• Als internationale Branchenorganisation (siehe auch S. 22) agiert für antiquarische Buchhändler seit 1948 die International League of Antiquarian Booksellers (ILAB). Heute vertritt sie über 1.800 antiquarische Buchhändler und 22 Branchenverbände in insgesamt 37 Ländern weltweit.
Ziel dieses Bandes ist es, sich in drei Schritten der Thematik der internationalen Buchmärkte zu nähern. Zunächst sollen einige Grundsatzüberlegungen angestellt werden (Kapitel 1: Buchmärkte international begreifen). Danach folgt ein Kapitel, das die Herausforderungen beim Vergleich von Buchmärkten beschreibt und die wichtigsten #Buchmarktstatistiken kritisch einordnet (Kapitel 2: Buchmärkte in Zahlen: internationale Buchmarktstatistiken). Anschließend (Kapitel 3: Der globale anglophone Buchmarkt) sollen die Chancen und Grenzen international vergleichender Buchmarktforschung zur Sprache kommen.
Um das Material zu verdichten und in die Tiefe gehen zu können, wird notwendigerweise kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Stattdessen sollen insbesondere die anglophonen Buchmärkte zur Sprache kommen, da sie in ihrer Vielfältigkeit und politischen wie historischen Dimension (Kolonialsmus, # Postkolonialismus, Sprachimperialismus, usw.) viele Aspekte veranschaulichen, die sich auch auf andere Sprachen wie Französisch, Spanisch oder Niederländisch anwenden lassen. Ferner ist Englisch (in allen anglophonen Sprachvarianten, vor allem aber das US-amerikanische und britische Englisch) unbestreitbar die wichtigste Transfer- und Herkunftssprache für Übersetzungen weltweit, wie der Index translationum der UNESCO eindrücklich dokumentiert. Insofern ist eine Schwerpunktlegung auf die englischsprachigen Buchmärkte gerechtfertigt.
INDEX TRANSLATIONUM
Der Index translationum verzeichnet seit 1932 Übersetzungen im Auftrag der UNESCO (ehemals des Völkerbunds). Anspruch des Index ist es, Übersetzungen aus allen und in alle Weltsprachen aufzuzeichnen. Seit 1979 werden die Daten elektronisch erhoben und werden von den Mitgliedsstaaten an die UNESCO weitergemeldet. Trotz einiger Lücken in der Datenbank und Herausforderungen bei der Interpretation der Suchergebnisse bleibt der Index ein überaus nützliches Tool zur Erfassung des internationalen Übersetzungsmarkts. Auf der Website (http://www.unesco.org/xtrans/) sind Beispiele von Suchergebnissen beschrieben, anhand derer die Funktionsweise gut nachvollzogen werden kann.
1 | Buchmärkte in nationaler und internationaler Perspektive |
Praxisbeispiel
Jedes Jahr darf sich ein ›Ehrengast‹ der Welt auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Meistens sind das Länder: daher spricht die Branche hier von den sogenannten Gastlandauftritten auf der Buchmesse. Doch zeigt ein Blick in die lange Gästeliste seit 1988, dass die Nation nicht immer das entscheidende Merkmal war, um die Präsentation mit Leben zu füllen. Mal war die ganze ›arabische Welt‹ zu Gast (2004), mal nur eine kleine, wenn auch wirtschaftsstarke Sprachregion: Katalonien (2007). Gleich zwei Mal, 1993 und 2016, standen Bücher, die auf Niederländisch oder Flämisch produziert worden waren, ganz gleich ob in den Niederlanden oder in Belgien, im Mittelpunkt des Interesses. Und 2017 wollte Francfort en français nicht nur die Literatur aus dem Nachbarland, sondern die frankophone Literatur weltweit vorstellen. Die anglophonen Länder sind hingegen auffällig unterrepräsentiert – nur Neuseeland (2012) findet sich auf der Liste der bisherigen Ehrengäste. 2020 wird sich Kanada zweisprachig mit englisch- und französischsprachiger Literatur vorstellen. Die Inszenierung der verschiedenen Nationen und Sprachräume durch die Länder selbst sowie durch die deutschen Verlage, die die übersetzten Bücher vermitteln, rückt zunehmend in den Blick der Forschung. Marco Thomas Bosshard untersucht Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den spanischsprachigen Buchmarkt und deren Wechselwirkung mit dem deutschen Buchmarkt.
