»Sie wollen sehen Steinbrüche von Granit, Sir? Diese Esel sehr gut. Andere Esel sehr schlecht, Sir, immer hinfallen die Esel …«
»Sie wollen Postkarte – sehr billig – sehr, sehr schön …«
»Sehen, Lady … Nur zehn Piaster – sehr billig – Lapis – hier Elfenbein …«
»Hier Fliegenwedel sehr gut – alle Bernstein …«
»Sie wünschen Boot fahren, Sir? Ich habe sehr gute Boot, Sir …«
»Sie wollen zurück zu Hotel, Lady? Diese Esel erste Klasse …«
Hercule Poirot versuchte diesen menschlichen Fliegenschwarm mit Händen und Armen zu verscheuchen. Rosalie stakste hindurch wie eine Schlafwandlerin.
»Man tut am besten, als wäre man taub und blind«, sagte sie.
Die schmutzigen Straßenjungen liefen jammernd und murmelnd neben ihnen her. »Bakschisch? Bakschisch? Hipp hipp hurra – sehr gut, sehr schön …«
Ihre fröhlich bunten Lumpen schleiften malerisch hinter ihnen her, und auf ihren Lidern klebten ganze Schwärme von Fliegen. Die Jungen waren am hartnäckigsten, die Händler dagegen ließen irgendwann ab und warfen sich mit frischer Kraft auf die nächsten Passanten.
Der Spießrutenlauf führte Poirot und Rosalie jetzt nur noch an Läden entlang – der Ton war hier auch zuvorkommender, gewinnender …
»Möchten Sie heute mein Geschäft besuchen, Sir?« – »Wünschen Sie dieses Elfenbeinkrokodil, Sir?« – »Sie waren noch nicht in meinem Laden, Sir? Ich habe sehr wunderschöne Sachen.«
Den fünften Laden betraten sie, und Rosalie gab ein paar Filmrollen ab – der Anlass des Spaziergangs. Wieder draußen, schlenderten sie zum Nilufer. Eben legte einer der Dampfer an. Poirot und Rosalie sahen neugierig den Passagieren nach.
»Ganz schön viele, nicht?«, fand Rosalie. Dann drehte sie den Kopf, denn plötzlich tauchte Tim Allerton bei ihnen auf. Er war ein wenig außer Atem, als wäre er schnell gegangen.
Ein, zwei Augenblicke standen sie so da, schließlich zeigte Tim auf die Passagiere, die aus dem Dampfer kletterten, und bemerkte verächtlich: »Ein scheußliches Gewühl, wie immer, nehme ich an.«
»Normalerweise sind sie ziemlich furchtbar«, stimmte Rosalie zu.
Alle drei strahlten die Überlegenheit derer aus, die schon länger an einem Ort sind und die Neuankommenden mustern.
»Hoho!«, rief Tim plötzlich aufgeregt. »Ich will verflucht sein, wenn das da nicht Linnet Ridgeway ist.«
Die Information schien Poirot nichts zu sagen, erregte jedoch Rosalies Interesse. Sie lehnte sich vor, und alles Schmollen war von ihr abgefallen. »Wo? Die da in Weiß?«
»Ja, die mit dem stattlichen Mann. Die gerade an Land gehen. Wahrscheinlich ist das der frischgebackene Ehemann. Der Name fällt mir gerade nicht ein.«
»Doyle«, sagte Rosalie. »Simon Doyle. Stand in allen Zeitungen. Sie schwimmt direkt in Geld, nicht?«
»Och, sie ist bloß das reichste Mädchen in ganz England«, gab Tim fröhlich zurück.
Schweigend sahen die drei zu, wie die Passagiere an Land gingen. Poirot beobachtete höchst interessiert den Gegenstand der Bemerkungen seiner beiden Begleiter und murmelte schließlich: »Sie ist wunderschön.«
»Manche Leute haben einfach alles«, sagte Rosalie bitter. Etwas merkwürdig Missgünstiges lag in ihrem Gesicht, während sie zusah, wie das andere Mädchen die Planken entlangging.
Linnet Doyle war perfekt aufgemacht, so als schritte sie geradewegs in eine Theaterrevue. Ihr Auftritt war souverän wie der eines Bühnenstars. Sie war gewohnt, angesehen und angehimmelt zu werden und, wo immer sie hinkam, im Mittelpunkt zu stehen.
