„Was ist mit ihm?“
„Er schläft wie ein Baby.“
Bruno grinste zufrieden und gab seinem Mädchen einen Klaps auf die Kehrseite. „Bist’n Schatz.“
Sie kicherte. „So habe ich mich ihm vorgestellt. Schatz. Romy Schatz. Meine Freunde nennen mich Schätzchen.“
„Gut, Schätzchen, dann lass uns jetzt mal an die Arbeit gehen.“
22
Dr. Sven Kayser streckte den Kopf zur Tür herein und fragte: „Ist Besuch erwünscht?“
Nicola Sperling freute sich, ihn zu sehen. Sie lächelte und nickte. Er trat ein, küsste sie auf die Wangen, und setzte sich neben ihr Bett.
Körperlich ging es ihr schon recht gut, nur seelisch noch nicht. An diesem Knacks würde sie noch eine Weile leiden. Selten hatte sich eine Frau so sehr auf ihr Baby gefreut, und ausgerechnet ihr war es nicht gegönnt gewesen, es auszutragen und zur Welt zu bringen.
Dr. Kayser hatte vorhin mit Dr. Gabriele Beyer-Horn gesprochen. Ob eine neue Schwangerschaft möglich war, konnte die erfahrene Ärztin zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig.
„Du siehst recht gut aus“, stellte der Grünwalder Arzt fest.
„Man betreut mich wie eine Königin“, erklärte die junge Kinderärztin, doch ihr Lächeln erreichte die Augen nicht.
Sven deutete eine leichte Verneigung an. „Haben Majestät einen Wunsch?“
Nicola nickte. „So ungefähr läuft das.“
„Kann ich irgend etwas für dich tun?“, erkundigte sich der Allgemeinmediziner.
Sie nahm seine Hand und drückte sie. „Sehr lieb von dir, Sven, aber für mich wird bereits alles getan.“ Ein düsterer Schleier breitete sich über ihre Augen, und ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. „Es wird mir sehr schwerfallen, wieder auf der Kinderstation zu arbeiten.“ Sie drehte ihr Gesicht zur Seite. „Wenn man von morgens bis abends mit Kindern zu tun hat, es einem aber selbst nicht gegönnt ist, eins zu bekommen …“
„Das steht noch nicht fest“, fiel der Grünwalder Arzt seiner jungen Kollegin ins Wort.
Nicola Sperling sah ihn noch immer nicht an. „Ach, Sven, machen wir uns doch nichts vor …“
„Das tun wir nicht“, behauptete Dr. Kayser mit Nachdruck. „Du wirst dich erholen, wieder zu Kräften kommen und noch einmal schwanger werden.“
„Das wäre mein sehnlichster Wunsch“, sagte Nicola, „aber ich wage nicht, mich an diese Hoffnung zu klammem, weil ich panische Angst davor habe, enttäuscht zu werden.“ Sie drehte ihr Gesicht wieder zu ihm. „Ich könnte das nicht verkraften, Sven. Ich würde daran zerbrechen.“
23
„Los!“, sagte Bruno Pfaff. „Pack an, Rosy! Nimm seine Beine! Wir tragen ihn ins Schlafzimmer.“
„Wo ist das?“
„Keine Ahnung. Ich bin genau wie du zum ersten Mal in dieser Wohnung. Aber so viele Möglichkeiten gibt es ja nicht.“
Sie fanden das Schlafzimmer auf Anhieb, legten den besinnungslosen Chirurgen aufs Bett und entkleideten ihn. Danach zog Rosy Kupfer sich aus und legte sich zu Dr. Lorentz, und Bruno Pfaff schoss eine Menge kompromittierender Fotos von den beiden, wobei er darauf achtete, dass nicht zu sehen war, dass Torben nicht bei Bewusstsein war.
Er gab fortwährend Anweisungen, die Rosy stets unverzüglich und sehr geschickt in die Tat umsetzte. Sie arbeiteten wie ein bestens aufeinander eingespieltes Team.
