»Schrecklich, nicht wahr?« Revierinspektor Plattlbauer riss den Chefinspektor aus dessen stillen Bestandsaufnahme.
»Das können Sie laut sagen.« Der, der dies von sich gab, war Dominik Weber, der Gerichtsmediziner, der eben durch das Kirchenschiff auf den Altarraum zusteuerte.
»Grüß dich, Weber«, sagte Stern erfreut, dass er und Grünbrecht vor dem Gerichtsmediziner am Tatort eingelangt waren.
»Grüß dich, Stern. Hast dich auch hierher in die Abgeschiedenheit getraut?« Dominik Weber wusste um Sterns Abneigung dem Ländlichen gegenüber Bescheid. Der Chefinspektor war ein richtiger Stadtmensch. Einer, dem die Betonbauten einer Stadt wie Linz gerade hoch genug waren. Einer, der die Aussicht lieber vom Linzer Power Tower genoss als von einem Berg. Mord und Totschlag waren nachgewiesen in den Städten viel höher als auf dem Land, demnach war er in Linz viel besser aufgehoben, war Sterns Meinung. Ein Blick auf die auf dem Altar liegende Leiche ließ ihn jedoch wissen, dass die Ländler gerade dabei waren, in dieser Statistik aufzuholen.
»Musste ja wohl sein«, brummte er und betrachtete die Wundmale am Hals der Leiche. Zwei Einstichlöcher. Kaum zu sehen, wäre nicht die ganze Sauerei rundum. »Weißt du schon, wann er gestorben ist?«
»Ich bin doch gerade erst gekommen, Stern!«, sagte Weber entrüstet, nahm ein Thermometer und ein Skalpell aus seiner Tasche und rammte ersteres durch einen kleinen Schnitt dem Opfer an jener Stelle in den Rumpf, wo Stern die Leber vermutete.
Im Kirchenschiff war ein Hüsteln zu hören. Revierinspektor Plattlbauer hatte sich abgewandt und blickte nun in Richtung der Brüstungsorgel, in deren Mitte die Figur der heiligen Cäcilia angebracht war. An seiner Haltung war zu erkennen, dass ihm die Behandlung der Leiche durch den Gerichtsmediziner nicht sonderlich gut bekam.
Weber zog das Thermometer aus der Leiche und besah sich das Ergebnis.
»Und? Wann ist er ermordet worden?« Sterns Ungeduld war allen bestens bekannt und auch, dass er und Weber des Öfteren Meinungsverschiedenheiten hatten.
»So gegen Mitternacht, würde ich meinen. Genaueres kann ich dir erst …«
»… nach der Obduktion sagen, ich weiß.« Stern brachte Webers Satz mit einem Schuss Zynismus zu Ende.
»Musst dich halt ein wenig gedulden. Hier ist es doch schön, in Liebenau. Kannst dich ein wenig entspannen oder wandern gehen im Tannermoor«, schlug der Gerichtsmediziner grinsend vor.
»Grünbrecht will so schnell wie möglich von hier weg«, sagte Stern und redete weiter, bevor seine junge Kollegin dagegen protestieren konnte. »Übrigens, was ist das hier?« Er deutete mit dem Finger auf die zwei Einstichwunden am Hals des Opfers.
»Sieht wie Bissmale eines Vampirs aus.«
Weber, Stern und Grünbrecht fuhren herum. Sie starrten den hinter ihnen stehenden Revierinspektor überrascht an. Der hatte bislang alles wortlos mitverfolgt, bis auf die kleine Übelkeitsattacke, als der Gerichtsmediziner dem Opfer das Thermometer in die Leber geschoben hatte.
»Bitte was?«, hakte Grünbrecht nach.
»Ein Vampir!«, wiederholte Plattlbauer. »Ganz klar. Das sieht man doch.«
»So ein Schwachsinn! Sie schauen wohl zu viel fern, Plattlbauer.« Stern schüttelte ob der abstrusen Behauptung des Revierinspektors den Kopf.
»Oh, das glaube ich nicht«, erwiderte der Angesprochene eingeschnappt, machte am Absatz kehrt und setzte sich in die vorderste Bank im Kirchenschiff, wo sonntags die Kirchenbesucher fromm die Hände falteten. Er aber verschränkte schmollend die Arme vor der Brust und stierte auf die Kripobeamten, die neben der verschnürten Leiche standen und ihr auf den Hals starrten, als stünden dort die Antworten auf all ihre Fragen.
