Der Sommer mit Josie. Sandy Lee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandy Lee
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Короткие любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783969405147
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und halte dich bereit …«

      Daniel hob das Plattencover hoch: »Peter Maffay.«

      Barbaras Augen wurden feucht. Sie schluckte, aber sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Hemmungslos begann sie zu weinen, während die Worte in der Luft lagen:

      »… doch aus dem Kind von gestern

       wird nun langsam eine Frau.«

      Daniel legte das Cover hin, drehte die Musik leiser und ging langsam zur Couch.

      »Mama …«

      Barbara blickte ihr Kind mit endloser Wärme an, dann fasste sie ihn plötzlich und drückte ihn heftig an sich. In diesem Moment füllten sich auch Daniels Augen mit Tränen. Beide schluchzten.

      »Daniel … Josie …« Barbara fand keine weiteren Worte. Sie fühlte nur, es war das letzte Mal, dass sie ihren Sohn umarmte und zugleich das erste Mal, dass sie ihre Tochter an sich drückte.

      Daniel sagte mit leiser Stimme: »Mama, du hast mir mal erzählt, wie Papa und du euch das erste Mal geküsst habt. Es war an jenem Tanzabend. Er hat dich an sich gezogen, und du wusstest, er war deine große Liebe. Sie spielten dieses Lied.«

      »Ja, mein Kind, ja …«

      Barbara war immer noch völlig überwältigt. Überwältigt von den Ereignissen der letzten Minuten und von den Erinnerungen an einen der schönsten Augenblicke ihrer Jugend. Konnte je ein passenderer Name für ihr Kind gefunden werden?

      »Josie …«, stammelte sie, »Josie, mein Mädchen.«

      Ein Lächeln glitt über ihr verweintes Gesicht.

      6

      Barbara hatte das Mittagessen zubereitet. Die Tränen waren getrocknet, alle Spuren der vergangenen Emotionen im Gesicht beseitigt. Ilsa sollte nicht sehen, dass ihre Mutter geweint hatte.

      In Anbetracht der Grillparty für Ilsa gab es heute nur Eierkuchen. Das Mädchen würde später genug essen können. Und auf den Rest der Familie wartete auch ein Extra-Abendbrot.

      Viertel vor zwölf war Ilsa zurück. Aber wie …

      Kaum durch die Tür, schaute sie sich ihre Familie genau an. Zu ihrer Befriedigung konnte sie feststellen, dass die Stimmung gelöster zu sein schien. Also sollte der Notstand nicht mehr so arg sein.

      »Geht's euch gut?«, fragte sie.

      Schon die Zweite heute, für die dieser Satz ungewöhnlich war. Barbara wurde misstrauisch.

      »Warum sollte es uns nicht gut gehen?«

      Ihre Tochter kam sich wieder so richtig verkohlt vor. Sie konterte: »Weil es euch die ganze letzte Zeit anscheinend richtig scheiße gegangen ist! Mann, ihr seid rumgelaufen wie Gespenster und habt pausenlos Mist erzählt – wenn ihr überhaupt was gesagt habt! Das muss doch dem letzten Blödkopp auffallen!«

      Ihre Mutter zuckte zusammen. Das war Klartext im besten Gossenjargon. Sie konnte sich nicht erinnern, Ilsa einmal so mit ihr sprechen gehört zu haben.

      »Würdest du bitte deinen Ton mäßigen! Wie redest du mit mir?«

      Ilsa drängte: »Dann sagt mir, was los ist!«

      Sie blickte fordernd von einem zum anderen.

      Barbara sah Josie fragend an, die ihr kurz zunickte.

      »Also gut. Aber hat es noch bis nach dem Essen Zeit?«

      »Aber dann sicher?«

      Ilsa war nicht gewillt, sich weiter vertrösten zu lassen. Das hörte auch ihre Mutter aus der Frage heraus.

      »Sicher! Keine Tricks, kein Aufschub. Sobald der Tisch abgeräumt ist.«

      »Na, dann ist's ja gut. Ich hab vielleicht einen Hunger.«

      Kaum, dass der letzte Teller vom Tisch war, meldete sich Ilsa.

      »Also, was ist jetzt?«

      Sie konnte verdammt hartnäckig sein.

