Von der automatischen Zuordnung zum automatischen Zusammenspiel
Große automatisierte Online-Unternehmen können gar nicht anders: Bei ihnen treten Probleme wie bei einem Monopol auf, selbst wenn kein Monopol besteht. Anders als ein altmodischer Monopolist verfolgt Amazon nicht direkt das Ziel, einen kleinen Buchhändler in den Ruin zu treiben, und auch die Preisdifferenzierung erfolgt nicht aufgrund von böswilligen Absichten. Das alles passiert automatisch und ganz selbstverständlich.
In manchen Fällen neigen Sirenenserver zum Monopol, doch darauf gehen wir später noch ein. In anderen Fällen gibt es konkurrierende Sirenenserver, die nebeneinander bestehen. Es gibt Amazon und Apple, und neben Orbitz gibt es noch Priceline, Expedia und Travelocity.
Wenn man früher ein Monopol innehatte, winkte als Preis die Informationshoheit, mehr aber auch nicht. Wenn mehrere ähnliche Sirenenserver nebeneinander bestehen und die Informationshoheit über die Kunden besitzen, zwischen ihnen aber ein Informationsgleichgewicht herrscht, dann können sie gar nicht anders, sie wirken zusammen, auch wenn sie vielleicht gar nicht die Absicht haben und auch keine entsprechenden Maßnahmen treffen.23
Bei den früheren altmodischen geheimen Absprachen richtete man illegal einen besonderen Kanal ein, um eine Informationstransparenz zu schaffen. Transparenz ist nicht so weit verbreitet, wie man meinen könnte, dennoch gibt es heute deutlich mehr davon als früher, aber eben nur für die, die die größten und am besten vernetzten Computer haben. Dahinter steckt aber im Grunde keine Absicht, weil ein großer Teil der Online-Geschäfte automatisiert oder so gestaltet ist, dass er auf Abstand ausgelegt ist. Im Gesamtzusammenhang wird damit das Gegenteil dessen erreicht, was sich einem im kleinen Rahmen bietet.24 Man meint, Online-Dienste würden günstige Angebote für alle bieten, doch gleichzeitig klafft die Einkommensschere immer weiter auseinander und die soziale Mobilität nimmt ab. Wenn alle bessere Möglichkeiten hätten, müsste es dann nicht auch allen bessergehen?
Zerschlagung
Der Begriff »Zerschlagung« genießt bei Technologieunternehmen fast Heiligenstatus. Für Venture-Capital-Gesellschaften ist die Formulierung üblich, man suche nach Geschäftsideen, die »Märkte schrumpfen lassen«.[10] Etwas zu zerschlagen oder zu zerstören wird als große Leistung gefeiert. Im Silicon Valley hört man ständig, dass diese oder jene Branche reif für ihre Zerschlagung sei. Wir machen uns selbst etwas vor, wir tun so, als ob Zerstörung Kreativität erfordere. Das stimmt nicht. Es ist immer die gleiche Geschichte.
In der Technologie wird die extreme Effizienz digitaler Netzwerke wiederholt auf ein bestimmtes Gebiet angewandt, bis die Quellen der Wertschöpfung in den Bilanzen kaum noch auftauchen. Dafür werden wir am Ende völlig von dem Server kontrolliert, der das Programm betreibt. Das war schon früh bei der Musik und anderen Medien der Fall, doch das Muster wiederholt sich überall.
Mit der Umwandlung der Krankenversicherer in digitale Netzwerke wurden Allgemeinärzte in den USA immer mehr an den Rand des Marktes gedrängt. Mittlerweile fungieren sie nur noch als Knoten in einem Netzwerksystem, das von statistischen Algorithmen beherrscht und von den Versicherern und in geringerem Maße auch von den Pharmakonzernen verwaltet wird. Ärzte sollten durch vernetzte Informationen gestärkt werden, aber stattdessen werden sie in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt, weil sie nicht die Kontrolle über die Server besitzen, mit denen sie zu Beginn des Netzwerkzeitalters verbunden wurden. Aber warum hätten sie sich darüber Gedanken machen sollen?
Die »Zerschlagung« im Sinne der digitalen Netzwerktechnologie untergräbt die Grundidee des Marktes und des Kapitalismus. In der Wirtschaft geht es dann nicht mehr um verschiedene Beteiligte, die auf dem Markt einzigartige Positionen besetzen, sondern nur noch um eine kleine Anzahl allwissender Spionageunternehmen, was schließlich zur Schrumpfung aller Märkte führen wird.