Die Aussage des Revierinspektors ignorierend unterhielten sich Stern, Grünbrecht und Weber über eine weitaus realistischere Todesursache. »Diese Male könnten von allem Möglichen verursacht worden sein, das circa zwei bis fünf Millimeter dick ist. Nagel, Stricknadel, halt alles, was in etwa diese Stärke aufweist. Die Schwellung zeigt, dass er noch gelebt hat, als man ihm in den Hals gestochen hat. Das umliegende Gewebe hat sofort reagiert. Während der erste Einstich für die Todesursache nicht relevant ist, hat der Täter mit dem zweiten Stich genau die Halsschlagader getroffen. Deshalb die ganze Sauerei hier.« Weber deutete auf den blutbesudelten Boden und den Altar, der durch das Blut wie ein abstraktes Kunstwerk eines österreichischen Künstlers aussah. »Es muss gespritzt haben. Der Mörder hat sicher ebenso eine Menge Blut abbekommen. Wenn das Herz noch pumpt und jemand diese Schleuse hier öffnet …« Weber wies auf den Hals des Opfers, um zu verdeutlichen, wovon er sprach, als im Kirchenschiff ein Würgen und Poltern zu vernehmen war. Der Gerichtsmediziner hielt inne und wandte sich um. Stern und Grünbrecht taten es ihm gleich. Die Inspektoren sahen gerade noch, wie sich Plattlbauer in der vordersten Sitzbankreihe übergab. Die Kriminalbeamten tauschten vielsagende Blicke aus.
»Sein erster Mord«, klärte Stern den Gerichtsmediziner auf und ging die zwei Stufen vom Altarraum hinab ins Kirchenschiff zu den Sitzbänken. Dort wartete er, bis der Revierinspektor zum Vorschein kam, sich mit dem Ärmel über den Mund wischte und ihn anschaute, als müsste er sich erneut übergeben. Die Farbe seines Gesichts unterschied sich nicht mehr von dem Weiß der gekalkten Kirchenwände.
»Na, geht’s wieder?« Stern stellte sich vor Plattlbauer und verdeckte ihm mit seinem fülligen Körper die Sicht auf den ausgebluteten Pfarrer.
Der Revierinspektor nickte, zögernd, wie Stern vorkam, und vermied es, an ihm vorbeizuschauen. »Das ist nur, weil der so grausig dahergeredet hat«, versuchte er zu erklären.
»Am besten, Sie sorgen vor der Kirche für Ruhe und Ordnung. Hier brauchen wir Sie nicht. Die Kollegen der Spurensicherung machen das schon, aber draußen, da werden Sie dringend benötigt.« Stern klopfte dem Revierinspektor auf die Schulter. Der wirkte erleichtert und schob seinen Hintern die hölzerne Kirchenbank hinaus. Nicht zu schnell, damit sein Magen nicht noch einmal rebellierte. »Und Plattlbauer …« Stern wollte dem Revierinspektor etwas mit auf den Weg geben. Der blieb stehen und wandte sich langsam um. »Das mit den Vampiren will ich nicht noch einmal von Ihnen hören, verstehen Sie? Da werden die Leute hysterisch, wenn wir so etwas behaupten. Ich verlass mich da auf Sie!« Wie ein Hund, der eben Prügel bezogen hatte, verließ der Revierinspektor die Kirche.
Stern wandte sich seinen Kollegen und dem Opfer zu. Er musste zugeben, es war tatsächlich kein schöner Anblick, dazu noch die ausführlichen Schilderungen Webers – und der Albtraum eines jeden Menschen war fertig.
»Na, Weber, haben Sie noch etwas für uns?«, fragte Grünbrecht. Sie hielt Block und Stift für etwaige Notizen bereit.
»Dass der Pfarrer verblutet ist, brauche ich euch wohl nicht zu sagen. Die Menge des Blutes, die ihr hier seht, spricht für sich. Die Tatzeit – da wiederhole ich mich – ist so um Mitternacht, also die beste Stunde für Vampire.« Weber grinste.
»Fängst du auch noch damit an!«, fuhr Stern ihn an. Er hielt nämlich schlichtweg gar nichts von diesem Vampirhokuspokus. »Sonst noch was? Aber bitte etwas, das wir brauchen können.«
»Derweilen nicht«, antwortete Weber amüsiert, weil er mit seinem Kommentar über die beste Stunde für Vampire Stern auf die Palme gebracht hatte. Über dieses Ergebnis zufrieden, steckte er seine Gerätschaften zurück in die Tasche und schritt in Richtung Kirchenpforte davon. »Wenn ihr mit ihm fertig seid, schickt ihn mir bitte in die Gerichtsmedizin!« Mit diesen Worten an die Spurensicherer verließ Weber das Gotteshaus.
»Warum macht jemand so etwas ausgerechnet mit einem Pfarrer?«, fragte Grünbrecht, die Arme mit dem Notizblock verschränkt und den Blick auf den Leichnam gerichtet.
»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht beantworten, Grünbrecht. Der Mensch ist von Natur aus böse, das müssten Sie als Inspektorin eigentlich am besten wissen. Und wenn jemand in den eigenen Augen einen Grund zum Töten hat, dann ist es ihm wahrscheinlich egal, ob das Opfer eine Soutane trägt.«
»Ein Eifersuchtsdrama können wir aber ausschließen.«
»Sagen