Bruno lachte. „Mit diesen Aufnahmen können wir ihn fertigmachen. Du machst deine Sache hervorragend, Schätzchen. Bruno ist mit dir sehr zufrieden.“
„Das ist mir sehr wichtig“, sagte Rosy, während sie so lange weitermachte, bis Bruno sie aus der Pflicht entließ.
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Okay, Schätzchen, zieh dich an, wir sind fertig. Er wird bald zu sich kommen. Das k.o.-Pulver wirkt nicht sehr lange. Wir müssen weg sein, wenn er die Augen aufschlägt.“
Rosy sprang gehorsam aus dem Bett, schlüpfte in ihre Sachen, schmiegte sich an ihren Freund und verlangte: „Küss mich.“
Er tat es.
„Ich liebe dich, Bruno“, sagte sie heiser.
Er grinste selbstgefällig. „So ist es richtig.“
„Ich würde jederzeit alles für dich tun.“
„Ich weiß, Schätzchen“, sagte Bruno Pfaff und strich ihr mit der Hand über den verlängerten Rücken. „Deshalb bin ich auch so gern mit dir zusammen.“ Sie verließen die Wohnung des Chirurgen. Niemand beobachtete sie dabei, und es sah sie auch keiner aus dem Haus treten. Arm in Arm entfernten sie sich – wie ein harmloses Liebespaar.
Als sie um die Ecke verschwanden, schlug Torben Lorentz in seinem Schlafzimmer die Augen auf und blickte sich verwirrt um. Was war passiert?
Sein Erinnerungsvermögen war noch blockiert, sein Geist war noch gelähmt, aber von Sekunde zu Sekunde kamen seine Gedanken besser in Schwung.
Das Mädchen mit den roten Zöpfen … Er hatte sie angefahren und mit in seine Wohnung genommen … Zur Schockbekämpfung hatten sie einen Whisky getrunken und dann …
Blackout!
Was hat die Gedächtnislücke ausgelöst?, fragte sich Dr. Lorentz. Wieso liege ich hier im Schlafzimmer? Wieso bin ich nackt? Hat Romy mich ausgezogen, nachdem ich zusammengeklappt bin? Wo ist sie?
Er stand auf. Der Restnebel, der auf seiner Erinnerung lag, lichtete sich. Er zog sich an und trat aus dem Schlafzimmer. Stille herrschte in der Wohnung.
„Romy?“
Keine Antwort.
„Romy Schatz?“
Nichts. Stille.
„Schätzchen?“
Keine Reaktion.
Er war allein. Romy musste ihn zu Bett gebracht haben und dann gegangen sein. Er erinnerte sich, dass sie es eilig gehabt hatte. Deshalb war sie ihm ja vor den Wagen gelaufen. Torben suchte sie. Sie war tatsächlich nicht mehr hier. Nicht mal eine Nachricht hatte sie hinterlassen. Wie mochte es ihr gehen? War sie wirklich unverletzt?
Torben fiel auf, dass die Whiskygläser nicht mehr auf dem Couchtisch standen. Er fand sie in der Küche auf der Abtropftasse der Spüle.
So einen ordnungsliebenden Eindruck hatte Schätzchen gar nicht gemacht. Torben wälzte das Telefonbuch, aber eine Romy Schatz fand er nicht.
Ich kann sie nicht einmal fragen, wie es ihr geht, dachte er, während er das Telefonbuch wieder zuklappte. Muss mich darauf verlassen, dass sie keinen Schaden genommen hat – und dass mir aus der ganzen Angelegenheit keine Unannehmlichkeiten erwachsen. In seinen Schläfen befand sich ein leichtes Ziehen und Bohren. Er massierte sie mit seinen Fingerkuppen, machte kreisende Bewegungen, das war angenehm.
Dreiunddreißig Jahre war er alt – und er hatte noch nie einen Blackout gehabt. War ihm der Schock tiefer in die Glieder gefahren, als er angenommen hatte?
Es läutete an der Tür, und als Torben öffnete, stand Dr. Kayser vor ihm.
„Hallo, mein Freund“, sagte der Grünwalder Arzt und trat ein. „Ich habe deinen Wagen vor dem Haus stehen sehen und sagte mir: Schau mal nach, wie es Torben geht.“
„Nett