Wenn die Nebel flüstern, erwacht mein Herz. Kathrin Lange. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Lange
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401809106
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       Blödmann!

      »Vermutlich nicht.« Weil Jessa nicht wusste, was sie sonst tun sollte, wandte sie sich an die alte Frau. »Hallo.«

      Verwirrt sah Elizabeth sie an. »Wer sind Sie?«

      Jessa schluckte schwer. »Mein Name ist Jessa«, sagte sie behutsam, setzte sich zu der alten Frau auf die Bank und stellte ihren Rucksack neben sich ab. »Ich bin die Schwester von Alice Downton. Kann es sein, dass Sie Alice mal getroffen haben? Auf …« Sie musste Mut fassen, bevor sie ergänzte: »High Moor Grange vielleicht?«

      Über Christophers Lippen kam ein leiser Fluch. »Hast du sie noch alle?«

      Jessa zwang sich, nicht zu ihm hinzusehen. Sie hatte den Namen des Herrenhauses absichtlich genannt in der Hoffnung, dass er bei Elizabeth etwas auslösen würde.

      »High Moor Grange«, murmelte die alte Frau. Es klang verloren und ein bisschen traurig und Jessa fragte sich, ob die Trauer von einer Erinnerung kam oder vielmehr daher, dass sie sich eben nicht erinnern konnte. Doch dann fügte Elizabeth hinzu: »Ja. Ja!« Sie schaute Jessa ins Gesicht und blinzelte verwirrt wie eine alte Eule, die unerwartet geblendet wurde.

      Bevor Jessa entscheiden konnte, wie sie weiter vorgehen sollte, atmete Christopher tief durch. Die Fassungslosigkeit wich aus seinem Blick und machte heller Wut Platz. »Kann ich dich kurz sprechen?«, fragte er durch zusammengebissene Zähne.

      Als Jessa nicht reagierte, packte er sie, um sie auf die Beine zu ziehen.

      »Spinnst du?« Sie schlug seine Hand weg.

      »Nein, du spinnst wohl, hier einfach herzukommen!« Da war abgrundtiefe Fassungslosigkeit in seinen Augen, die ihr ein schlechtes Gewissen machte. Und noch viel größer wurde dieses schlechte Gewissen, als ihm erneut Blut aus der Nase lief.

      Diesmal war es nicht nur ein dünner Faden.

      »Entschuldige mich.« Die Worte kamen erstickt aus seinem Mund. Mit einer hastigen Bewegung wandte er sich ab und während er davoneilte, zerrte er ein Taschentuch hervor, um die Blutung zu stoppen.

      Jessa war für eine Sekunde lang wie erstarrt, dann gab sie einem Impuls nach und rannte Christopher hinterher. Sie holte ihn ein, als er die Hand nach dem Griff der Glastür ausstreckte, die Park und Hauptgang des Hauses miteinander verband.

      »Kann ich dir irgendwie helfen?«

      Das Taschentuch auf die Nase gedrückt, warf er ihr einen undefinierbaren Blick zu. »Verschwinde einfach!«

      »Ich weiß, ich bin die Nervensäge vom Dienst, aber du siehst wirklich aus, als könntest du Hilfe gebrauchen.«

      Stumm schüttelte er den Kopf, eilte weiter. Sie kamen an eine Zwischentür. Wieder wollte Christopher sie öffnen, doch seine Beine gaben unter ihm nach und er wäre gestürzt, wenn Jessa ihn nicht festgehalten hätte.

      Eine endlose Sekunde lang standen sie ganz dicht beieinander, dann machte Christopher sich los. »Du gehst ja ganz schön ran …«

      »Klappe!«, fauchte Jessa ihn an.

      Er schwankte. Verdammt, das sah nicht gut aus!

      Jessa öffnete die Tür für ihn. Er wollte seinen Weg fortsetzen, doch er blieb er wie vor eine Wand gelaufen stehen. Sein ohnehin schon blasses Gesicht wurde totenbleich. Und zu dem Blut, das aus seiner Nase schoss, kam jetzt auch noch welches aus seinem Mund.

      Ohne zu überlegen, sprang sie ihm zu Hilfe, doch er wehrte ab. Es war eine matte Geste. »Nicht!«

      Beunruhigt zuckte sie zurück. War er ernsthaft krank? Ansteckend vielleicht?

      Bevor sie auch nur den Ansatz einer Idee hatte, was sie nun tun sollte, warf er den Kopf in den Nacken und stöhnte gepeinigt. Zum zweiten Mal gaben die Beine unter ihm nach, wieder stützte Jessa ihn.

