Baltrumer Wattenschmaus. Ulrike Barow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Barow
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839262467
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      »Ruf Michael an«, krächzte Tim. »Hier stimmt was nicht.«

      »Wieso? Das ist ein Friedhof. Da dürfen …«

      »Ruf ihn an! Sofort!« Einen weiteren Satz würde er nicht herausbringen.

      Bodo hatte offensichtlich verstanden. Er zog sein Handy aus der Tasche, wechselte ein paar Worte und steckte es wieder ein. »Er ist auf dem Weg. Wir sollen nichts weiter anfassen.«

      »Darauf kann er sich verlassen«, stöhnte Tim und versuchte aufzustehen. Doch erst, als Bodo ihm unter die Arme griff, kehrte Kraft in seine Beine zurück.

      »Nun sag mal, was ist passiert? Wieso wusstest du …?«

      Tim winkte ab. »Warte, bis Michael da ist. Dann muss ich nicht alles zwei Mal erzählen.«

      2

      Röder zog seine leichte Dienstjacke an und holte sein Rad aus dem Gartenhäuschen. Der Maiabend zeigte sich recht kühl und der kräftige Westwind schob dunkle Wolken vor sich her. Er war gespannt, was ihn auf dem Friedhof erwartete. Bodo Kehler hatte sich bei seinem Anruf recht kurzgehalten.

      Es waren nicht viele Menschen unterwegs, als er beim Hotel »Seehof« auf die D-Straße und gleich darauf am Hotel »Fresena« durch das Deichschart fuhr. Auch am Spielteich brauchte er nur ein, zwei Überholmanöver, dann stellte er sein Rad vor dem Friedhof ab. Hinten auf der Bank sah er Tim Seebald sitzen. Selbst aus der Ferne konnte man ihm ansehen, dass es ihm nicht gutging.

      Bodo stand in der Mitte des Friedhofs an einem Grab und wedelte mit den Armen. »Die verdammten Möwen«, schrie er. »Dabei gibt es hier nichts zu holen.«

      »Was habt ihr gefunden?«, rief er ihm zu.

      »Ich nichts«, antwortete der stabile Mann mit der Halbglatze und deutete auf Tim Seebald. »Der da. Schau dir das an.«

      Als Röder das Grab erreicht hatte, sah er Knochen. Und etwas, was wie die Reste einer Jacke aussah. Ihm war in diesem Moment nicht ganz klar, ob es ein ganz normaler Vorgang war, in einem Grab Knochen zu finden. Natürlich war er sich sicher, dass Tote in einem Sarg beerdigt wurden. Und das viel tiefer. Aber konnte es nicht durch Regen und andere Umstände passieren, dass Knochen zutage traten? Er schaute zu Tim, der sich immer noch nicht rührte. Dort saß der Fachmann. Und er war sich sicher, dass diese Situation nicht normal war, sonst hätte der Herr der Gräber anders reagiert.

      »Wenn du bitte auf die Fundstelle aufpassen würdest? Ich muss mit Tim reden«, bat er Bodo.

      Der nickte. »Was ist mit ’ner Folie oder so?«, brummelte er.

      »Machen wir gleich.«

      Er berührte Tim leicht an der Schulter, dann setzte er sich neben ihn. »Erklär mir, was los ist.«

      »Ich war heute mit Bernd hier. Volkers’ Grab auflösen. Da hat Bernd auf dem Nachbargrab einen Knochen gefunden. Wir haben unseren Spaß gehabt, weil wir dachten, eine Möwe hätte den verloren. Ist ja nicht aus der Welt geholt der Gedanke. Heute Abend bin ich noch mal auf den Friedhof …«

      »Warum?«, unterbrach Röder ihn.

      »Ist doch egal. War eben hier«, winkte Tim ab. »Ich habe einen abgestorbenen Ast an der kleinen Birke auf Kramers Grab bemerkt und wollte ihn abreißen. Leider kam der ganze Baum raus, und als ich ein Loch buddelte, um den Baum wieder einzupflanzen, sah ich das Elend.«

      »Dass die Knochen hochkommen, ist nicht normal, oder?«, fragte Röder.

      Tim Seebald hob den Kopf und schaute Röder ungläubig an. »Wie soll das denn passieren? Meinst du, der Sarg öffnet sich von allein? Nee, mein Guter. Da hat jemand eine weitere Leiche mit reingepackt.« Er schlug die Hände vor das Gesicht. »Welcher Idiot macht nur so etwas? Und wann? Das muss doch jemand gemerkt haben! Im Sommer spazieren hier auf der Hellerstraße immer Leute vorbei. Die müssen mitbekommen haben, wenn hier nachts gegraben wurde.«

      »Bis jetzt wissen wir nicht, wann was genau passiert ist. Ich werde erst einmal veranlassen, dass die Überreste aufs Festland zur Untersuchung geschafft werden, und mit Kramers Kontakt aufnehmen.«

      »Das dürfte auch besser sein. Vielleicht könntest du mein Zutun beim Finden der Leiche verschweigen.«

      Röder schaute ihn überrascht an. »Wie soll ich das verstehen?«

      »Na ja, ich kann mit denen nicht so gut. Und wenn die hören, dass ich an der Birke herumgezupft habe, sind die bestimmt sauer. Geht mich auch eigentlich nichts an, was die mit ihrem Grab machen.«

      »Mal schauen, was ich tun kann«, sagte Röder, »aber zunächst muss ich die Kollegen vom Festland benachrichtigen.«

      »Kann ich nach Hause gehen?«, fragte Tim.

