„Mach dich unverzüglich auf den Weg. Je schneller du fortgehst, desto eher bist du zurück.“
Donatus blieb nichts anderes übrig, als sich dem Willen seiner Eltern zu beugen. Er packte Kleidung und Proviant und etwas Geld ein und nahm Pfeil und Bogen mit, um jagen zu können. Dann verbeugte er sich vor dem König und der Königin und sprach:
„Ich werde mein Bestes tun, um Euren Willen zu erfüllen, und begebe mich auf die Suche nach einer Braut, wie ihr es mir gebietet. Sollte ich aber in einem Jahr nicht zurück sein, seid mir nicht böse. Dann war es mir bestimmt, unverheiratet zu sterben!“
Nach diesen Worten umarmte er Mutter und Vater und ging fort, ohne sich noch einmal umzudrehen, denn er wollte ihre Tränen nicht sehen und suchte seine eigenen zu verbergen.
Viele Monate war der Prinz unterwegs. Irgendwann waren seine Kleider verschlissen, und er hatte drei Paar Stiefel abgetragen. Er hatte gelernt, sich neue Pfeile zu machen, um nicht zu verhungern. Sein Geld war fast aufgebraucht, nur noch drei goldene Taler waren ihm geblieben. Da sie ihn an sein Elternhaus erinnerten, hütete er sie wie seinen Augapfel und wollte sie nur in größter Not ausgeben.
Eines Abends, als Donatus am Rand eines Waldes wanderte, meinte er hinter den Bäumen Licht zu sehen. Zuerst glaubte er sich geirrt zu haben. Er schaute angestrengt in diese Richtung – aber nein, er täuschte sich nicht, da war tatsächlich Licht. Der Prinz eilte darauf zu und entdeckte bald zwischen den Bäumen eine Hütte. Sie war halb verfallen und so vom Wald übergewachsen, dass man sie nur erkennen konnte, wenn man sehr genau hinsah. Der Prinz blieb vor der Tür stehen und überlegte, ob er zuerst klopfen oder einfach eintreten sollte. Als er den Arm hob, um anzuklopfen, öffnete sich plötzlich die Tür und auf der Schwelle erschien ein Greis. Weißes Haar hing ihm auf die Schultern herab, auch sein langer Bart war schneeweiß. Die beiden Männer standen sich gegenüber und betrachteten einander eine Weile schweigend. Schließlich begann der Alte als Erster zu sprechen:
„Na, mein Freund, was stehst du da wie angewurzelt und starrst mich an? Hast du etwa Angst? Keine Bange, ich bin ein friedlicher Mensch, und wenn du selbst keine bösen Absichten hast, sei herzlich willkommen. Ich koche uns Tee und du erzählst mir, was dich in meinen Wald führt.“
Donatus war froh, dass er die kommende Nacht nicht im Wald verbringen musste. Er verbeugte sich dankend vor dem alten Mann und betrat die Hütte. Wie versprochen stellte der Gastgeber den Teekessel auf und bereitete einen Tee, der nach Kräutern duftete. Dann schenkte er ihnen beiden ein, bot seinem Gast Brot und Honig an und sagte:
„Ich lebe hier seit vielen, vielen Jahren, aber lebende Menschen sehe ich in diesem Wald nicht sehr häufig. Ich werde dir von meinem Leben erzählen, davon, warum ich in diesem Wald geblieben bin. Und wenn du möchtest, dann erzählst du mir, was du hier suchst. Vielleicht kann ich dir helfen. Ich sehe ja, dass du kein böser Mensch bist, du strahlst Offenheit und Ehrlichkeit aus.“
Donatus dankte dem Greis für seine freundlichen Worte und wollte gern seine Geschichte hören.
