Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst. Adolf, Dr. Küster. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolf, Dr. Küster
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347124042
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seinen Sonntagsbraten.“

      “Ja, und was wäre, wenn es kein Schieber, sondern ein Jude, ein Kommunist oder Sozialdemokrat war? Ein Mensch, der möglicherweise keinem Lebewesen ein Haar krümmen kann?“

      Beide starren entsetzt auf den weißen Knochen vor ihnen.

      Endlich schnippt Kurt das Skelettteil mit dem Finger zurück ins Bassin.

      Kurt quält der Gedanke, wartet hier in der Gärtnerei eventuell noch mehr auf Entdeckung?

      Kurt ist sich sicher, dass Sami ähnlich denkt.

      Sami und Kurt haben noch lange über das gestrige Ereignis nachdenken müssen.

      Kurt hat heute Morgen, ehe Sami auf der Bildfläche erscheint, den Wasser-Haupthahn für die Freilandversorgung geöffnet. Ungeduldig hockt er mit einem Gartenschlauch bewaffnet in seinem Versteck, um Sami mit einem mächtigen Wasserstrahl zu begrüßen.

      “Du alte Sau.“

      Sami ist erschreckt zurückgesprungen und schüttelt das Wasser ab. Es ist 9: 00 Uhr und die Augustsonne scheint übermütig auf die beiden herab. Nach dieser ungewollten Dusche will Sami es dem Kurt nun mal so richtig zeigen und ist sich sicher, dass ihm das auch gelingt.

      „Komm, mach mit!“

      In den Ferien trägt Sami stets einfache braune Turnschuhe mit Gummisohle. Genau wie die Kinder der meisten Eltern, die sparsam leben.

      Sami hat sich eine Leiter geschnappt und nun steigt er behände an der Stirnseite vom Gewächshaus C aufs Dach und balanciert leichtfüßig mit ausgestreckten Armen entlang des Dachfirstes, wie ein siegesgewisser Seiltänzer im Circus. Zu allem Übermut hält er noch eine Nelke mit dem Munde.

      “Sami, bist du total verrückt, der First trägt nicht mehr, der ist morsch. Die Häuser, das sind alte Kisten, komm zurück, los dalli.“

      Mir stockt der Atem, wenn ich daran denke: ein Schritt zur Seite, und aus ist es. Wenn der Sami durchs Glas stürzen würde, welche Katastrophe.

      Wie das Dach schwingt, oh Gott!

      Ich presse verzweifelt meine Hände vor die Augen, unmöglich, so was mit anzusehen.

      Unfassbar, aber Sami hat es geschafft. Sein glücklich strahlendes Lächeln gleicht einem Triumphator. Ich muss ihn umarmen, obwohl das sonst nicht meine Art ist. Und ich fühle, Sami ist ab jetzt mein bester Freund.

      “Was ist, willst du’s nicht auch mal versuchen?“

      “Nee, nee, so spinnerig kannst nur du sein. Ehrlich gesagt, mein Bammel ist so riesengroß, der allein bringt das Dach schon zum Einsturz.“

      “Na gut, dann würde ich vorschlagen, wir fluppen jetzt erst mal eine in aller Ruhe. Vielleicht da drüben, wo die vielen Schmetterlinge sind?“

      Sami zeigt auf die Bank am Schuppen.

      Der alte Geräteschuppen steht mit seinem Rücken zur Berliner Straße. Neben der Bank blüht üppig ein stattlicher Sommerflieder. Wir nähern uns der Bank und eine dunkle Wolke flattert davon.

      Hunderte von Schmetterlingen verzichten kurzfristig auf ihre Nektarmahlzeit, als wir uns auf der Bank niederlassen.

      “Kennst du alle diese Flattermänner?“

      „Ja, die kannst du dir leicht merken. Da, der ’kleine Fuchs’ und da das ’Pfauenauge’.

      Wenn du Glück hast, entdeckst du auch mal einen ’Schwalbenschwanz’. Die Raupen dieser Schmetterlinge sind nicht wählerisch. Sie alle verputzen Brennnesselblätter.“

      „Was du nicht alles weißt!“

      “Bitte schön.“

      Sami hat ein schmales Päckchen hervorgekramt. Ein Päckchen mit 3 Zigaretten. Ein großes R und eine 3 zieren die Packung, R3.

      Kurt schielt auf dessen freigiebige Hand und wünschte, es gäbe sie nicht. Vor einiger Zeit probierte er mal, den Rauch einer Zigarette richtig einzuatmen. Es war die reinste Katastrophe. Sein Gehuste wollte und wollte nicht enden. Damals hatte er sich hoch und heilig geschworen: Nie, und nimmer!