      Barbara dirigierte: »Wohnzimmer!«, und alle folgten.

      Als sie saßen, schaute sie Ilsa an.

      »Eines im Voraus, meine Dame! Was ich dir jetzt sage, bleibt in der Familie. Wenn du also das Verlangen verspürst, mit Caro darüber zu sprechen, bevor ich es dir erlaube, dann kannst du gleich wieder gehen. Ist das klar?«

      Die Worte waren glasklar gesprochen. Ilsa wusste, dass ihre Mutter es todernst meinte. Wenn sie jetzt etwas erfahren wollte, musste sie sich zurückhalten, selbst ihrer besten Freundin gegenüber.

      »Klar«, sagte sie.

      »Versprich es mir!« Und da Barbara die Ausreden ihrer Tochter kannte, forderte sie: »Hände auf den Tisch!«

      Sie sah, dass Ilsa die bekannte Geste der gekreuzten Finger durchaus in Erwägung gezogen hatte.

      »Okay!« Sie legte beide Hände flach auf den Tisch. »Ich versprech's.«

      Barbara legte noch einmal nach.

      »Es gibt keine Ausreden!«

      Was war das hier? Das nahm sich schlimmer aus als eine Zeugenvernehmnug vor Gericht. Welches gewaltige Geheimnis sollte nun verkündet werden, dass hier fast mit Daumenschrauben bei Verrat gedroht wurde?

      Barbara versuchte, die richtigen Worte zu finden, um die Nachricht kurz und prägnant herüberzubringen. Nach Streichung allen überflüssigen Textes blieb dieser eine Satz übrig.

      »Ilsa, du hast eine Schwester bekommen!«

      Ihre Tochter machte ein überraschtes Gesicht. Dann sah sie die Mutter mit großen Augen an und fragte: »Bist du schwanger?«

      Barbara korrigierte: »Ich sagte nicht, dass du sie bekommen wirst. Du hast sie schon bekommen.«

      Ilsa fand eine weitere Möglichkeit.

      »Hat Papa ein Kind mit einer anderen?«

      Fast musste Barbara lächeln. Ihre Tochter dachte wirklich an alles. Sie nahm ihr das nicht übel, zeugte es doch von ihrer Intelligenz.

      »Auch nicht. Ilsa, mein Schatz, deine Schwester sitzt hier am Tisch.«

      Ilsa blickte beide nacheinander an. Was sollte dieses Rätsel bedeuten? Mama bleibt Mama, daran ändert sich nichts. Und Daniel … sah seit Freitag so anders aus … so trübsinnig. Und ihre Mutter hatte oft mit ihm gesprochen und schaute danach auch nicht glücklich aus. Sie hatte das ganze Theater erst begonnen, denn ihr Bruder hatte bis auf den Ausraster kaum etwas gesagt. Und der klang so, als wollte er etwas sagen, bis Mama ihn zurückhielt.

      »Was ist mit Daniel?«

      Ilsas logischer Schluss fiel messerscharf aus.

      Barbara nickte. Also war sie an der richtigen Adresse.

      »Daniel fühlt sich als Mädchen.«

      Fünf Wörter! Fünf Wörter können eine Welt verändern. Erst traf es Daniel, dann die Mutter, und heute war sie dran. Aber sie hatte es herausgefordert. ›Im Fußball nennt man das ›Eigentor‹‹, dachte sie bitter.

      »Daniel … ist … ein … Mädchen?«

      Jetzt wurde es kompliziert. Barbara legte sich die Worte gut zurecht, die sie aussprechen wollte.

      »Rein vom Äußeren her natürlich nicht. Ich sagte, er fühlt sich als Mädchen. Es gibt Menschen, die sind sich irgendwann in ihrem Leben sicher, dass sie im falschen Körper stecken. Das gibt es bei Mädchen und bei Jungs. Und sie wollen so leben, wie sie sich tief in sich drinnen fühlen. Damit sie das können und nicht an ihrem Leid kaputtgehen, müssen die Familie, Freunde, Ärzte und viele andere Menschen ihnen helfen. Weil es aber einige gibt, die das nicht verstehen und diese Menschen dann beschimpfen oder sie sogar