Amour bleu. Andreas Bahlmann . Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Bahlmann
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Короткие любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783862872350
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Reise auf den Gleisen zu dieser einzigartigen Großstadt schüttelte meinen guten Freund Chandon in meine Gedanken.

      Unsere Freundschaft begann zufällig in einem Pariser Bistro-Café, ausgelöst durch einen umgefallenen Stuhl.

      Zufällig?

      So richtig mag ich nicht an Zufälle glauben. Sie erweisen sich doch meistens als Verkettungen von Zufälligkeiten, deren jeweilige Geschichten beinahe zwangsläufig, aber zufällig zusammengeführt werden, was dann wiederum vom Zufall abhängt.

      Damals wurde in diesen Pariser Bistros noch viel geraucht, und beim Betreten empfing einen diese unvergleichliche Geruchs-Melange aus Pastis, Rotwein, Espresso und dem unparfümierten Tabakqualm der französischen Gauloises oder Gitanes.

      Die kleinen blauen Zigarettenschachteln mit dem Gallier-Helm oder die flachen, blauen, aufschiebbaren Pappschachteln mit der abgebildeten Tamburin spielenden und tanzenden Zigeunerin, waren als französisches Kulturgut überall erhältlich.

      Ich liebte diesen süßlich-herben, schweren Geruch und die leicht hallige Akustik der Bistros mit ihren gefliesten Böden, auf denen nach Feierabend die graue Asche, ausgetretene Zigarettenkippen, zusammengeknüllte Papierservietten, leere Zuckertütchen, heruntergefallene Baguette- oder Eierschalenreste vom Kellner, manchmal auch vom Patron selbst, mit Besen und Kehrblech zusammengefegt wurden. Aber nicht selten wurde der ganze Boden-Unrat auch mit Schwung über den Gehweg in den Rinnstein gefegt, um dort den im Morgengrauen auftauchenden, sich träge vorwärts schleichenden, alles in sich aufsaugenden Kehrmaschinen, gelenkt von dösenden, stumpf und müde dreinblickenden Fahrern, zum Fraß vorgeworfen zu werden.

      Damals betrat ich um die Mittagszeit das Bistro-Café Les Colonnes in der Rue du Général Leclerc, nahe der Metro-Station Issy-les-Moulineaux.

      Drinnen war es ziemlich voll und laut.

      Die französische Lebhaftigkeit und legere Lebensart vermischte sich mit dem geschäftighektischen Geschirr-Geklapper, übertönt vom kreischenden Zischen der Kaffee-Maschinen beim Zubereiten von Espresso und Milchschaum.

      Ich schaute mich nach einem freien Platz um.

      Ich verspürte keine Lust auf einen Kaffee im Stehen an der Theke, auch wenn der Verzehr von Getränken oder essbaren Kleinigkeiten dort preiswerter als auf einem der Sitzplätze war. Am teuersten war es draußen, an einem der Tische an der Straße, wegen der längeren Bedienungs-Wegstrecke.

      An der Theke hingegen erfuhr man die Vorzüge einer schnörkellos direkten, jede Überflüssigkeiten vermeidenden Bedienung.

      Entweder wurden das Getränk oder der kleine Imbiss resolut knackig vor dir abgestellt oder rutschten mit viel Schwung und punktgenauem Stopp zu deinem Platz. Man brauchte nur noch die Hand zu senken, einzutauchen und umzurühren, wenn man bereits einen Löffel in der Hand hielt oder einfach reinzubeißen. Am Fenster, an einem der kleinen runden Tische, entdeckte ich einen freien Platz. Ich bahnte mir einen Weg durch die eng sitzenden, schwatzenden, flirtenden, lesenden und lachenden Bistro-Gäste und blieb am Tisch hinter dem freien Stuhl stehen. Gegenüber saß ein etwas unscheinbar und älter aussehender Mann. Er schien tief in seine Gedanken versunken und schaute seitlich nach draußen. Seinen dunklen, grobstoffigen Mantel hatte er nicht abgelegt, ebenso wenig seine Baskenmütze. In seinen Händen hielt er behutsam eine Postkarte. Vor ihm auf dem Tisch stand auf einem dickrandigen Unterteller eine leergetrunkene Espresso-Tasse, an deren Rand sich braune, verkrustete Spuren heruntergelaufenen Espressos abzeichneten.

      Inmitten dieser lärmenden, lebhaften Umgebung strahlte der Mann eine seltsame aber angenehme Ruhe aus, beinahe wie eine Oase der Stille.

      Ich fragte ihn, ob der Platz an seinem Tisch noch frei wäre.

      Sofort tauchte er freundlich lächelnd aus seinen Gedanken auf und bot mir mit einer einladenden Geste den freien Stuhl an. Ich setzte mich dankend und bestellte einen doppelten Espresso.

      Mein Gegenüber orderte das Gleiche.

