Ein Sommer in Cassis. Peter Berg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Berg
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Lesen ist das neue Reisen
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347113572
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Dann nahm er das Stück, legte es ohne den Inhalt zu begutachten auf einen Tisch und wandte sich wieder seinen Schreibarbeiten zu.

      Als ich anschließend durch die malerischen Gassen zum Hafen ging, war ich verwundert über diesen leichtfertigen Umgang mit Spuren. Er hatte offenbar gar nicht begriffen, dass hier wichtige Indizien vorlagen. Das waren dilettantische Unterlassungen, die, sollten sie Methode im gesamten Verfahren sein, dazu führen mussten, dass man diesen Mordfall kaum würde aufklären können! Er hatte sich im Übrigen weder nach meiner Identität erkundigt, noch sich auf einer Karte zeigen lassen, an welcher Stelle des Hafenbeckens ich die Tasche aus dem Wasser gefischt hatte. Auch das darf einem Polizisten, der immer und überall verpflichtet ist, Straftaten zu erkennen und aufzuklären, nicht passieren. Aber ich war nicht hier, um den französischen Kollegen ihre Arbeit zu erklären. Wieviele Chancen, begangene Verbrechen zu entdecken und aufzuklären, werden auch bei uns durch nachlässige Ermittlungen unfähiger Beamter vertan! Ich hatte einige Jahre an der Polizeischule gelehrt und konnte ein Lied davon singen, wie sehr uns die Probleme mit dem Nachwuchs zwangen, auch diejenigen noch einzustellen, die nach meiner Überzeugung kaum für den Beruf geeignet sind.

      Catherine, die hübsche Empfangsdame, schaute mir mit verheißungsvollem Blick entgegen, als ich über den Vorplatz des Hotels kam, der bis auf den letzten Platz mit kleinen, runden Tischen und Stühlen ausgefüllt war, an denen nun Kaffeegäste saßen.

      „Hallo Monsieur Schneider, hatten Sie einen angenehmen Tag nach dem schrecklichen Zwischenfall heute Morgen?“ Sie hauchte den Zischlaut ‚Sch‘ am Anfang meines Namens wie bei dem Wort ‚Chérie‘ und betonte die zweite Silbe.

      „Merçi“, entgegnete ich lächelnd, „Sie wollten mir vorhin etwas sagen?“

      „Die Polizei war hier, ich wollte Ihnen den Fortgang berichten, weil Sie doch heute früh alles miterlebt haben, als man die arme Isabelle aus dem Wasser zog.“ Sie war nun ins Deutsche gewechselt, das sie recht gut beherrschte und senkte etwas die Stimme, wie mir schien, um niemanden mithören zu lassen. Damit gab sie der Angelegenheit einen Hauch von Geheimnis.

      „Was haben sie gefragt?“ forschte ich weiter.

      „Sie glauben nicht an Mord. Sie haben nur die Fragen gestellt, die Sie mir auch schon heute früh stellten, seltsam, nicht? Wann ich sie zuletzt gesehen habe, wann ihre Arbeitszeiten waren, ob ich etwas von Freunden oder einer Freundin wüsste.“ Bedeutungsvoll verdrehte sie die Augen. Dann fuhr sie fort: „Ich habe den Commissaire gefragt, ‚wer tut einem jungen Menschen so etwas an‘? ‚aber er hat mich nur unverständig angeschaut und gebrummt: ‚Die Wasserleichen werden auch immer jünger‘. Und stellen Sie sich vor, was er dann wissen wollte!“

      „Was denn?“ musste ich wegen der Kunstpause nachfragen, denn sie versuchte, ihre Entrüstung durch Theatralik hervorzukehren, „nun sagen Sie schon!“

      „Er hat mich gefragt, ob ich in der letzten Zeit Depressionen bei ihr bemerkt habe! Nein, nicht im Entferntesten, habe ich geantwortet, aber es schien ihn nicht zu überzeugen, denn er blickte voll Zweifel.“

      „So gehen sie also tatsächlich von einem Freitod aus?“

      Sollten die französischen Kollegen die Indizien einer Gewalttat wirklich verkennen? Oder wollte man die beschauliche Atmosphäre des sommerlichen Ferienortes nicht stören, was gewiss fatale Folgen für den wichtigen Wirtschaftszweig des Tourismus haben könnte. Man lässt so lange nichts an die Öffentlichkeit, bis der Täter in einem überraschenden Akt schneller Aufklärung präsentiert werden kann. Dann entsteht schlagartig der Eindruck, die Polizei habe alles im Griff und man könne voller Vertrauen auf die Obrigkeit hier unbeschwert Urlaub genießen, auch wenn bedauerlicherweise mal ein solches Unglück passierte. Auch bei uns in Frankfurt hatten wir Ermittlungsergebnisse zur Messezeit nicht gleich an die Presse gegeben, um die weiteren Nachforschungen nicht zu gefährden. Manchmal ist es klüger, ohne die Öffentlichkeit zu ermitteln.

