Damit stellte sie ihr Körbchen zur Seite, hob den erschlafften Körper an und schleppte ihn zu ihrem Häuschen. Das war eine mühevolle Arbeit, doch als es ihr endlich gelang, nahm sie sich nicht einmal die Zeit, den Schweiß von der Stirn zu wischen. Denn sie wusste, dass ihr das Schwierigste noch bevorstand: den halbtoten Körper wieder zum Leben zu erwecken.
Doch die junge Frau war eine geschickte und kundige Pflegerin. Unermüdlich kümmerte sie sich um den Verletzten, und genau sieben Wochen später war Graf Herbert wieder gesund und stark wie früher und voller Tatendrang. Die Waldfee, wie er sie nannte, hatte seine Wunden geheilt. Irgendwann in den langen Stunden, die sie an seinem Lager verbrachte und sich um ihn sorgte, vertraute sie ihm auch ihre Lebensgeschichte an.
„Ich bin keine Fee, ich bin Nada. Meine Eltern habe ich vor einigen Jahren verlassen, weil mein strenger Vater mich zwingen wollte, einen reichen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte. Mir ist aber meine Freiheit mehr wert als das Leben in goldenen Ketten. Deshalb beschloss ich damals, lieber allein in den Wald zu gehen, als mit einem Mann, der mir nicht lieb ist, von teuerstem Porzellan zu essen. Und so lief ich von zu Hause fort. Nachdem ich eine Weile umhergeirrt war, fand ich diese Hütte. Damals wohnte hier eine wirkliche Waldfee. Sie nahm mich auf und brachte mir ihre Kunst des Heilens bei. Irgendwann ging sie von mir. Zwei Jahre später wäre sie hundert Jahre alt geworden. Nach ihrem Tod war ich sehr traurig. Seither lebe ich hier allein und warte, was das Schicksal für mich bereithält.“
Mit der Zeit schloss Graf Herbert die Prinzessin ins Herz und begann um sie zu werben.
„Auch ich habe dich sehr gern, Herbert“, sprach Nada. „Es war wohl mein Schicksal, mich in dich zu verlieben. Ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Gern will ich deine Frau werden und für immer mit dir zusammen sein. Aber zuerst musst du die Dinge mit deiner Ehefrau und den Kinder regeln. Geh, bring deine Angelegenheiten in Ordnung, dann komm zurück und ich werde deine Frau.“
Herbert beherzigte den weisen Rat seiner Retterin. Er verneigte sich tief vor ihr und begab sich auf den Weg zu seinem früheren Heim, um sich seiner Familie zu zeigen, dass er am Leben sei. Es lag ihm am Herzen, mit ihnen zu besprechen, wie es weitergehen sollte.
Seine Frau Magdalena empfing ihn sehr freundlich und gefällig.
„Wie schön, dass du zurückgekommen bist. Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Unserem Freund Karl habe ich das Haus verboten. Ausgeplündert hat er mich. Ich war ja so naiv! Er sprach von Liebe, dabei wollte er nur mein Geld. Niemals wieder werde ich dir so etwas antun, ich werde dich immer von ganzem Herzen lieben.“
„Deine Liebe will ich nicht mehr“, entgegnete Graf Herbert, „davon bin ich für immer geheilt. Bitte ruf unsere Kinder zusammen. Ich möchte sie sehen und meine weiteren Pläne mit ihnen besprechen. Von dir will ich mich scheiden lassen, ohne Streit. Du kannst nehmen, was dir gefällt, mich aber lass in Ruhe.“
Am nächsten Tag kamen die Kinder zusammen. Groß war ihre Freude, dass der Vater lebte und wieder zu Hause bei ihnen war. Sie wollten wissen, wo er so lange gewesen war und warum er nichts von sich hatte hören lassen. Der Vater teilte ihnen mit, dass er nicht zur Mutter zurückkehren würde. Er ersparte ihnen aber das Wissen um die mütterliche Untreue und erzählte nichts von dem, was geschehen war.
„Ich bin nur gekommen, um euch zu sehen, liebe Kinder, bevor ich für immer fortgehe und das Haus eurer Mutter überlasse. Kommt auch weiterhin hierher, wie ihr es früher getan habt. Ich aber werde für mich ein neues Haus bauen, und wenn es fertig ist, werde ich Nada heiraten. Sie ist von nun an meine Braut.“
Die Kinder verstanden natürlich die Gründe für sein Handeln nicht, doch sie akzeptierten seinen Entschluss und widersprachen nicht. Als aber Magdalena von seinen Plänen erfuhr, zerbrach sie sich den Kopf darüber, wie sie ihren Mann zurückerobern könnte. Zuerst versuchte sie es mit Freundlichkeit und Schmeichelei, doch Herbert wollte nichts davon wissen. Dann begann sie ihm vorzuwerfen, er mache sie unglücklich. Sie erfand Lügen über Nada, aber darauf fiel der kluge Graf nicht herein.
