AVOGADRO CORP.. William Hertling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: William Hertling
Издательство: Bookwire
Серия: Singularity
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351615
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stieg auf der Beifahrerseite ein und lächelte sofort. Im Schimmer der Armaturenbeleuchtung konnte er sehen, dass Mike bereits zwei Isolierbecher mit dampfendem Kaffee besorgt hatte.

      »Du bist verdammt genial«, sagte David, griff nach einem Becher und nippte an seinem Kaffee.

      »Nichts zu danken. Der Schneereport sagt fünfzehn Zentimeter frischen Pulverschnee für den Mount Hood voraus. Das sollte gut werden.«

      »Wo ist der Rest des Teams?«

      »Ach, die meisten von ihnen fahren mit Melanies neuem Pick-up rauf«, antwortete Mike. »Ich dachte, wir zwei fahren zusammen und gönnen ihnen so eine Pause von ihrem Boss und ihrem Chefprogrammierer.«

      David grinste. »Du lernst noch Menschenführung auf deine alten Tage.«

      »Na, so alt bin ich noch nicht. Ich bin kein verheirateter alter Sack, so wie du.«

      Mike fuhr in Richtung Mount Hood, der ungefähr eine Stunde entfernt lag. Für eine Weile fuhren sie in einträchtiger Stille, blieben auf der nach Osten führenden I-84 und genossen den Kaffee und den Sonnenaufgang.

      »Wo siehst du dich in ein paar Jahren?«, fragte David plötzlich, die Stille unterbrechend.

      Mike warf ihm einen Seitenblick zu. »Wow, Mann. Das ist eine tiefgründige Frage am frühen Morgen.« Er überlegte kurz. »Weißt du, ich bin gerade glücklich. Ich arbeite gemeinsam mit tollen Leuten an dem spannendsten Projekt, das ich mir vorstellen kann. Ich habe einen guten Chef, auch wenn ich ihn von Zeit zu Zeit auf Kurs bringen muss.«

      David grinste angesichts des Kompliments.

      »Mir gefällt, was ich tue«, sagte Mike. Ich glaube, mehr kann man nicht verlangen. Außer mehr Servern vielleicht.«

      Darüber mussten sie beide schmunzeln.

      »Wie sieht es bei dir aus?«

      »Ich habe schon darüber nachgedacht.« David schwieg für einen Augenblick. »Die Sorgen über Gary und sein Ultimatum rauben mir den Schlaf.«

      »Mann, tu' dir das nicht an. Wir kriegen das in den Griff. Oder eben nicht und dann wird uns Sean irgendwoher zusätzliche Server verschaffen. Es ist nichts, weswegen man schlaflose Nächte haben müsste. Wir brauchen alle unsere Ruhepausen.«

      »Es ist nicht nur das. Klar, natürlich will ich ELOPe veröffentlicht sehen und das Projekt zu einem Erfolg machen. Für die Entwicklung von ELOPe rekrutiert zu werden, war für mich der große Wurf.« David machte eine Pause und schüttelte den Kopf. »Nein, die Wahrheit ist, dass ich nicht mehr unter der Fuchtel von jemandem stehen will, so wie es jetzt mit Gary ist. Wir machen all die Arbeit und bekommen sicher auch ein wenig Anerkennung, aber unter dem Strich kommt es eigentlich Gary Mitchell und seiner Abteilung zu Gute. Währenddessen müssen wir uns von ihm jeden Mist gefallen lassen.«

      Mike ließ das sacken. »Was hast du vor?«

      »Wir nehmen den Vertrauensvorschuss, den wir nach der Veröffentlichung von ELOPe erhalten würden. Darauf aufbauend kriegen wir die Unterstützung für etwas Großes, von Grund auf Neues. Ein brandneues Produkt für Avogadro. Etwas, das nicht jemandem wie Gary unterstellt ist. Etwas, das die Welt verändern kann.«

      Mike nickte. »Klar, das wäre nett, aber …«

      »Nicht nur einfach nett«, unterbrach ihn David. »Das ist, wofür ich geboren wurde. Ich spüre es tief in meinem Herzen.«

      Mike warf einen Blick zu David hinüber und hoffte, dass da nur das Koffein aus ihm sprach, fürchtete aber schlimmeres.

      Sechzig Meilen weiter östlich und eine Stunde später glitt Mike von der Liftrampe und ließ seine Bindungen zuschnappen. David war bereits auf dem Weg nach unten. Mike machte einen Sprung, um Fahrt aufzunehmen, und folgte ihm den Berg hinunter.

      Manchmal verstand er David einfach nicht. David war einerseits unglaublich intelligent und es machte Spaß, mit ihm befreundet zu sein. Auf der anderen Seite war er ein getriebener Mensch, immer auf etwas jenseits des Horizonts fixiert, was ihn den Blick für das Hier und Jetzt verlieren ließ.