      »Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe einen Moment. Falls Fragen sind. Immerhin kennst du dich hier am besten aus.« Röder schaute in den Himmel. Die Wolken waren bedrohlich näher gekommen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Tropfen fielen. Das konnte er jetzt am wenigsten gebrauchen. Er rief Axel Meinders, den Gemeindebrandmeister, an, und der versprach, mit ein paar Mann, einer großen Plane und einem Zelt anzurücken.

      Mit seinem Chef Müller in Aurich verabredete er, dass die Spurensicherung am nächsten Morgen auf die Insel kommen und die Reste des oder der Toten zur genauen Untersuchung mitnehmen würde. Zur Vorsicht würde er auch die Pastorin anrufen. Er vermutete, dass auch sie keine Erklärung für den Leichnam in Kramers Grab hatte, aber sicher war sicher.

      »Und du hast wirklich keine Idee? Weißt du denn, wann der letzte Tote hier begraben wurde?«, fragte Röder.

      Tim Seebald zeigte auf den Grabstein. »Da steht es. Es ist ein Familiengrab. Der Vater von Klaus Kramer ist über 90 geworden und im Februar vor zwei Jahren beerdigt worden. Seitdem haben sich die Kramers aber kaum um ihr Grab gekümmert. Sieht ziemlich verkommen aus. Zur Pflege haben die keine Lust. Zumindest habe ich die auf dem Friedhof nur ganz selten gesehen. Selbst das Belegen mit Muscheln ist bei Kramers noch nicht angekommen. Aber was sage ich immer: Die Dinger gehören an den Strand.«

      »Der Lauf der Zeit«, bestätigte Röder. »Und wenn man bedenkt, dass es nicht einmal Baltrumer Muscheln sein dürfen …«

      »Genau«, schaltete sich Bodo ein, »ich habe vielleicht einen auf den Sack bekommen, als ich am Strand Muscheln gesammelt habe und mir zufällig einer vom NLWKN in die Quere gekommen ist. Ich Blödmann habe auch noch frank und frei erzählt, dass die Muscheln für das Grab meiner Großmutter seien. Da durfte ich die Wippe sofort wieder ausleeren und den Inhalt zu dem Riesenhaufen von einer Million anderer Muscheln zurück in den Sand kippen. Ich habe dann Muscheln aus Holland bestellt. Tja, das ist deutsche Gesetzgebung. Völlig verrückt!«

      Röder wusste, dass es verboten war, Muscheln vom Strand mitzunehmen, aber auch er fand diese Regelung ziemlich absurd. Strandschutz war wichtig. Klar. Aber so viele konnte man gar nicht entnehmen, dass der Strand einer Gefährdung ausgesetzt war. Zumindest den Insulanern sollte es erlaubt sein, die Gräber oder auch den Vorgarten zu schmücken. Wobei er allerdings auch wieder an Sandras Argumentation denken musste. Sie hatte, seit sie auf dem Hof seines Freundes Arndt Kleemann gewesen war, ihre Liebe zu den Bienen entdeckt und wünschte sich nichts mehr, als dass jedes Grab und jeder Vorgarten wieder bepflanzt würden.

      Motorengeräusch holte ihn aus seinen Gedanken. Alex und seine Leute rückten an. Er verabschiedete Bodo und Tim fürs Erste, nicht ohne die Bitte an den Totengräber, sich am nächsten Morgen auf dem Friedhof einzufinden. Seine Hilfe konnte beim Abtransport der sterblichen Überreste nötig sein. Dann half er den Feuerwehrleuten, den Schutz aufzubauen. Zusätzlich sicherten sie die Fundstelle mit Flatterband. Röder war sich zwar nicht ganz sicher, ob das Band eine Hilfe war, oder in dem einen oder anderen erst recht den Wunsch weckte, einmal in das Zelt hineinzuschauen. Er hatte jedoch keine Lust, die Nacht auf dem Friedhof zu verbringen, und sein neuer Hilfssheriff, der ihm in den Sommermonaten zur Seite stand, würde erst in zwei Tagen seinen Dienst antreten.

      Er schaute auf die Uhr. War es schon zu spät, um bei Kramers an die Tür zu klopfen? 21