Als alles nichts half, ersann Magdalena einen finsteren Plan: Sie heuerte böse Menschen an, die Nada übel zurichten und sie ihrer Schönheit berauben sollten. Denn da sie selbst immer noch eine Schönheit war, meinte sie, dass Herbert es sich dann anders überlegen und zu ihr zurückkehren würde.
Als der Graf mit dem Bau seines neuen Domizils fertig war, ritt er zurück in den Wald und suchte das Haus seiner Braut auf. Sie aber kam ihm nicht entgegen, sondern blieb in der Stube sitzen, das Gesicht mit einem Tuch verhüllt.
„Geh weg“, sagte sie. „Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein.“
Der stolze Graf war durch diesen Empfang wie vor den Kopf gestoßen. Er drehte sich wortlos um und verließ sie, ohne zu fragen, womit er diese Abfuhr verdient hatte.
Magdalena aber freute sich zu früh: Der Graf kehrte nicht in sein altes Heim zurück, sondern wohnte allein in dem neu erbauten Haus. Er trauerte lange um Nadas Liebe, aber sein Stolz hinderte ihn daran, zu der schönen Prinzessin zurückzukehren und zu fragen, warum sie ihn nicht mehr liebte.
Nachdem einige Zeit vergangen war, beschloss der Graf, noch einmal zu heiraten. Doch der Gedanke an Nada ließ ihm keine Ruhe. Er dachte zurück an ihre grenzenlose gegenseitige Liebe, erinnerte sich an Nadas zarte Hände und ihre liebliche Stimme und an die Nächte mit ihr, und er konnte nicht vergessen, wie sie ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Endlich entschied er, dass er sie vor seiner Hochzeit noch einmal wiedersehen wollte, um sich für immer von ihr zu verabschieden. Die Vernunft sprach gegen sein Vorhaben, doch sein Herz rief ihn so deutlich, dass ihn seine Füße von ganz allein zu der vertrauten Waldhütte führten. Als er dort ankam und die Tür öffnete, sah er, dass Nadas Gesicht durch eine schreckliche Narbe entstellt war. Die Aufregung vor dem Wiedersehen mit seiner Geliebten, die ihn auf dem ganzen Weg begleitet hatte, wich tiefem Entsetzen.
„Wer hat dich so zugerichtet?“, fragte er heiser. „Hast du Schmerzen? Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Böse Menschen haben uns unser Glück missgönnt, sie wollten sich an mir rächen und mich töten. Doch ich habe überlebt, nur diese Narbe ist geblieben.“
„Aber warum hast du mir denn nichts gesagt? Warum hast du geschwiegen?“
„Ich wollte dir mit meinen Wunden nicht zur Last werden.“ Nada sah ihren Geliebten traurig an.
Lange schwiegen die beiden. Schließlich sagte Graf Herbert:
„Als du mich damals verabschiedet hast, war ich zutiefst betroffen. Ich beschloss, eine andere Frau zu heiraten. Nun bin ich gekommen, um mich endgültig von dir zu verabschieden. Ich wusste, dass ich eigentlich nicht hätte kommen dürfen, aber meine Füße trugen mich von selbst zu dir. Meine Seele sehnt sich immer noch nach dir.“
„Dann komm zu mir, wenn meine hässliche Narbe dich nicht abschreckt, und umarme mich ein letztes Mal zum Abschied. Ich möchte noch einmal deine Lippen küssen und mich an deinen Körper erinnern.“
Herbert trat zu ihr, umarmte sie – und wollte die Umarmung nicht wieder lösen.
„Ich will nicht ohne dich leben“, sagte er. „All die Zeit konnte ich dich nicht vergessen, und ich weiß jetzt, dass ich das niemals können werde. Du bist mir vorbestimmt. Du bist alles, was mein Herz sich wünscht.“
„Was willst du aber deiner Braut sagen?“
„Ich werde ihr die Wahrheit sagen: dass ich meine Liebe wiedergefunden habe, die ich verloren glaubte, und dass ich sie nicht heiraten kann. Ich kann sie nur bitten, mir zu vergeben. Und du? Hast du an mich gedacht?“
„Wie hätte ich nicht an dich denken können, wo doch meine Liebe zu dir mich beinahe das Leben gekostet hätte? Aber ich liebe dich mehr als mein Leben.“
Von diesem Tag an blieben Herbert und Nada zusammen und lebten glücklich und im Einklang miteinander. Die Braut des Grafen war anfangs zornig wegen der geplatzten Hochzeit, doch schließlich ergab sie sich in ihr Schicksal. Der Graf machte ihr wertvolle