      Verdammt, David war ihm zu weit voraus. Mike ging tiefer in die Hocke, um etwas mehr Tempo zu machen. Die kalte Bergluft pfiff durch die Ventilationsschlitze seines Skihelmes.

      Mike erstaunte es immer wieder, wie er und David sich in dieselbe Situation hineinversetzen und sie doch auf völlig unterschiedliche Arten beurteilen konnten. Mike erlebte gerade die beste Zeit seiner Karriere, während er mit netten Kollegen an einem aufregenden Projekt arbeitete. Klar, es tauchten auch hin und wieder Typen wie Gary auf, aber das war Teil der Herausforderung. David betrachtete dasselbe Szenario und nahm Garys Einmischung persönlich. Schlimmer noch, er begann das ganze Projekt nur als eine Etappe auf dem Weg zu etwas Größerem zu sehen. Was war mit ihrer Freundschaft? Und war nicht der Weg eigentlich das Ziel?

      Mike blickte auf und stellte das Snowboard quer, um anzuhalten. Als er knirschend zum Stehen kam, war es absolut still in der kalten Luft der Berge. Die Skipiste teilte sich hier und David war bereits außer Sicht. Welchen Weg hatte er genommen?

      Ein paar Tage später steckte Mike seinen Kopf in Davids Büro. »Hast du mal eine Minute?«, fragte er.

      »Klar, lass mich das hier noch fertig machen.« Tippend und drückend zwang David dem Computer seinen Willen auf. »Was kann ich für dich tun?«

      Es war Dienstag und bereits später Abend, kaum drei Tage bis zum Ablauf von Garys Ultimatum. Die meisten im Team waren geblieben und hatten das Abendessen ausgelassen. David hatte Pizza besorgt. Mike wusste, dass das Budget der Abteilung durch die Anschaffung des kleinen Serververbunds, den David ein paar Monate zuvor gekauft hatte, erschöpft war. Das bedeutete, dass David das Essen vermutlich aus seiner eigenen Tasche bezahlt hatte. Jetzt aber machten sich die Softwareentwickler nach und nach auf den Heimweg und Mike nahm an, dass er nun ungestört mit David reden konnte.

      Mike zog einen der Bürostühle heran und drehte ihn, um sich verkehrt herum darauf zu setzen. »Ich glaube nicht, dass wir es schaffen. Es gibt nichts, das wir bis Ende der Woche tun könnten, was uns Garys Forderungen näher brächte. Ich habe das gesamte Team daran arbeiten lassen. Wir haben Tests mit jeder brauchbaren Idee laufen lassen, die uns in den Sinn kam, aber nichts zeigte Wirkung.« Er kreuzte die Arme über der Stuhllehne und wartete auf Davids Antwort.

      David saß einfach da, hatte die Hände vor sich gefaltet und starrte zum Fenster, das eine seltsame Mischung aus dem Licht von draußen und der Spiegelung des Büros zeigte. Mike bemerkte, dass David den Beleuchtungshack laufen ließ, der von einem Avogadro-Programmierer entwickelt worden war, um die automatische Beleuchtung zu umgehen. Der Hack war über die Jahre verbessert worden, sodass es nun möglich war, das Licht zu dimmen. David hatte es auf sehr dunkel eingestellt.

      Eine Minute verging und es war offensichtlich, dass David nicht antworten würde. Wenn es eine Sache gab, die Mike an David störte, dann war es seine Tendenz, gerade dann schweigsam zu werden, wenn viel auf dem Spiel stand.

      Eine weitere Minute verging und Mike begann sich innerlich zu winden. »Ich wünschte, ich könnte etwas finden«, sagte er schließlich, »aber ich weiß nicht was. Da ist dieses autodidaktische, serbische Wunderkind, der etwas mit Algorithmen für künstliche Intelligenz macht und er macht das auf seinem Heimcomputer. Ich habe seinen Blog gelesen und es klingt, als hätte er ein paar neue Ansätze für Referenzalgorithmen. Aber ich sehe keinen Weg, das, was er da entwickelt, bis zum Ende der Woche zu duplizieren.« Mike griff nach einem Strohhalm. Nach einem sehr dünnen Strohhalm. Er hasste es, David schlechte Nachrichten zu überbringen. »Vielleicht können wir die Genauigkeit des Systems reduzieren. Wenn wir weniger Sprachanalysecluster verwenden, können wir mit geringerer Speicherlast und weniger Rechenzyklen auskommen. Vielleicht …«

      »Nein, macht das nicht.«

      Davids Stimme tauchte aus dem Halbdunkel empor und ließ Mike aufschrecken. David hatte aufgesehen und lächelte Mike an. »Hör zu, mach dir keine Sorgen. Wir haben noch ein paar Tage. Ihr Jungs bleibt an der Sache dran. Der Führungsstab hat vor ein paar Wochen unsere Präsentation gesehen und sie hat ihnen gefallen. Wir