      „Genau das habe ich auch gefragt“, fügte Catherine hinzu, „Sie glauben doch nicht etwa, dass dieses fröhliche Ding lebensmüde war!“

      „Aber Madame“, habe der Commissaire nur lapidar geantwortet, „da ist mal wieder eine junge Frau ins Wasser gegangen, Liebeskummer, sie werden immer verrückter. Es ist schon das dritte Mal in diesem Sommer, immer war es Liebeskummer.“

      „Warum, meine Liebe, sagen Sie, erzählen Sie mir das alles?“ wollte ich nun wissen, und es regte sich ein bestimmter Verdacht in mir. Sie aber lachte spitzbübisch und etwas verlegen, denn sie war eher eine Meisterin der indirekten Andeutungen:

      „Monsieur, haben Sie für heute Abend schon ein Restaurant gewählt?“ Einige gute Tipps hatte ich diesbezüglich von ihr in den letzten Tagen bekommen, denn ich hatte mir schnell angewöhnt, jeweils abends in einem der hervorragenden Restaurants zu speisen, die es hier in den Straßen und an allen Plätzen zu Dutzenden gibt. Außerdem wollte ich wieder etwas abspek- ken. Kripoleute verfallen früher oder später dem Alkohol oder fressen sich

      Kummerspeck an, sonst können sie diesen Job nicht ertragen. Das war jedenfalls meine Theorie, und mich zählte ich zu der zweiten Kategorie.

      „Wollen Sie mir wieder eines empfehlen?“

      „Ja gern. Es gibt ein exzellentes Fischrestaurant an der Rue de l’Arène. Ich habe es Ihnen aus einem bestimmten Grund nicht empfohlen“. Sie lächelte vielsagend und schaute mir dabei ins Gesicht, als wolle sie testen, ob ich den Grund herausfinde. Ich hatte schon eine Vermutung, ich tat ihr nicht den Gefallen, diese mitzuteilen und ging statt dessen aufs Ganze:

      „Madame, darf ich Sie heute zum Abendessen einladen? Ich hoffe, Sie geben mir keinen Korb!“ Und bevor sie antworten konnte, fügte ich hinzu: „Sie wissen doch sicher so manches, was uns beiden in dieser mysteriösen Geschichte weiterhelfen könnte?“

      „Oui, Monsieur le Commissaire“, lautete die Antwort.

      „Oui? Zu welcher der beiden Fragen sagen Sie ja?“

      „Zu beiden, mein Herr“, lachte sie verschmitzt, „ja, ich weiß einiges, was uns weiterhilft, und ja, ich nehme Ihre Einladung gern an. Treffen wir uns um acht?“

      Sie hatte sich hübsch gemacht, fast hätte ich Catherine ohne ihre Arbeitskluft nicht wiedererkannt. Sie trug nun eine knallenge, schwarze Jeans, die ihre Figur betonte, und eine ebenso anliegende, weiße Satinbluse mit halbem Arm und atemberaubendem Ausschnitt. Mit dem dezenten Goldschmuck und der gebräunten Haut an Hals und Armen kam ihre gereifte Weiblichkeit besonders gut zur Wirkung.

      Wir hatten uns bei der Bar Cap Canaille verabredet, einem zentralen Punkt der Hafenpromenade. Dort trafen deren beide Schenkel fast im rechten Winkel zusammen.

      Ihr brünettes Haar trug sie nun schulterlang offen, was ihr sehr gut zu Gesicht stand.

      „Wie wäre es mit einem Aperitif?“ fragte ich direkt. Es war, wenn ich recht überlegte, das erste Rendezvous mit einer Frau seit Jahren, das nicht in einem beruflichen Zusammenhang stand. Die sommerliche Stimmung, die Ferne von meiner Arbeitsumgebung, die mir seit Langem kaum noch Luft für Privates ließ, aber auch das frische, offene Wesen dieser Frau, bei der ich spürte, dass auch sie das Leben mit all seinen Facetten schon erfahren hatte, gaben mir den Mut, so etwas zu beginnen.

      Gewiss, einige kurze Beziehungen waren schon gewesen nach meiner Scheidung, alle waren nach wenigen Wochen in die Brüche gegangen. Immer wieder hatten sich auch Zweifel eingeschlichen, ob es nicht auch an mir läge, vielleicht wirklich eine Beziehungsunfähigkeit eine Rolle spielte, wie Evelyn sie mir in den letzten Wochen unserer Ehe vorgeworfen hatte.

      „Ja gern“, hatte sie geantwortet und dann einen Moment gewartet, denn sie spürte meine Unsicherheit, als mir all dies durch den Kopf schoss. Da war er wieder, jener Zweifel.

      „Kommen Sie, hier gibt es einen hervorragenden Vin de Cassis“, lachte sie und ich bemerkte, dass sich, wenn sie nur herzlich genug lachte, ein kleines Grübchen auf der linken Wange zeigte. Zugleich stellte ich fest, dass sie, was ich zuvor noch nicht bemerkt hatte, eine winzige Nuance an Farbunterschied in ihren beiden Augen hatte, was ihrem Blick einen besonderen Reiz gab. Ihr rechtes Auge