„Ich habe kein Geld für Haushalt und Kleider. Aber du bist ja nicht nur schön, sondern auch klug, zumindest haben das alle behauptet. Ich habe dich geheiratet, obwohl du keine Mitgift hattest. Nun kannst du deine Klugheit einsetzen, um Geld zu verdienen, wenn du Essen haben willst!“
So sprach er und lachte dabei, dann ritt er mit seinen Freunden fort, um zu feiern und sich zu amüsieren.
Da erkannte Gudrun, was für einen Menschen sie geheiratet hatte. Zuerst war sie am Boden zerstört. Doch dann dachte sie an ihren geliebten Heinrich und fand Trost und Hoffnung in dem Versprechen, das er ihr beim Abschied gegeben hatte: Wenn er über seine Feinde gesiegt hätte, würde er zurückkommen und sie für immer in seine Arme nehmen.
Sie sammelte sich, trocknete ihre Tränen und überlegte, wie sie Geld verdienen könnte. Schließlich begann sie Blumen zu ziehen. Als die Pflänzchen groß genug waren, setzte sie diese in Töpfe. Dann zog sie ein einfaches Kleid an und setzte eine Haube auf, damit sie nicht erkannt wurde. Sie ging zum Markt, um ihre Blumen anzubieten. Da die Prinzessin eine glückliche Hand und ein gutes Herz hatte, waren ihre Blumen besonders prachtvoll, so dass ihr Geschäft gut lief. Sie gab fast alles Geld, das sie mit den Blumen verdiente, ihrem Mann und behielt nur so viel, dass sie außer Essen auch neue Samen, Erde und Blumentöpfe kaufen konnte.
Eines Tages holte Gudrun wie so oft die Schatulle hervor, in der sie liebevoll Heinrichs Briefchen aufbewahrte, das an jenem Abend durch das zertrümmerte Fenster in ihr Turmzimmer geflogen war, um es zu ihrem Wohl zum tausendsten Mal zu lesen. Da bemerkte sie plötzlich einen einzelnen Blumensamen, der an einer Ecke des zerknitterten Papiers klebte. Gudrun holte aus dem Keller einen alten Topf, der einen Sprung hatte und deshalb nicht benutzt wurde. Sie füllte ihn mit Erde, setzte den Blumensamen hinein und begoss ihn mit ihren Tränen.
Die Zeit verging.
Gudrun besuchte weiter den Markt und verkaufte ihre Blumen. Das Geld gab sie ihrem Mann, der davon ausschweifende Gelage mit seinen Freunden feierte. Währenddessen keimte der Samen, den Gudrun eingepflanzt hatte. Er entwickelte sich gut und wurde immer kräftiger. Jeden Abend brachte die unglückliche Gudrun den gesprungenen Topf hinaus auf die Terrasse, damit das heranwachsende Grün die Schönheit des Mondes bewundern konnte. Das Pflänzchen war ihr Geheimnis, sie sprach mit ihm, teilte ihre Trauer mit ihm und begoss es in Gedanken an ihren geliebten Heinrich mit ihren Tränen. Mit der Zeit entwickelte sich der kleine Sprössling zu einem kräftigen Rosenstrauch mit wunderbaren roten und gelben Blüten. Jeden Abend vor dem Schlafengehen ergötzte sich die Prinzessin an seiner Schönheit, redete mit ihm und vergoss ihre Tränen darüber.
Dann hörte Gudrun eines Tages auf dem Markt, dass König Heinrich nicht nur als Sieger in sein Land zurückgekehrt sei, sondern auch eine schöne junge Braut mitgebracht habe und dass im königlichen Schloss schon bald Hochzeit gehalten werden solle. Gudrun wollte das nicht glauben und beschloss, sich selbst zu überzeugen, ob die Gerüchte stimmten. Sie nahm den Rosenstrauch, umwickelte den Topf mit kostbarem Stoff, um den Sprung zu verbergen, zog ein frisches Kleid an und machte sich auf den Weg zum königlichen Schloss.
Als dem König ihre Ankunft gemeldet wurde und sie den Thronsaal betreten durfte, machte ihr Herz einen Sprung. Ihr geliebter Heinrich saß auf dem Thron, ganz der stolze Sieger, den Körper mit Narben bedeckt. Heinrich jedoch erkannte die Prinzessin nicht einmal, als sie sich ihm näherte.
