Severins Traumreise. Hermann J. Schuhen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann J. Schuhen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960742494
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kurzes Lächeln über ihr Gesicht, denn die Geräusche von draußen ließen sie Gutes ahnen.

      „Hallo, Mami“, kam Severin zur Tür hereingesprungen. „Die Schule heute war doof und Mami, Hunger hab ich, großen Hunger, weil“, er druckste kurz herum, „ja, weil mir mein Pausenbrot in den Hausbach gefallen ist und ich ihm nur noch nachschauen konnte, wie es davongeschwommen ist. Fast wie ein Segelschiff auf dem großen Meer.“

      „Was weißt du schon vom großen Meer“, brummelte der Vater, der in dem Moment zur Tür hereinkam und seinen nassen Hut ausbeulte.

      „He, gib acht“, lächelte ihn seine Frau erleichtert an. „Es ist doch schon nass genug hier.“ Dann nahm sie Severin ganz fest in den Arm.

      „Ach, mein Bub“, sagte sie, „bin ich froh, dass dir bei dem Wetter unterwegs nichts passiert ist.“

      „Passieren? Was soll mir denn passieren? Schaut mal.“ Severin schob seinen Hemdsärmel nach oben, ballte die Faust und zeigte seinen Eltern seinen Oberarm. „Schaut, wie stark ich bin.“ Sein ganzes Gesicht verzog sich bei sooo viel Kraft. Doch im nächsten Moment saß er zusammengekauert unter dem Holztisch und zitterte, denn das langsam dahinziehende Unwetter hatte noch einen letzten grollenden Donner ins Tal geschickt.

      „Ja, ja, unser starker Severin“, grinste der Bauer und hob die Tischdecke ein wenig, um nach seinem tapferen Sohn zu schauen.

      Die drei saßen zusammen beim Abendbrot, es gab selbst gebackenes Brot, die Butter hatte die Mutter in der Früh schon gemacht, und weil es Freitag war, gab es noch ein Stück Bergkäse. Nicht ganz so fröhlich wie sonst war die Stimmung bei Tisch und Severin bemerkte: „Ihr zwei seid heute so schweigsam.“

      Vater zuckte die Schultern, als wenn sie ihm nicht gehörten, und die Mutter meinte nur: „Wir haben viel gearbeitet und sind müde, du wirst doch auch erschöpft sein von deinem verregneten Heimweg.“

      „Nur nichts zugeben“, dachte Severin. „Schließlich bin ich ja ein ganz starker Bursch.“

      Vater drehte sich um und schaute gebückt in den Kamin. Die Arme hatte er auf die Knie gestemmt, um den Kopf zu stützen. Selbst ein Wassertropfen von Severins nasser Jacke, der ihm genau hinten zwischen Genick und Hemdkragen auf die Haut tropfte, ließ ihn nicht mal ein ganz klein wenig zusammenzucken.

      Was war nur los? Severin konnte sich keinen Reim auf die Stille in der Stube machen. Er sah noch mal rüber zu seiner Mutter, auch sie hatte ihren Blick gesenkt, was sicherlich nicht nur am Stricken lag. Dass er sie fragend angeschaut hatte, war ihr anscheinend aufgefallen.

      „Bub, geh schlafen“, sagte sie zu Severin, zog ihn zu sich für einen Gutenachtkuss, lächelte kurz und gab ihm einen kleinen Klaps.

      „Gute Nacht, Vater“, hörte er sich noch sagen und stieg die Holzleiter hinauf zu seinem Schlafgemach im Heu oberhalb der Wohnstube.

      Müde war er, aber einschlafen konnte er noch nicht. Was war wohl mit seinen Eltern los?

      „Ich hab doch nichts falsch gemacht“, überlegte Severin. „Vielleicht weil ich mir vor drei Tagen am Stacheldraht die Hose zerrissen habe? Nein, die hat mir Mutter eh schon viermal geflickt, die ist nicht mehr neu. Die Ziegen hab ich am Sonntag gehütet und sogar ein Lob von Vater bekommen. Auch das kann es nicht sein.“ So grübelte er hin und her und kam doch zu keinem Ergebnis. Die Augenlider wurden ihm immer schwerer. Er schickte noch ein Nachtgebet zum lieben Herrn im Himmel, dass dieser immer auf ihn, seine Eltern, die fünf Kühe und die zwei Ziegen aufpassen sollte, damit ihnen nichts zustieße, und auch auf den Lehrer solle er aufpassen, damit der nicht wieder einen neuen, biegsamen Haselnussstecken finde. Denn die Schule war nur deshalb heute blöd gewesen, weil der Lehrer ihn dabei erwischt hatte, wie er den alten Haselnussstecken im Hausbach etwas schwimmen lassen wollte. Die Watsche vom Lehrer war so fest, dass ihm das Pausenbrot aus den Fingern glitt, in den Hausbach plumpste und dem Stecken hinterher schwamm. „Lieber Herr im Himmel, lass den Lehrer nicht morgen schon einen neuen Stecken finden. Amen und gute Nacht!“

      „Rede nicht so laut“, hörte er seine Mutter leise zum Vater sagen. Severin wusste nicht, ob er nur kurz eingedöst war oder schon etwas länger geschlafen hatte, aber jetzt war er wieder wach.