Die neugierigen Blicke, die auf ihr ruhten, waren ihr sehr wohl bewusst und gleichzeitig auch nicht – diese Art Tribut gehörte zu ihrem Leben. Sie spielte Landgang, obwohl sie diese Rolle nur unbewusst gab. Die schöne reiche Braut der feinsten Gesellschaft auf Hochzeitsreise. Mit einem kleinen Lächeln und einer leisen Bemerkung drehte sie sich zu dem großen Mann an ihrer Seite. Er antwortete, und der Klang seiner Stimme schien Poirot zu interessieren. Er bekam leuchtende Augen und kniff die Augenbrauen zusammen.
Jetzt ging das Paar dicht an ihnen vorbei, und Poirot hörte Doyle sagen: »Wir versuchen die Zeit dafür zu finden, Liebling. Wir können doch einfach ein, zwei Wochen dableiben, wenn es dir hier gefällt.«
Dabei sah er sie an, begehrlich, bewundernd, ein bisschen unterwürfig.
Poirot musterte ihn nachdenklich von oben bis unten – die breiten Schultern, das sonnengebräunte Gesicht, die dunkelblauen Augen, die beinah kindliche Arglosigkeit in seinem Blick.
»So ein Glückspilz«, sagte Tim, als sie vorbeigegangen waren. »Eine Millionenerbin, die weder Polypen noch Plattfüße hat, ist ein Volltreffer!«
»Sie sehen schrecklich glücklich aus«, sagte Rosalie mit einem Anflug von Neid. Und gleich danach, aber so leise, dass Tim es nicht hörte: »Das ist nicht gerecht.«
Poirot jedoch hatte es gehört. Er runzelte verblüfft die Stirn und sah dann kurz zu ihr hinüber.
Tim erklärte gerade: »Ich muss noch ein paar Sachen für meine Mutter besorgen«, zog den Hut und ging davon.
Poirot und Rosalie schlenderten langsam, immer wieder feilgebotene Esel abwimmelnd, zurück zum Hotel.
»Das ist also nicht gerecht, Mademoiselle?«, fragte Poirot sanft.
Das Mädchen wurde rot und wütend. »Ich weiß gar nicht, was Sie meinen.«
»Ich habe nur wiederholt, was Sie gerade eben geflüstert hatten. O doch, das haben Sie.«
Rosalie Otterbourne zuckte die Schultern. »Das ist ja wohl auch wirklich ein bisschen zu viel für einen einzigen Menschen. Geld, gutes Aussehen, tolle Figur und –« Sie hielt inne.
Poirot vollendete: »Und Liebe? Was? Und Liebe? Aber Sie wissen doch gar nicht – vielleicht ist sie ja nur wegen ihres Geldes geheiratet worden!«
»Haben Sie nicht gesehen, wie er sie angeguckt hat?«
»O doch, Mademoiselle. Ich habe alles gesehen, was es zu sehen gab – und übrigens auch etwas, das Sie nicht gesehen haben.«
»Was denn?«
Bedächtig antwortete Poirot: »Ich, Mademoiselle, habe dunkle Schatten unter den Augen einer Frau gesehen. Ich habe eine Hand gesehen, die einen Sonnenschirm so fest umklammert hielt, dass die Knöchel ganz weiß waren …«
Rosalie starrte ihn an. »Und was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will nur sagen, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich will sagen, auch wenn diese Lady reich und schön ist und geliebt wird, irgendetwas stimmt trotzdem nicht. Und ich weiß noch etwas.«
»Ja?«
»Ich weiß«, Poirot runzelte wieder die Stirn, »irgendwo und irgendwann habe ich diese Stimme schon einmal gehört – Mr Doyles Stimme –, und ich wüsste liebend gern, wo.«
Aber Rosalie hörte nicht mehr zu. Sie war stehen geblieben und zeichnete mit der Sonnenschirmspitze Muster in den Sand. Plötzlich brach es grimmig aus ihr heraus: »Ich bin abscheulich. Ich bin abscheulich. Ich bin einfach durch und durch ein Biest. Aber ich möchte ihr am liebsten die Kleider vom Leib reißen und auf ihrem hübschen, arroganten, selbstgefälligen Gesicht herumtrampeln. Ich bin eben eine eifersüchtige Zicke – aber so empfinde ich es. Sie ist so widerwärtig erfolgreich und gelassen und selbstsicher.«
Hercule Poirot schien ein bisschen verwundert über den Ausbruch. Er packte Rosalies Arm und schüttelte sie sanft und freundschaftlich. »Tenez – gleich fühlen Sie sich besser, weil