„Sei gegrüßt, Frau!“, sprach er. „Tritt näher und sag mir, was dich zu mir führt.“
„Aber ich bin es doch, deine Gudrun!“, sagte sie mit leiser Stimme, die vor Aufregung zitterte. „Erkennst du mich denn nicht?“ Ihre Augen wurden feucht. „Ich habe die ganze Zeit auf deine Rückkehr gehofft.“ Sie stellte den Topf mit der Rose vor ihn auf den Boden. „Diesen Rosenstrauch habe ich für dich gezogen, während ich auf dich gewartet habe. Nachts stellte ich ihn auf die Terrasse, damit das Mondlicht seine Blätter kräftigt, tagsüber goss ich ihn mit meinen Tränen, so dass er durchtränkt ist von meiner Liebe und meiner Sehnsucht. Er hat kaum Sonne gesehen, so wie ich, da mir ohne dich keine Sonne schien. Schau, wie schön er ist, welch ungewöhnliche Blüten er hat, die einen rot, die anderen gelb. Ich möchte ihn dir schenken!“
„Dein Geschenk brauche ich nicht“, sagte der König abfällig. „Ich bin auch so glücklich. Denn ich habe alles, was ich brauche: mein Königreich, meine Untertanen und die junge Insa, meine künftige Ehefrau. Aber ich kann dir Geld geben, damit du einen neuen Topf für deine Blume und für dich selbst ein neues Kleid kaufen kannst.“
Gudrun fühlte sich betrogen. „Du hast wohl alles vergessen, was du mir versprochen hast und wovon wir beide geträumt haben“, sagte sie traurig. „Sag mir nur eins: Bist du aus all deinen Schlachten gesund zurückgekehrt, hast du keine verborgenen Leiden? Denn dein Körper ist mit Narben übersät.“
„Warum fragst du so etwas?“ Heinrichs Gesicht verfinsterte sich. „Solche Fragen dürfen dem König nicht gestellt werden.“
„Ich frage das, weil du nicht so glücklich aussiehst, wie du es behauptest. Und vergiss nicht, dass ich zwar arm bin, aber dennoch eine Prinzessin und kein gemeines Weib. Ich war sogar die Verlobte des Königs. Ich darf ihm solche Fragen stellen.“
Der König schwieg lange. „Du hast recht, Gudrun“, sagte er schließlich stirnrunzelnd. „Tatsächlich bin ich nicht so glücklich, wie ich vorgebe zu sein. Ich fühle mich alt und zerschlagen, meine unzähligen Wunden brennen und schmerzen, und meine Ärzte können mir kaum helfen. Nur wenn ich in Insas Armen liege, fühle ich mich besser. Ihr junger Körper gibt mir Kraft.“
„Du betrügst dich selbst, wenn du denkst, dass dein Glück in den Armen einer jungen Frau ewig dauern wird. Über kurz oder lang wird sie deiner samt deiner Leiden überdrüssig werden. Und eines Morgens wirst du einfach nicht mehr erwachen, weil die Schmerzen dich aufgefressen haben. Deine junge hübsche Witwe wird dein Grab besuchen, dein Königreich regieren und das Leben genießen – ohne dich, versteht sich.“
„Du lügst!“, sagte der König erbost. „Du kannst es nur nicht ertragen, dass ich glücklich bin! Geh jetzt, ich habe keine Zeit mehr für dich.“ Er klatschte herrisch in die Hände. „Hofmarschall!“, rief er. „Gib dieser Frau Geld für ein neues Kleid und einen neuen Blumentopf.“
Da richtete Gudrun sich zu ihrer vollen Größe auf. „Ich will dein Geld nicht“, sprach sie stolz, wenn auch mit Tränen in den Augen. „Leb wohl und werde glücklich. Doch du sollst wissen, dass du mich rufen kannst, wenn du mich brauchst.“
Der König lächelte spöttisch. „Ich lasse dich rufen, wenn ich dich brauche“, sagte er, „aber ich werde dich nicht brauchen.“ Er schaute sie nicht an dabei, denn obgleich er sich so hochmütig gab, hatte er ein schlechtes Gewissen und konnte es nicht ertragen, ihr trauriges Gesicht und ihre Tränen zu sehen.
Die arme Gudrun kehrte nach Hause zurück und ging in ihre Kammer. Als sie den Rosenstrauch auf den Tisch stellte, streifte sie ungeschickt den Stamm, und ein spitzer Rosendorn stach sie in den Finger und sie begann kräftig zu bluten. Da Gudrun nichts zur Hand hatte, um die Wunde zu verbinden, riss sie das äußere Blatt von einer Rosenblüte ab und legte es auf die Wunde. Das Blättchen schmiegte sich an ihren Finger, wurde zuerst rot, dann rosa, schließlich zog es sich in die Haut ein und verschwand, als ob es nie da gewesen wäre. Gudrun war überrascht. Sie untersuchte ihren Finger und stellte fest, dass von der Verletzung nicht die geringste Spur geblieben war.
Einige Zeit verging. Der Tag der Hochzeit von König Heinrich und Prinzessin Insa wurde bekanntgegeben. Doch dann erschien eines Abends ein königlicher Bote bei Gudrun und überbrachte ihr den Befehl, vor dem König zu erscheinen. Sie war kein bisschen erstaunt, es war, als hätte sie die ganze Zeit auf diese Nachricht gewartet. Sie nahm ihren Rosenstrauch und folgte dem Boten, der sie zum Schloss und in die Gemächer des Königs führte. Dort sah sie Heinrich sitzen, allein und traurig.
„Guten Abend, Gudrun“, sprach er mit großer Mühe. „Insa weiß nicht, dass ich dich rufen ließ. Sie verbringt die letzten