Reflektion Kapitel 1: Ein Gedankenspiel zum besseren Verständnis der internationalen Beziehungen im Buchmarkt: Überlegen Sie, welches Buch aus einem anderen Sprachraum Sie zuletzt gelesen haben. Das kann auch ein Sachbuch oder wissenschaftliches Werk sein. Wenn Sie das Buch noch zur Hand haben, recherchieren Sie im Impressum den Ursprungsverlag, den Namen des Übersetzers, ggf. die Institution, die die Übersetzung finanziell gefördert hat. Online können Sie sich auch die Gestaltung der Originalausgabe anschauen. Sie werden sehen: es muss nicht nur der Text übersetzt werden, sondern auch die Paratexte müssen in eine andere Sprache und für einen anderen Markt überführt werden.
PARATEXTE Der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette (1930–2018) entwickelte die Idee der Schwellen (frz. seuils) zum Text in seiner Monografie Seuils (1987), die 1989 ins Deutsche übersetzt wurde. Der Übersetzer Dieter Hornig wählte für die Schwellen den treffenden Begriff Paratexte. Unter den Paratexten versteht Genette das ›Beiwerk des Buches‹ – alles, was dem eigentlichen Text zugeordnet ist. Das kann den Text direkt umgeben, also materiell und räumlich: das Cover, der Titel, das Vorwort, der Klappentext, das Impressum. Es können aber auch Texte sein, die nur indirekt mit dem Ursprungstext zusammenhängen, also zum Beispiel Rezensionen, Interviews, oder auch Tagebucheinträge des Autors. Genette unterscheidet verschiedene Kategorien, etwa verlegerische Para-texte und auktoriale Epitexte. Interessanterweise wurde das Buch erst 1997 ins Englische übersetzt (Paratexts. Thresholds of Interpretation, Cambridge UP).
Am Eingangsbeispiel wird klar: die Nation ist nur bedingt ein sinnvolles Ordnungskriterium für Buchmärkte. Auch historisch gewachsene Sprach- und Kulturgemeinschaften können hilfreiche Beschreibungsmerkmale sein. Wie eng Buchmarktstrukturen mit kulturhistorischen Fragen zusammenhängen, wird bei einem Blick nach Afrika deutlich. Kommunikationshistorisch spielt Oralität (also die mündliche Überlieferung von Informationen und Texten) in afrikanischen Gesellschaften eine viel größere und wichtigere Rolle als Schriftlichkeit. Auch heute sind der Austausch von Informationen und die Weitergabe von Traditionen eng mit Oralität verbunden. Da die Kolonialmächte das Lesen aus Europa mitgebracht und den Ureinwohnern aufgezwungen haben, ist bis heute das Verhältnis zu Büchern und Lesen problembehaftet. Isabel Hofmeyer plädiert in ihrem lesenswerten Aufsatz The Globe in the Text: Towards a Transnational History of the Book für eine kritische und ganzheitliche buchhistorische Betrachtung der Buchdistribution in den Kolonien am Beispiel der British and Foreign Bible Society, gegründet im 19. Jahrhundert. Hofmeyer betont darin, dass das Buch je nach Kontext als ›Geschenk‹ (oft von christlichen Missionaren) oder als ›Ware‹ in die Kolonien importiert und damit von Vornherein mindestens doppelt kodiert und politisch brisant war. Für viele Menschen in den ehemaligen Kolonien ist bis heute die Identifikation mit einer westlich geprägten Buch- und Lesekultur schwierig. Damit sind die Anforderungen an einen funktionstüchtigen Buchmarkt in Gesellschaften, in denen der Buchdruck und das Lesen als ›Mitbringsel‹ des Kolonialismus gesehen werden, anders als in Gesellschaften, in denen Schriftlichkeit und Buchdruck schon seit Jahrhunderten das Kommunikationssystem prägen.
Einen weiteren Zugang könnten wirtschaftliche beziehungsweise politische Gemeinschaften bieten, die buchpolitische und buchwirtschaftliche Maßnahmen gemeinsam veranlassen und durchsetzen. Ein Beispiel für eine buchpolitisch abgrenzbare Gemeinschaft wären die Staaten, die sich in der Berner Übereinkunft (Berne Convention for the Protection of Literary and Artistic Works) von 1886 oder der Genfer Konvention (Universal Copyright Convention) von 1952 zusammengefunden haben, um Urheberrechtsfragen international anzuerkennen. Ferner werden auf EU-Ebene Fragen zur Buchpreisbindung, zu E-Books usw. verhandelt; somit könnte eine solche geografisch-politische Gemeinschaft auch eine weiterführende Perspektivierung bieten. Auch der Lizenzmarkt, der zwischen nationalen Rechten, Rechten für einen Sprachraum und globalen Rechten trennt, löst diese Frage von Fall zu Fall auf unterschiedliche Weise. So wurden im 20. Jahrhundert im Rahmen des Traditional Markets