      Wir schauten durch das Fenster und verfolgten schweigend das geschäftige Treiben draußen auf der Straße. Vor uns stauten sich ungehalten hupende Autos, die nicht weiterfahren konnten, weil ein Lieferwagen auf der Fahrbahn parkte. Sein Fahrer, ein untersetzter Mann in Latzhose, mit schmutzig-gelb erkaltetem Stummel einer filterlosen Maispapier-Zigarette zwischen seinen Lippen, stand vornübergebeugt, vom Hupkonzert gänzlich unbeeindruckt, in der geöffneten Hecktür seines Vehikels und lud in aller Seelenruhe seine Warenkartons aus. Wieder andere Autos hupten nervös, weil die Vorderleute nicht zügig genug durch den Verkehr drängten. Klingelnde und laut knatternde Mopeds suchten im Slalom schlängelnd ihren Weg durch die überfüllten Fahrspuren. Fußgänger, selten mal ein Radfahrer, passierten den Bürgersteig vor unserem Fenster. Die meisten Passanten gingen eiligen Schrittes vorbei. Einige hielten Aktentaschen in der Hand, manche hatten lange Papprollen unter den Arm geklemmt und hetzten zum nächsten Termin. Ein Grüppchen von jüngeren und älteren Frauen stöckelte, mit ihren an feinen Riemchen in der Armbeuge hängenden Handtaschen, fröhlich schwatzend an uns vorbei.

      Etwas weiter weg schien ein eng umschlungen flanierendes Liebespaar das hektische Geschehen um sich herum komplett auszublenden.

      Das Geschenk der Liebe, eine wohltuende Ausnahme angesichts der rastlos hastenden und eilenden Passanten-Gemeinde.

      Einige übertrieben es mit der Terminhetze und rempelten rücksichtslos einen auf seinen Handstock gestützten vorsichtig dahintappenden Greis an. Andere verfehlten im Sprint gegen die Zeit nur um Haaresbreite eine mit schweren Tragetaschen bepackte, gebeugt gehende alte Frau, die dadurch fast zu Fall kam.

      Die alten Leute hatten unendlich viel Zeit und Würde in ihren Bewegungen und erschienen wie lebende Mahnmale wider die Hetze des geschäftigen Lebens.

      »Was für ein irrsinniger Wahnsinn«, dachte ich beim Betrachten dieser Szenerie auf dem Trottoir vor mir.

      Im selben Moment sprang unvermittelt mein Tischnachbar auf. Dabei schleuderte sein Stuhl in die Sitzgruppe hinter ihm. Das allein wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick eine Pelzmantel-Frau mit überladener Figur und üppig aufgetragenem Make-up und Wimperntusche ein etwas zu großes Stück Torte auf der zu kleinen Kuchengabel balanciert hätte, um damit ihren apricotfarbenen Pudel zu füttern.

      Der schwungvoll umkippende Stuhl versetzte der Frau einen Stoß, sie erschrak und das Stück Torte krönte den mit rosa Schleifchen versehenen Fellschopf des Pudels mit einer klebrig-süßen Krone aus Zucker und Sahne.

      Die Frau kreischte auf, und für einen Augenblick verstummte fast alles im Bistro. Der Schrei erschreckte meinen aufgesprungenen Tischnachbarn, er drehte sich mit wirbelndem Mantel um.

      Natürlich befand sich daraufhin mit Schlagsahne verzierter Kaffee auf dem zart violetten Kostümrock der Dame mit Pudel. Mit vor Entsetzen entgleisten Gesichtszügen und hysterisch nach Luft japsend fuhr die Dame hoch, und der Pudel purzelte zu Boden. Laut knisternd und funkensprühend unterstrich der synthetische Kostümstoff jede ihrer Bewegungen. Im selben Moment war die sahnige Torten-Krone als Beute in der apricotfarbenen Hundeschnauze verschwunden.

      Mit tief gesenktem Blick und verlegen um Worte ringend entschuldigte sich mein Tisch-Geselle bei der fassungslosen Frau für sein Malheur. Mit hilflos ungelenken Bewegungen versuchte er, die Sahne- und Kaffee-Flecken wegzuwischen. Der Reinigungserfolg war nicht einmal mäßig, dafür waren die Flecken jetzt großflächig verteilt.

      Mit einem wutschnaubenden »Weg hier!« wischte die Pelzmantelfrau den mit Lappen und Handtuch herbeigeeilten Kellner zur Seite.

      Mein Tischnachbar unterbrach abrupt seine entschuldigenden Gesten. Mit ungläubigem Blick starrte er die Dame an:

      »… Nati …, Du? … Du bist es tatsächlich! … Daß wir uns so wiedertreffen würden …«

      Weiter kam er nicht, zu gewaltig schüttelte ihn eine Lachsalve. Mehr zu sagen war aber auch gar nicht möglich, denn Pelzmantel und rosa Dutt wurden bereits von der bekleckerten Dame mit kurztaktigen Schritten zum Ausgang gestöckelt.

      Der zuvor ungehalten weggewischte Kellner schickte sich an, mit der unbeglichenen