Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans. Kim Forester. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kim Forester
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Clans von Cavallon
Жанр произведения: Природа и животные
Год издания: 0
isbn: 9783401808444
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      Kapitel 6

      Nixi wich mit einem Satz zurück. Der Steg stand in Flammen und das Feuer ging bereits auf die ersten Schiffe über! Gleich darauf wurde sie von einem der Monster beiseitegestoßen, das mit fliegenden Tentakeln an ihr vorbeipreschte. Sie sah das Weiße in seinen aufgerissenen Augen, dann sprang es über die Feuerwand und stürzte sich winselnd ins Wasser. Auch die Kelpies flohen schreiend zurück ins Meer, um sich vor den Flammen in Sicherheit zu bringen.

      »Nixi!«, rief eine Stimme.

      Es war Gryce. Neben ihm stand Jenera. Ihre Haarspitzen waren versengt und auf ihrer Wange glitzerte silbrig grünes Blut. Mit vereinten Kräften halfen sie Nixi zwischen den brennenden Schiffen und Kisten hindurch zurück auf die gepflasterte Gasse. Dort waren sie zwar vor den Flammen geschützt, doch die Hitze, die ihnen entgegenschlug, brannte entsetzlich auf Nixis schuppiger Haut. Der Schmerz war kaum auszuhalten, viel schlimmer, als sie ihn früher als Mensch wahrgenommen hätte. Sie fühlte sich, als wäre sie im Inneren einer Petroleumlampe gefangen.

      Es soll so höllisch lodern, dachte sie benommen. Dieses Feuer musste der Abwehrmechanismus sein, von dem Kapitän Dobber gesprochen hatte. Wie hatten sie das gemacht? Hatten sie Ölfässer in Brand gesetzt? Mit petroleumgetränkten Seilen, die sie an einem Ende angezündet hatten? Die Bewohner der Festungsinsel hatten schon immer auf Feuer gesetzt, um das Meervolk fernzuhalten, das sie fälschlicherweise für Geister hielten. Aber bisher hatten sie bloß draußen vor ihren Geschäften Laternen brennen lassen oder waren nachts nur mit einer Fackel in der Hand auf die Straße gegangen. Nixi hätte nie gedacht, dass sie bereitwillig in Kauf nehmen würden, die ganze Insel abzufackeln, um ihr Zuhause zu retten.

      Na ja, dachte Nixi weiter, während sie Jeneras und Gryce’ Hände abschüttelte. Manchmal gehen Menschen eben dumme Risiken ein, um das zu verteidigen, was ihnen lieb ist …

      Sie rannte zurück, geradewegs auf die Flammen zu, ohne auf die warnenden Rufe ihrer Meermenschenfreunde zu achten. Das Feuer hatte sich ausgebreitet. Es bildete jetzt eine geschlossene Wand direkt an der Hafenkante, durch die es kein Durchkommen mehr gab. Nixi rannte daran entlang, obwohl die heißen Planken der Docks ihre Fußsohlen verbrannten. Und dann sah sie es: Zwischen zwei Stützbalken gab es eine kleine Lücke in der Feuerwand. Sie sprang hindurch, den Mund zu einem stummen Schmerzensschrei aufgerissen, während die Hitze die Haut auf ihren Armen versengte, und stürzte sich kopfüber ins Meer.

       Ich komme, Floss.

      Wasser drang in ihre Lunge, bevor ihr Körper wieder auf Kiemenatmung umstellen konnte, was unangenehm war, aber das war Nixi egal. Zu groß war die Erleichterung, die das kühle Meerwasser ihrer gepeinigten Haut verschaffte. Schon bald begannen die verbrannten Stellen abzublättern. Die Wunden schmerzten im salzigen Wasser, aber auch das hielt Nixi nicht auf. Sie musste Floss finden! Wie lange war sie jetzt schon unter Wasser? War sie irgendwo wieder aufgetaucht? Hatte die Explosion sie erwischt?

      Panik hilft dir jetzt auch nicht weiter, ermahnte sie sich selbst. Sieh einfach zu, dass du sie findest.

      Nixi tauchte zum Meeresgrund hinab und suchte die Gegend rund um die brennenden Docks ab. Dabei musste sie immer wieder verkohlten Überresten von Schiffen und Stegen ausweichen, die ins Wasser fielen und den Schlamm am Grund aufwühlten. Daher kam Nixi nur langsam voran, denn ein ums andere Mal musste sie warten, bis sie wieder etwas sehen konnte.

      Doch alles, was sie fand, waren die Körper toter Monster und einiger Kelpies, die den Kampf nicht überlebt hatten. Das erste Kelpie, auf das sie stieß, war zierlich und hatte eine blassgrüne Mähne. Beklommen schwamm Nixi näher heran – aber zum Glück war es nicht Sorsha.

      So entsetzlich der Anblick der Leichen auch war, er gab Nixi neue Hoffnung. Wenn Floss tot wäre, läge sie auch dort unten.

