Fernwehträume. Hermann Bauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Bauer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839230787
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      »Du meinst, das ist wichtig?« Juricek spielte kurz den Naiven.

      »Aber sicher! Dort hat sie ja einen großen Teil ihrer Abende verbracht. Wenn sie irgendwelche Bekannten hatte, die wir nicht kennen, dann nur von dort.«

      »Ist mir schon klar, Leopold, aber schau! Es wäre nicht gescheit, wenn wir gleich dort auftauchen und viel Aufsehen erregen. Wer geht denn in so einen Klub? Viele harmlose, alte Menschen, die wir nur beunruhigen würden und die der Polizei gegenüber vielleicht gar nicht so gesprächig sind. Ich möchte da noch ein bisschen warten. Ich glaube, es wäre besser, wenn sich dort erst einmal jemand umschaut, der nicht gleich seine Dienstmarke aus der Tasche zieht. Und da habe ich an dich gedacht, Leopold. Du würdest überhaupt keinen Verdacht erregen.«

      »Ich?« Leopold schüttelte widerwillig den Kopf. »Ich, natürlich. Weil es überhaupt nicht auffällt, wenn dort plötzlich ein Ober von der Konkurrenz auftaucht.«

      Die Abende des Klubs ›Fernweh‹ fanden im Gasthaus Beinsteiner in unmittelbarer Nähe des Franz-Jonas-Platzes und des Café Heller statt. Seit jeher war das Verhältnis zwischen den beiden Lokalen gespannt. Das ›Beinsteiner‹ (›Zum gemütlichen Floridsdorfer‹) hatte einen großen Saal, der nicht nur vom Klub ›Fernweh‹ genutzt wurde, sondern der auch Hochzeitstafeln, Geburtstags- und Betriebsfeiern magisch anzog. Es hatte einen gut gehenden Sparverein. Es organisierte Veranstaltungsabende. Es war aufgrund seiner guten, bodenständigen Küche auch über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt. Auf das ›Heller‹ sah es, wenn man der Floridsdorfer Gerüchteküche glauben konnte, mitleidig herab. Am schlimmsten aber war, dass das Gasthaus Beinsteiner dem Café Heller in den letzten Jahren zwei Tarockrunden und auch sonst einige Stammgäste abgeworben hatte. Das konnte und wollte Leopold nicht vergessen. Er wollte mit dem ›Gemütlichen Floridsdorfer‹ nichts zu tun haben.

      Juricek versuchte, auf seinen Freund beruhigend einzuwirken. »Aber, aber«, sagte er. »Du holst dir ja nur einen Gusto auf ein Reiseziel für deinen nächsten Urlaub. Dass sie eventuell glauben, du spionierst für die Konkurrenz, stört ja nicht. Sag, hast du nicht vorhin behauptet, dass heute wieder Klubabend ist? Und wenn du jetzt nicht im Dienst bist, hast du doch heute Abend frei, oder?«

      Leopold gab sich geschlagen. »Also meinetwegen, geh ich halt hin.«

      »So ist’s brav, Leopold. Und morgen Abend komme ich dich im Kaffeehaus besuchen, und wir plaudern ein bisschen. Da hab ich dann vielleicht auch Neuigkeiten für dich.«

      Leopold nickte nur noch einmal als Zeichen der Unterwerfung.

      »So, jetzt tu mir bitte noch den Gefallen und gib das Wichtigste beim Herrn Inspektor Bollek zu Protokoll«, sagte Juricek. »Ansonsten bis morgen – und keine weiteren Eigenmächtigkeiten, bitte. Du verheimlichst mir doch nichts, Leopold?«

      »Aber Richard, du kennst mich doch!«

      »Na, eben darum frage ich dich ja!«

      Leopold versuchte, ein entwaffnendes Lächeln aufzusetzen. »Nein, nein! Also bis morgen«, sagte er dann.

      Wie um sicher zu gehen, griff Leopold kurz in seine Sakkotasche, als er auf Inspektor Bollek zusteuerte. Es war noch alles da, der Brief und der Zettel mit der Telefonnummer.

      *

      Der kleine, an der Alten Donau gelegene Park war um diese Jahreszeit ein Hort der Ruhe und des Friedens. Nur wenige Menschen setzten sich auf eine Bank in die Sonne, spazierten am Wasser entlang oder fütterten die zahlreichen Enten und Schwäne. Viele dieser wenigen waren einsam und wollten nicht den ganzen Tag allein zu Hause sein. Wenn es auch schon langsam kalt wurde, in der Abgeschiedenheit des eigenen Herzens war es zumeist noch kälter.

      Die Bahn der Sonne wurde langsam flacher, und die Weidenbäume warfen immer längere Schatten. Dabei war es erst früher Nachmittag. Der Winter kam näher, langsam, aber unerbittlich.

