Unser Auto mag ja heruntergekommen sein, aber immerhin funktioniert die Stereoanlage sehr gut. Meine Brüder und ich sind musikbegeistert. Ich mag Switchfoot, 12 Stones und moderne geistliche Musik. Meine Mutter mag sie ebenfalls. An jenem Morgen entschieden wir uns für eine CD von der David Crowder Band. Ich drehte sie auf, als das Lied „O Praise Him“ anfing. Mama ermahnte mich: „Nicht so laut! Wir wollen doch nicht die ganze Nachbarschaft wecken.“
Wir platschten auf der langsamen Fahrt durch ein paar Pfützen, vorbei an Princeville, unserer Stadt an der Nordküste. Alles war ruhig und pechschwarz, als wir die windige Straße von den Steilufern zu den Surf-Spots in und um Hanalei Bay entlangfuhren.
Wir ratterten über die einspurige Stahlbrücke, den offiziellen Beginn des North Shore. Diese Brücke ist zu schmal und zu niedrig für große Lastwagen, sodass in diesem Teil der Insel nur Pkw unterwegs sind. Manchmal ist die Brücke wegen starker Regenfälle gesperrt. Die Menschen auf der anderen Seite sind dann von der Außenwelt abgeschnitten. Ich persönlich glaube, dass es den Kindern dort nichts ausmacht: Sie verpassen eben die Schule!
In der Dunkelheit kamen wir an sehr vielen Surf-Spots vorbei: Bay, Bowl, Pavilions, Pine Trees, Middles, Chicken Wings, Wai Koko. Wir steuerten auf das hinterste Ende der Straße namens Pauaeaka zu. Es war zwar noch dunkel, aber bei geöffneten Fenstern konnten wir die Schönheit Hawaiis riechen: duftende Blüten, nasser Boden, Gras und salzige Luft. Ich atmete tief ein und schloss die Augen, damit ich es mir im Geiste ausmalen konnte.
Hawaii kann einen mit allen Sinnen betören. Hier ist es wahrlich zauberhaft und ich möchte an keinem anderen Ort der Welt leben. Ich schaute hinüber zu meiner Mutter, die auch vor sich hinlächelte – ihr ging es genauso wie mir.
Wir fuhren an der alten Waioli-Kirche und dem Missionshaus vorbei, wo einige der ersten Missionare auf Hawaii lebten, arbeiteten und starben. Schließlich überquerten wir am Ende unserer Fahrt eine sehr schmale Holzbrücke.
Die Ruhe vor dem Angriff
Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ich stieg aus dem Auto und schaute aufs Wasser, aber es war noch zu dunkel, um etwas zu erkennen. Zu hören war ebenso wenig. Wenn die Brandung richtig groß ist, hört man sie schon von Weitem auf das Riff klatschen. „Ist anscheinend nicht viel los heute“, sagte ich zu meiner Mutter.
Schon bald wurde der Himmel im Osten heller und ich konnte sehen, dass die Brandung auch nicht annähernd so stark war wie am Vortag. Die kleinen Wellen dümpelten in das spitze Korallenriff, anstatt darüber hinwegzutosen. Es juckte mich, aufs Brett zu steigen, doch das Wasser würde nicht mitspielen. Wenn man viel surft, gewöhnt man sich an so etwas. Die Insel bietet einige der besten Wellen überhaupt, aber meine Freundinnen und ich werden manchmal an der Nase herumgeführt. Nichts zu machen: Man geht wieder heim und beschäftigt sich anderweitig.
„Kehren wir um“, seufzte meine Mutter. Sie war genauso enttäuscht. „Vielleicht kommt die Brandung ja morgen.“
Ich wusste, wenn ich jetzt nicht surfen ging, würde ich mich mit Sozialkunde, Englisch oder Mathematik befassen müssen. Ich will zwar Profi-Surferin werden und werde zu Hause unterrichtet, um dieses Ziel zu erreichen, aber doch überhäufen mich meine Eltern mit Hausaufgaben.
Als wir losfuhren, machte ich einen letzten Vorstoß: „Lass uns doch mal schauen, wie es am Tunnels Beach aussieht“, schlug ich vor. Tunnels ist nicht weit von Pauaeaka. Er heißt Tunnels, weil sich sandgefüllte Gänge durch die seichten Stellen des Riffs ziehen. Für Touristen ist er eine beliebte Stelle zum Schnorcheln. Surfer lieben ihn, weil es etwas hinter dem Riff eine blitzschnelle Welle gibt, die im Sommer wie im Winter toll ist.
„Na klar, schauen können wir ja mal“, erwiderte meine Mutter. Sie machte unter den Bäumen eine Kehrtwende und fuhr in die letzte freie Parkbucht. Ich ging über den kleinen Sandweg und schaute eine Zeit lang den Wellen zu. Auch nicht viel los. Und entsprechend entwickelte ich auch gar keine Lust, selbst hinauszupaddeln. Ich war also dazu verurteilt, Schularbeiten zu machen, und trabte wieder zu unserem Wagen.
