte.“

      „Ja, ich weiß, hätte sich damals die allzeitzyklische Strömung nicht verspätet, würde Lorkett jetzt unbewohnbar sein“, erinnerte Zeru die anderen daran, wie knapp Lorkett einer Katastrophe entgangen war.

      „Sie haben völlig recht, Zeru“, pflichtete der Captain ihr bei, „deshalb vermuten wir, dass sich genau über Lorkett eine Anomalie befinden muss.“ Tarom machte eine kurze Pause, um in den Gesichtern seiner zukünftigen Mannschaft zu lesen. Er sah Neugierde und Entschlossenheit.

      „Ist das unser Ziel, Captain?“ fragte Zeru. Sie brauchte aber Taroms Antwort erst gar nicht abzuwarten. Sie wusste, dass das so war.

      Er holte tief Atemwasser und redete schließlich weiter.

      „Genau Zeru, dieser Ort stellt unser Ziel dar. Diese Abnormität werden wir suchen und entscheiden dann, was zu tun ist.“ Seine Miene verfinsterte sich mitten im Satz, als vom Nachbarmonitor, auf dem die Nachrichten liefen, eine Meldung vorgetragen wurde. Der Nachrichtensprecher wirkte nervös, so, als ob er es nicht gewohnt war, solche Nachrichten vorzutragen. Da das aber seit einem Zeitzyklus auf der Tagesordnung stand, fasste er sich schnell wieder und redete souverän weiter.

      „Wie uns vom Ministerium der Umweltbehörde mitgeteilt wurde, bewegen sich die großen Eisbarrieren mit immer größerer Geschwindigkeit auf die noch nicht betroffenen Bereiche zu. Der Lebensraum wird kälter und wird gefrieren. Auch die bisher noch nicht betroffenen Bereiche fangen nun an, rapide an Temperatur zu verlieren.“

      Der Moderator sah von seinem Manuskript auf und in die Kamera. Erst jetzt begriff er offensichtlich, was er vorgelesen hatte.

      Auch im Kontrollzentrum ging ein Raunen um. Niemand konnte fassen, was da eben gesagt wurde. In diesem Moment betrat ein weiterer Maborier den Raum, den Zeru nur vom Fernübertragungsmonitor her kannte. Es war