      »Bring mich …«, seine Stimme war nur ein Hauch, »… nach High Moor …«

      »Auf keinen Fall! Du musst in ein Krankenhau…«

      »Nein!« So panisch klang er, dass sie mitten im Wort innehielt. »Kein … Krankenhaus, bitte!« Wieder krümmte er sich, stöhnte. »High Moor Grange. Schnell!«

      Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Ms Galloway ihnen nachgelaufen war, und auch zwei Pfleger näherten sich, um zu helfen. Jessa war drauf und dran, die Verantwortung für die Situation an diese Erwachsenen abzugeben, doch Christopher schüttelte flehend den Kopf.

      »Du bist mit der Enduro da, oder?«, fragte sie und als er nicht reagierte, packte sie ihn. »Wo hast du die Karre?«

      »Parkplatz«, ächzte er. »Haupteingang.«

      »Gut. Also los!« Jessa richtete sich auf, nahm seinen Arm und legte ihn sich über die Schulter.

      Was tust du da?, kreischte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden?

      Sie wusste es nicht. Während sie weiterwankten, kehrte ein wenig Kraft in Christopher zurück.

      »Kannst du … Motorrad fahren?«, fragte er. »Ich kann es nämlich gerade nicht.«

      Jessa nickte grimmig und sie war erleichtert, als sie den Haupteingang erreichten.

      Die Enduro stand auf einem kleinen Parkplatz rechter Hand. Jessa fummelte den Schlüssel aus Christophers Hosentasche, rammte ihn ins Schloss. Gleichzeitig schwang sie ein Bein über den Sitz.

      Mühsam kletterte er hinter ihr auf den Sozius.

      »Kannst du dich festhalten?«, fragte sie.

      Er nickte, das spürte sie, weil er den Kopf an ihren Rücken gelegt hatte. »Beeil dich«, bat er.

      »Du hast vergessen, einen dummen Spruch zu machen«, knurrte sie und startete die Maschine.

      Die ersten Meter fuhr sie schlingernd und unsicher. Es war zwei Jahre her, dass sie kurz mit einem viel älteren Schulkameraden gegangen war und ihn dazu gebracht hatte, ihr in einem alten Steinbruch außerhalb von London ein paar Motorradfahrstunden zu gegeben. Doch dann hatte er angefangen zu klammern und sie hatte Schluss gemacht.

      Als sie jetzt ein Gespür für Christophers Enduro bekommen hatte, gab sie Gas. Sie jagte durch die Straßen von Haworth, hoffte, dass die Polizei sie nicht anhalten würde und vor allem, dass sie nicht im nächsten Moment an einer Hausecke kleben blieben. Sie fuhr die enge, kurvige Straße hoch, die aus dem Dorf führte. Als die Häuser endlich hinter ihr lagen, drehte sie voll auf.

      Christopher hatte ihr die Arme um den Oberkörper gelegt. Immer wieder allerdings spürte sie, wie sein Griff schwächer wurde.

      »Halt durch!«, rief sie ihm gegen den Lärm der Maschine zu. Um die Tränen zu bekämpfen, die ihr der Fahrtwind in die Augen trieb, beugte sie sich so tief wie möglich über den Lenker. Christophers Gewicht lag schwer auf ihr. Warum zur Hölle fuhr diese Karre nicht schneller? Und wann endlich kam die Abzweigung, die nach High Moor Grange hochführte?

      Da! Gott sei Dank! Jessa nahm die Kurve schlingernd. Kurz stockte ihr Herz, als sie fürchtete, die Kontrolle zu verlieren, aber sie schaffte es, die Maschine wieder aufzurichten und weiterzufahren. Die Windungen des Weges allerdings zogen sich endlos …

      Und dann war Christophers Griff um ihre Taille plötzlich weg.

      »Festhalten!«, schrie sie.

      Doch es war zu spät. Sie spürte, wie er den Halt verlor. Alles, was sie tun konnte, war zu bremsen, damit der Sturz ihn nicht umbrachte. Nur am Rande nahm sie den Torbogen wahr, der in einiger Entfernung auftauchte. Christophers Gewicht zog die Maschine auf die Seite. Sie lehnte sich in die Gegenrichtung, aber vergeblich. Sie verlor das Gleichgewicht. Die Maschine kippte. Jessa riss den Lenker herum, um nicht an der Mauer zu landen. Ihr Körper prallte auf der Erde auf, sie rutschte, vom Schwung getragen, durch den Dreck. Wurde herumgeschleudert. Verlor die Orientierung. Bekam Erde und Gras in den Mund. Stieß sich den Schädel an einem Stein.

      Sie rappelte sich auf. Wo