„Meinen Namen habe ich so lange nicht gehört, dass ich ihn schon fast vergessen habe. Doch früher nannte man mich Hartlieb. Meine Mutter war Weißnäherin bei König August. Irgendwann wurde sie seine Geliebte. Die Ehe des Königs war damals noch kinderlos, und als meine Mutter ihm sagte, dass sie ein Kind von ihm trug, freute er sich sehr. Als die Königin dies erfuhr, wurde sie sehr zornig. Nach außen aber ließ sie sich nichts anmerken, denn sie war eine kluge Frau. Und so ging sie heimlich zu einer Kräuterfrau und klagte über ihre Kinderlosigkeit. Die kräuterkundige Frau braute ihr einen Trank, und diesen nahm sie über eine lange Zeit hinweg ein – so lange, dass sie schon an seiner Wirkung zu zweifeln begann. Währenddessen wuchs Hartlieb heran, und der König kam oft in das Haus seiner Geliebten und verbrachte viel Zeit mit seinem Sohn, sehr zum Ärger der Königin. Das Kräuterweib war jedoch keine Betrügerin. Nach vielen Jahren fand sich die Königin endlich in gesegneten Umständen und brachte schließlich Zwillinge zur Welt. Die Freude des Königs war natürlich groß. Bald schon hatte er mich, seinen unehelichen Sohn, vollkommen vergessen. Die Königin nutzte die Gelegenheit, meine Mutter endlich loszuwerden, indem sie sie vom Hof verbannte. Als das König August zu Ohren kam, wollte er sich dem nicht offen widersetzen, da er nicht mit der Königin streiten wollte, doch er bat einen Herzog, der sein Freund war, die königliche Weißnäherin und ihren Sohn in Dienst zu nehmen. Der Herzog entsprach dieser Bitte gern. Der Herzog hatte einen Sohn, der ungefähr in meinem Alter war. Wir wuchsen zusammen auf und wurden enge Freunde, und das blieben wir auch, als wir erwachsen waren und er heiratete und schließlich die Regentschaft über das Herzogtum übernahm. Leider fand unsere Freundschaft ein trauriges Ende: Als wir eines Tages zusammen auf der Jagd waren, scheuchten wir eine Bärenmutter auf, vor deren Tatzen ich ihn nicht retten konnte.
Kurz nachdem ich meinen Herrn und Freund verloren hatte, starb auch meine Mutter. Ich blieb in den Diensten von Antonia, der Witwe des Herzogs, und ihrer Tochter Friederike, die damals noch ganz klein war. Aber je länger ich ihnen diente, desto klarer wurde mir, dass ich meine Herrin mehr liebte als das Leben selbst. Lange wagte ich nicht, der Herzogin meine Liebe zu gestehen, da ich meinte, ich sei ihrer nicht würdig. Schließlich aber fasste ich mir doch ein Herz und offenbarte mich ihr.
„Hartlieb“, antwortete sie, „du warst ein Freund meines Mannes, nur deshalb habe ich mir überhaupt angehört, was ich eigentlich gar nicht hören durfte. In meinem Haus warst und bleibst du ein Diener – nicht weil du mir nicht lieb wärest, sondern weil du unehelich bist.“
Der Hochmut, der aus diesen Worten sprach, traf mich tief und brachte meine Gefühle für die Herzogin ins Wanken. „In meinen Adern fließt mehr königliches Blut als in deinen“, entgegnete ich scharf.
„Mag sein“, antwortete die Frau, die ich liebte. „Doch mein Blut reicht dafür, dass die Gesellschaft mich anerkennt und achtet. Wer aber wird dein königliches Blut anerkennen, wenn nicht einmal dein Vater es tat und dich fortschickte?“ Sie schaute mich nicht an dabei. Ich wusste, dass sie mich nicht wirklich gering achtete, doch wie immer sie selbst darüber dachte, sie hätte es niemals über sich gebracht, sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen und durch eine Heirat mit mir ihr Ansehen und womöglich auch die Zukunft ihrer einzigen Tochter zu gefährden.
Ich war zutiefst verletzt, aber was konnte ich tun? Ohne ein weiteres Wort verließ ich das Haus, und noch am selben Tag ging ich für immer fort. Lange wanderte ich umher. Endlich fand ich diese Hütte und ließ mich hier nieder. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich hier schon lebe. Man nennt mich den Waldmenschen, da ich diesen Wald nie verlasse. Ich war noch jung und gutaussehend, als ich von Antonia fortging, aber als ich hier ankam, war ich alt geworden – aus Kummer. Wie du siehst, ist mein Haar weiß, aber nicht vom Alter, sondern weil ich unglücklich bin – denn ich habe meine einzige Liebe verloren.“
Donatus war ganz fasziniert von der ungewöhnlichen Geschichte. „Und was ist aus Antonia geworden?“, fragte er. „Hat sie noch einmal geheiratet?“
„Nachdem ich weggegangen war, kamen Gerüchte auf, ein Diener hätte der Herzogin einen Heiratsantrag gemacht, aber einen Korb bekommen. Niemand wusste ja, dass ich der uneheliche Sohn des Königs bin. Danach zog Antonia sich zurück und verließ kaum noch das Haus. Sie lebt dort heute noch mit ihrer Tochter Friederike.“
Eine Weile schwiegen beide und hingen ihren Gedanken nach. Dann sah der Waldmensch Donatus an und fragte:
„Und du, mein Freund, wo kommst du her und was suchst du hier in der Fremde? Oder hast du auch etwas verloren?“
„Ich habe nichts verloren, aber ich suche nach etwas. Überall auf der Welt suche ich nach einer Braut für mich, aber bis jetzt habe ich noch keine gefunden, die mir gefallen würde.“
„Na, sieh mal einer an – was für ein mutiger Kerl! Und warum suchst du sie nicht bei euch? Oder gibt es dort, wo du herkommst, keine heiratswilligen Frauen?“
„Doch,