Plötzlich bog ein schwarzer Pick-up auf den Parkplatz ein. Es waren Alana Blanchard, meine beste Freundin, ihr sechzehnjähriger Bruder Byron und ihr Vater Holt. Sie waren wie ich unterwegs, um eine Stelle zum Surfen zu finden. „Okay“, dachte ich, „wird das Ganze doch nicht eine totale Pleite.“
Die Wellen waren zwar lausig, aber alles andere lief glatt: Es war sonnig, das Wasser war warm und ich konnte hier mit meinen Freunden abhängen.
„Mama, kann ich hier bleiben?“, fragte ich. „Wir paddeln vielleicht zu den kleinen Wellen hinaus.“
Man musste nur das Beste daraus machen.
„Dann klär doch bitte mit Holt, ob er dich nach Hause bringt“, rief sie, und damit rannte ich mit meinen Freunden über den Dschungelpfad zum Tunnels Beach. Ich grub meine Zehen in den warmen Sand und betrachtete die aufgehende Sonne, die das blaue Meer anstrahlte. Hier hatte der Regen das Wasser erstaunlicherweise nicht getrübt. An anderen Surf-Spots ergossen sich schlammige Flüsse ins Meer, aber diese Stelle hier war glasklar.
Holt wachste sein Brett ein (damit seine Füße nicht abrutschten). Ich befestigte die Fangleine an meinem linken Fuß und nahm mein Surfbrett von Tim Carroll unter den Arm. Ich freute mich aufs Surfen; ich freute mich, bei meinen Freunden zu sein. Ich spürte das warme Wasser an meinen Knöcheln. Bevor ich hineinsprang, schaute ich auf die Uhr.
Es war 6.40 Uhr an einem wunderschönen Halloween-Morgen.
Ich habe viel von meinen Eltern. Sie haben schon immer unglaublich hart daran gearbeitet, ihre Ziele zu erreichen. Ich weiß, dass viele Teenager ihre Eltern für Außerirdische von einem anderen Stern halten, aber meine finde ich ganz cool. Sie unterstützen mich nicht nur in allem, was ich tun will. Sie inspirieren mich regelrecht, eine tolle Surferin und vor allem ein toller Mensch zu sein.
Mein Vater war absolut verrückt aufs Surfen. Man stelle sich Folgendes vor (ich lache mich bei der Vorstellung jedes Mal halb tot): Ein bitterkalter Winter in Ocean City, New Jersey. Von den Dächern hängen Eiszapfen, über die Gehwege wirbelt der Schnee. Bald sind die Bordsteine zugeweht und an den Hauswänden türmen sich kleine Schneehügel auf. Alle sind schön warm eingemummelt und kratzen das Eis von den Autoscheiben. Da kommt ein hagerer Siebzehnjähriger mit seinem Surfbrett angestapft, Tom Hamilton, mein Papa. Seine Biberschwanzkappe (à la Davy Crockett!) flattert ihm hinterher. Er trägt einen primitiven schwarzen Taucheranzug und hat sich die Achselhöhlen dick mit Vaseline eingeschmiert, damit sie durch den Anzug nicht aufscheuern. Und dieses sonderbare Wesen stapft nun, egal wie es stürmt und schneit, zu seinem Lieblings-Spot von Ocean City, Tenth Street.
Hier trifft er sich mit Monk, seinem besten Kumpel. Die beiden überqueren einen verwaisten, zugefrorenen Strand, um auf dem eisgrauen Atlantik unter Bedingungen zu surfen, die ihnen die Augenbrauen gefrieren lassen. Tom und Monk haben im Sommer 1962 mit dreizehn, vierzehn gemeinsam angefangen zu surfen. Innerhalb weniger Jahre waren die beiden Jungs so von ihrem Sport besessen, dass sie ihn das ganze Jahr über ernsthaft betrieben.
„Im Winter veranstalteten wir die unmöglichsten Dinge, um uns warm zu halten“, erzählte mir mein Vater. „An den Surfbrettern gab es noch keine Leinen. Wenn man also in den Wintermonaten ins Wasser fiel, musste man in brutaler Kälte zum Strand zurückschwimmen. Eine unserer verrückten Ideen war, vor dem Surfen heißes Wasser über unsere Anzüge zu gießen, damit die Kälte nicht gar so schneidend war. Unterwegs zum Strand dampften wir wie Teekessel.“
Ich frage mich immer noch, woher mein Vater wusste, dass er zum Surfen geboren war. Wenn ich ihn darauf anspreche, sagt er mir, das Schicksal habe ihn wohl an die Hand genommen und zu den Wellen geführt.
Seine Eltern George und Mary Hamilton zogen mit ihren vier Kindern mehrmals innerhalb New Jerseys