Kapitel 7 Die Pioniere unter den Sirenenservern
Mein kleines Fenster zur Welt
Als die digitale Vernetzung der Welt begann, hatte ich eine Position inne, die mir ungewöhnliche Einblicke erlaubte. In den neunziger Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends war ich als Berater tätig und wurde zu allen möglichen Einrichtungen gerufen, von Staaten, Unternehmen, Kirchen, gemeinnützigen Organisationen. Ich beriet Universitäten, verschiedene Geheimdienste, jede Art von Unternehmen und jede Form von Finanzdienstleistern. Während meiner Beratertätigkeit arbeitete ich allein oder als Teil eines Teams für Wal-Mart, Fannie Mae, große Banken und Hedgefonds. Ich half auch bei der Gründung eines Startup-Unternehmens, das dann um das Jahr 2000 von Google aufgekauft wurde, und ich war in einem Labor tätig, wo sich das Planungsbüro für das Internet2-Projekt befand, ein akademisches Konsortium, das sich mit der Grundlagenforschung befasst, um das Internet größer und schneller zu machen.
Aus meinen Einblicken in diese verschiedenen Welten zog ich die Erkenntnis, dass sie alle eine bemerkenswerte Ähnlichkeit aufwiesen. Überall unterlagen die Menschen der Faszination der digitalen Netzwerke. Diejenigen, die bisher eine Schlüsselrolle spielten, erzielten durch die Netzwerke oft erstaunliche Vorteile, waren aber durch dieselbe Dynamik auch eingeschränkt, ja geradezu gefangen.
Gibt es überhaupt irgendetwas Neues unter der Sonne? Vielleicht war der Netzwerk-Wahnsinn des Finanzsektors zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur eine Wiederholung der Entwicklung, die 1929 zum Börsenkrach und der anschließenden Weltwirtschaftskrise führte, oder eine Neuauflage der chaotischen Boomjahre Ende des 19. Jahrhunderts, des »Gilded Age«? Vielleicht gab es die Sirenenserver schon immer?
Doch ich spreche hier nicht als Historiker, sondern als Zeitzeuge, und ich überlasse den Historikern die Entscheidung, wie viel unsere jüngste Vergangenheit mit anderen historischen Epochen gemein hat.
Mich interessiert vor allem, ob es heute neue Lösungsmöglichkeiten gibt, die in anderen Zeiten noch nicht verfügbar waren.
Wal-Mart als Software
Betrachten wir ein frühes Beispiel dafür, wie Computernetzwerke eine Branche weltweit verändern. Es handelt sich dabei nicht um ein soziales Netzwerk oder eine Suchmaschine, es stammt auch nicht von Mathematikern, die im Silicon Valley oder an der Wall Street arbeiten. Nein, es geht um Wal-Mart.
Wal-Mart ist ein Einzelhandelskonzern in der realen Welt, der immer Wert auf den direkten Kundenkontakt gelegt hat, der dennoch schon früh dem Lockruf der vernetzten Information folgte. Für die Lieferkette des Konzerns wurden schon lange vor der Entstehung von Suchmaschinen und noch vor dem Boom der Dotcom-Unternehmen und der sozialen Netzwerke Echtzeitdaten und Rechnerkapazitäten genutzt.
Insgesamt hat Wal-Mart dem Verbraucher viel Gutes gebracht. In den Jahrzehnten vor der massenhaften Einfuhr chinesischer Güter hatte man in den USA große Angst davor, dass der »schlafende Riese«, wie man die Volksrepublik nannte, eines Tages erwachen würde. China war noch viel undurchschaubarer als die Sowjetunion. Ich erinnere mich an viele ernsthafte Gespräche über einen möglichen dritten Weltkrieg.
Doch stattdessen trugen die Server von Wal-Mart dazu bei, dass China zur neuen Supermacht der Fertigungsindustrie aufstieg, indem sie die Nachfrage entsprechend steuerten. Natürlich hatte man auch früher schon an eine wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit gedacht, um eine neue Konfrontation zwischen Supermächten zu vermeiden, aber in den achtziger Jahren konnte man sich das nur schwer vorstellen. Und doch ist es so gekommen. Das ist sicher einer der deutlich positiven Effekte der digitalen Vernetzung in ihrer noch jungen Geschichte.25
Sirenenserver können also auch Gutes bewirken. Ich behaupte ja auch gar nicht, dass Sirenenserver immer nur Schaden anrichten. Oft erreichen sie zumindest kurzfristig viel Positives. Allerdings nutzen wir die Macht der Netzwerke zur Optimierung der völlig falschen Dinge.
Aus der Sicht der Lieferkette
Da ich in den neunziger Jahren für