      Aber nun greift er doch zu, ohne zu zögern. Er will sich vom Sami auch nicht mit allem unterbuttern lassen.

      Bis auf Naturkunde weiß Sami tatsächlich alles besser, er ist tapferer, ist schneller auf den Beinen und schneller mit der Zunge und mit den Gedanken. Mit Mädchen kann er viel lässiger umspringen. Und Pläne hat der, davon wagt Kurt nicht einmal zu träumen.

      Sami will so bald wie möglich eine Weltreise starten. Anschließend will er sich in Paris niederlassen, um seine Erlebnisse in Reiseliteratur, und auf jeden Fall will er ein luxuriöses Leben führen. “Das Geld wird schon fließen, man muss es nur entschieden anpacken“, hat er mir auf meine Frage nach dem Gelde geantwortet.

      Wenn ich ehrlich bin, ich glaube sogar an den Erfolg dieses ’Dauerlächlers’, dieses Spinners. Und zwar gegen alle meine Vernunft.

      Sami hat etwas Gewinnendes, Suggestives. Damit schlägt er jeden in seinen Bann.

      Ich lerne den Rauch einer Zigarette einzuatmen, ohne zu husten. Es macht mich stolz. Ich genieße die warme Augustsonne auf meinem Körper und genieße die Nähe meines besten Freundes.

      Auch die Vorstellung ist toll, richtig beglückend, lange Zeit, nur das machen zu müssen, zu dem wir Lust haben.

      Deshalb gehen wir heute erst mal in die Stadt.

      Die Mädchen haben schließlich auch Ferien, klar!

      Und morgen zockeln wir dann zusammen zum Baden. Sami wird es schon richten.

      Wer hätte gedacht, dass Sami gleich zwei ‚Flammen‘ vom Gymnasium meiner Schwester, der Marie-Luise, abschleppt.

      „Du, die Christa Müller, um die kannst du dich ruhig mal ein wenig kümmern, die ist aus guter Familie.“

      Mist, da hat der Sami, dieser Himmelhund gespürt, dass ich auf Glubschaugen nicht so sehr stehe und schon gar nicht auf solch eine gequetschte Jungmädchenstimme. Obwohl, wenn man sie sich genau anschaut, dann ist es halb so schlimm. Ihr Vater ist übrigens Studiendirektor. Der Direks des Humbold-Privatgymnasiuns in der Bach-Straße.

      Schade, aber die Christa Müller ist so gar nicht mein Typ. Es sind nicht nur die Augen und die Stimme, die mich stören, sie ist mir einfach zu brav.

      Anita Sander ist das ganze Gegenteil. Rassig, keck und sieht toll aus. Sie gefällt mir wesentlich besser, ist doch klar.

      Aber Anita, diese flotte Biene hat ja nur Augen für unseren Sami. Das merkt ein Blinder mit dem Krückstock.

      Ausgezogen kann sich Christa allerdings durchaus sehen lassen.

      Lange hübsche Beine und einen ansprechenden Busen. Jedenfalls hat sie mehr hinter der Bluse, als ich anfangs vermutete. Das kommt nur daher, weil sie keinen BH trägt.

      Im Badeanzug an richtiger Stelle, zwei süße, knack-feste Mädchen-Hügel. Nachher, beim Rumalbern im Wasser, ergibt sich hoffentlich die Gelegenheit von unabsichtlichen Berührungen. Um Gotteswillen, sie darf das nicht mitkriegen. Sie ist der Typ, der Ärger macht.

      „Wer kommt mit auf den Zehner?“

      Was habe ich da gehört? Zehner! Ja, weiß denn der Sami überhaupt, was er da quatscht?

      Das Freibad ist rappelvoll. Wer oben auf dem Zehnerturm kneift, einen Rückzieher macht, hat ausgeschissen für den Rest seines Lebens.

      Wir jüngeren Rottlinger kennen uns doch nahezu alle persönlich, durch unseren ewigen Dienst in der Hitlerjugend.

      Sami, dieser Knallkopp, rennt los und zerrt Anita hinter sich her.

      Und was macht Christa?

      Christa umklammert so entschieden, so fest meine Hand, dass ich gar nicht anders kann. Ich lass mich tatsächlich widerwillig von ihr auf diesen vermaledeiten Sprungturm ziehen; sogar auf die oberste Plattform.