      „Ich, der starke Severin, werde nie mehr Schlaf brauchen! Solange nicht, bis die Eltern mir sagen, was los ist.“ Er brauchte gar nicht lange zu warten. Der Vater redete auf seine Mutter ein, seine Mutter wieder auf den Vater und Severin verstand nicht, um was es ging. Aber nur anfangs. „Bin ja ein Mann mit klugem Köpfchen“, flüsterte Severin zu sich selbst.

      Sie redeten von zu harter Arbeit, von zu wenig Geld und dass Severin vielleicht traurig wäre, hier oben auf der Alm zu leben, ohne seine Schulfreunde.

      „Ahaaah, das war es also! Morgen, ja, morgen rede ich mit meiner Mutter. Sie braucht sich doch nicht zu sorgen. Ich fühle mich hier oben wohl und Geld hab ich auch noch nie gebraucht ... und ich bin immerhin schon sieben“, dachte der Junge. Wach bleiben wollte er jetzt nicht mehr und wach bleiben konnte er auch nicht mehr. Aber die Augen fielen ihm ganz schnell zu und der tiefe Schlaf würde ihm bestimmt neue Kräfte schenken. Aber auch einen Traum ... einen schönen Traum ...

      *

      Kapitel 2

      ... und in diesem Traum wachte Severin an einem strahlenden Wochentag auf, stieß die Bettdecke mit beiden Beinen von sich und kniete sich auf die Fensterbank. Die Gardinen brauchte er gar nicht auseinanderzuziehen, irgendwie waren sie praktisch.

      Weil sie schon so alt waren, konnte er schon durch die Risse und Löcher in den Vorhängen sehen, dass es ein sonniger Tag werden würde. Er fragte sich, warum nur ein Schultag so ein schöner Sonnentag sein konnte. Die Sonne verschwendet sich an einen hundsgewöhnlichen Schultag, nein, das konnte nicht sein. Was man da alles unternehmen könnte: Trockene Kuhfladen im Bach neben dem Stall ins Tal schwimmen lassen, in der bunt blühenden Wiese liegen, Sauerampfer essen und den frechen Bergdohlen bei ihrer Luftakrobatik zuschauen. Ein herrlicher Gedanke, aber nein, unsereins muss ja in die Schule! Wo wohl der Nebel des vergangenen Tages geblieben war? Severin schaute noch verschlafen in der Gegend umher. Der Nebel war weg. Hat ihn einer geholt oder fortgeschoben? Konnte man überhaupt Nebel schieben? Severin konnte sich nicht erinnern, jemals Nebel angefasst zu haben. Sein Blick fiel auf ein Blatt, das zu dem Ast gehörte, der an dem alten Apfelbaum neben seinem Schlafzimmer wuchs. Was war denn da auf dem Blatt? Es blinkte und blitzte wie eine Perle. Severin kniff die Augen zu einem kleinen Sehschlitz zusammen, um die Perle besser sehen zu können. Sie leuchtete mal grün, mal blau, jetzt gerade rot und dann wieder blau. Wie ein Zauber kam es ihm vor. Severin griff nach dem Blatt, aber es war ein paar Zentimeter zu weit von seinen Fingern entfernt.

      „He, Severin, mach die Augen richtig auf! Ich bin keine Perle und auch kein Zauber, ich bin ein Wassertropfen.“

      Severin blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Komisch, denn niemand war zu sehen. Seine Augen richteten sich wieder auf das Blatt mit der funkelnden Perle. „Na, Severin, bist du nun richtig wach? Ich rede mit dir, ich, der Wassertropfen. Oder wie du sagst – Perle. Na gut, nenn mich einfach Perle.“

      Ganz verdattert war Severin, so verdattert, dass er vor lauter zitternder Knien fast aus dem Fenster gefallen wäre. Nur gut, dass er sich am Fensterrahmen festhalten konnte.

      „Wieso kannst du reden?“, fragte Severin. „Wassertropfen kenne ich viele, aber reden, reden konnte von denen nicht ein einziger!“

      „Reden können alle Wassertropfen“, erwiderte die Perle. „Aber kaum ein Mensch hört uns zu.“

      „Ich höre alles“, meinte Severin. „Schau, was ich für große Ohrwaschel habe!“ Er zog an seinen Ohren, damit sie noch ein wenig größer aussahen.

      Die Wasserperle lachte: „Nicht die Größe der Ohrwaschel spielt hier eine Rolle, eher das Herz. Mit dem Herzen hören, das können immer weniger Menschen.“

      „Das verstehe ich nicht“, brummelte Severin. „Ich hab zum Hören jedenfalls