      Hatte Floss es zurück auf die Insel geschafft? Nixi umrundete den Anlegesteg und kroch zurück an den Strand, auch wenn das bedeutete, dass sie sich einmal mehr der Hitze an Land aussetzen musste. Eine Wolke aus dichtem, stinkendem Qualm hing über der Insel und verschlug ihr fast den Atem. Ihre Augen begannen zu tränen. Angst und Sorge nagten in ihr, während sie über den Sand rannte und nach einem Durchlass in den Flammen suchte. Nixis Haut dampfte, wenn sie den Flammen zu nahe kam, und sie hatte schon zweimal ins Wasser zurückkehren müssen, um sich abzukühlen, doch sie suchte unermüdlich weiter.

      Da vorne! Auf der Promenade am Pier waren die Flammen niedriger. Das Feuer hatte den Großteil der hölzernen Planken verzehrt und fand auf dem steinernen Untergrund keine Nahrung mehr. Nixi rannte auf die Stelle zu und zog sich hinauf, aber der Stein war immer noch so heiß, dass die Haut an ihren Fingern Blasen warf. Sie setzte trotzdem ihre Füße darauf und lief los. Verzweifelt sah sie sich in alle Richtungen um. »Floss!«, schrie sie. »Floss!«

      Obwohl ein Teil der monströsen Kreaturen vor dem Feuer geflohen war, wimmelte es in den Straßen rund um die Docks immer noch von ihnen. Die Kelpies gaben nicht auf, sie zu bekämpfen. Nixi sah, wie Sorsha und Egeria eines der Monster unter dem wild hin und her schwingenden Schild vom Krähennest in die Ecke trieben, ohne sich um die Glut zu scheren, die auf sie herabregnete. Sie rannte an ihnen vorbei und rief weiter aus vollem Hals nach Floss, auch wenn ihre Schuppen sich bereits schmerzhaft trocken und rissig anfühlten. Aber darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen.

      Eine Straße weiter erblickte sie eine Gruppe großer Gestalten, die mehrere kleinere Gestalten an den qualmenden Überresten des Fischladens vorbeizerrten. Die kleineren wehrten sich mit Händen und Füßen, sie schrien, traten und schlugen um sich. Der Allerkleinste von ihnen biss den Mann, der ihn festhielt, in den Arm. Auch ohne ihre Gesichter zu sehen, wusste sie, wen sie da vor sich hatte: ihre Gang. Und die Männer, die sie gefangen genommen hatten, schleiften sie auf das finstere, mit Eisengittern verschlossene Gefängnis der Festungsinsel zu.

      Nixi fühlte sich, als würde sie entzweigerissen wie ein Segel im Sturm. Irgendwo da draußen wartete Floss auf ihre Hilfe – das hoffte sie jedenfalls – und hier direkt vor ihr wurde ihre Gang abgeführt und eingesperrt. Sie hatte selbst schon einige Nächte in diesem Gefängnis verbracht, wenn sie ausnahmsweise mal beim Klauen erwischt worden war. Daher wusste sie, was für ein schrecklicher Ort es war. Was würden die Wachen wohl erst mit Sylvie und den anderen anstellen, wenn sie die für Verräter hielten?

      Damit war ihre Entscheidung gefallen. Hustend vor lauter Qualm, rannte sie los. Sie versuchte, einen Blick auf ihre Freunde zu erhaschen, die in den Rauchschwaden verschwanden wie Schiffe im Nebel. Da trat plötzlich aus einer Seitengasse eine bullige Gestalt auf sie zu und verstellte ihr den Weg. Es war Kapitän Beecham – und er hielt eine Harpune in der Hand.

      »Dreckiger Abschaum«, knurrte er. »Widerliche Missgeburt!« Er stürzte sich mit erhobener Harpune auf sie.

      Ohne ihren Speer blieb Nixi nichts anders übrig, als kehrtzumachen und wieder auf die brennenden Docks zuzulaufen, weg von ihrer Gang. Die Fischerboote dort hatten inzwischen gewaltig Schlagseite. Ihre Masten ragten wie gigantische Fackeln in den Himmel und auch aus den Warenlagern schlugen haushohe Flammen. Nixi sprang über ein Brandloch im Boden und riskierte einen Blick zurück. Beecham kam in vollem Lauf auf sie zugestürmt. Sein Gesicht war hassverzerrt.

      Dann warf sich ihm ein Kelpie entgegen und rammte ihm die Vorderhufe mit solcher Wucht gegen den Brustkorb, dass Beecham rückwärts zu Boden ging. Die Harpune rutschte ihm aus der Hand und fiel durch ein Loch im Holzsteg.

      »Sorsha!«, rief Nixi. Um sie herum zerbrachen weitere Planken und ganz in der Nähe ertönte ein markerschütterndes Knirschen und Krachen, als Teile des Piers ins Meer stürzten. Dampf stieg zischend von der Wasseroberfläche auf.

      »Wir müssen hier weg!«, schrie Sorsha und galoppierte auf sie zu. In ihren violetten Augen spiegelte sich das Feuer. »Komm jetzt! Los!«

      »Aber meine Gang! Und Floss …«

      »Dafür ist es zu spät!«

      Verbittert musste Nixi einsehen, dass Sorsha recht hatte. Der restliche Pier stürzte ein und riss