      Auf einem der Gehwege sah man Isabella und Erich spazieren. Sie waren gerade von der Schule hierher gekommen. Die Dinge mussten besprochen werden, in Ruhe und ohne Zuhörer.

      Isabella fröstelte leicht. Als Erich sie um den Hals fasste und ein wenig an sich drückte, ließ sie es zuerst geschehen, riss sich aber dann mit einem Mal wieder los.

      »Was hast du denn?«, fragte Erich.

      »Nichts«, kam die spröde Antwort.

      »Du bist aber schon die ganze Zeit so widerspenstig.«

      »Ja und? Wer quält mich denn andauernd mit seinen Fragen? Wer macht mir denn ständig Vorwürfe? Du! Oder?«

      Sie ging jetzt zwei Schritte neben ihm und bemühte sich, diesen Abstand einzuhalten. »Ich verstehe nur nicht, warum du der ganzen Welt erzählst, dass wir ein Kind haben werden«, sagte Erich.

      »Meinem Klassenvorstand habe ich es wohl mitteilen müssen«, feixte Isabella. Sie steckte ihre Hände in die Manteltaschen.

      »Ja, von mir aus, aber du hättest ihm doch nicht zu sagen brauchen, von wem es ist. Und dann kriegst du dein Mitteilungsbedürfnis auch noch in dem Moment, wo die Gabi dabei ist. Sie hat mir in der Pause schon gratuliert. Die kann doch auf Dauer nicht ihren Mund halten, und dann weiß es die ganze Welt.«

      »Sie wird ihn halten, verlass dich drauf.«

      »Und wie willst du das erreichen?«

      »Mensch, Erich, sei doch nicht so misstrauisch! Die Gabi ist nicht so eine Tratschtante, wie du immer glaubst. Und dann denk doch einmal logisch nach. Wenn sie oder unser verehrter Herr Klassenvorstand es an der nötigen Diskretion fehlen lassen, müssen wir leider über die beiden auch etwas erzählen. Ich bin nicht blind und schon gar nicht dumm.«

      »Na ja, mit so schweren Geschützen müssen wir auch nicht auffahren. Der Korber ist im Grunde nicht so übel, und wenn wir jetzt vor der Matura einen Wirbel machen …«

      »Ich meine ja nur. Du brauchst keine Angst zu haben, die werden nicht reden. Die sind froh, wenn über sie nicht geredet wird.«

      Isabella ging jetzt ein wenig schneller, und Erich hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten, obwohl er um einiges größer als sie war und längere Beine hatte. Er lief ihr nach, ohne sie ganz zu erreichen. Und tat er das nicht, sinnbildlich gesprochen, die ganze Zeit? Ungelenk bemühte er sich um sie, doch immer dann, wenn er glaubte, sie zu fassen zu bekommen, entwand sie sich ihm mühelos, war vor ihm, neben ihm oder überhaupt außerhalb seines Gesichtsfeldes. »So warte doch«, rief er. »Ich weiß, ich bin nervös, aber das alles kommt so unerwartet und plötzlich gerade jetzt …«

      »Also du bist nervös. Was soll denn da ich sagen?«

      »Aber verstehe doch …«

      »Gar nichts verstehe ich. Seit über einem Jahr, seit du in unserer Klasse bist, bist du hinter mir her. Und dann entwickle ich endlich Sympathien für dich, verliebe mich irgendwie in diesen liebenswürdigen, großen, unerfahrenen Jungen, gehe eines Abends sogar mit dir ins Bett, weil du mich in der Wohnung deiner Eltern verführst, lasse mich überreden, es ohne Gummi zu machen – und kriege dafür nichts als Vorwürfe. Wer bekommt denn das Kind? Und wer fällt wahrscheinlich um seinen Maturatermin um?«

      Hier traf sie Erich an seinem schwachen Punkt. Er wollte sie nicht verletzen. Er stand ja zu dem Kind, hatte das Wort Abtreibung nie erwähnt, als er merkte, dass Isabella das Kind bekommen wollte. Aber so, wie er zuerst seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert gewesen war, sah er sich jetzt mit einer Situation konfrontiert, die ihn einfach überforderte.

      Immerhin hatte er den Mut gefunden, seinen Eltern alles zu beichten. Ganz im Gegensatz zu seinen Befürchtungen war er dabei vor allem bei seinem Vater sofort auf Verständnis gestoßen. Ferdinand Nowotny, ein aufbrausender und cholerischer Mensch, der zu Wutausbrüchen neigte, war um die Zukunft seines Sohnes besorgt. Erich hatte schon im Vorjahr eine Klasse wiederholen müssen. Dabei sollte er studieren und später einmal die Baufirma des Vaters übernehmen. Es hatte also kaum Hoffnung bestanden, dass sich eine größere Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn vermeiden lassen würde. Aber Ferdinand Nowotny hatte Verständnis gezeigt, seine Frau und seinen Sohn beruhigt und