AVOGADRO CORP.. William Hertling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: William Hertling
Издательство: Bookwire
Серия: Singularity
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351615
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seines Urlaubs bitten. Er wird natürlich zwingende Gründe für seinen Wunsch vorbringen wollen. Womit kann er seinen Chef überzeugen? Sollte er erwähnen, dass er viele Überstunden gemacht hat? Dass er mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen will? Oder dass er plant, den Grand Canyon zu besuchen, einen Ort, mit dem sein Chef zufällig positive Erinnerungen verbindet?«

      »Die Antwort ist«, fuhr David fort, während er vorn in Raum auf und ab ging, »dass es auf die Person ankommt, die die Nachricht erhält. Deshalb basiert die Analyse von ELOPe nicht nur auf dem Wunsch des Verfassers, sondern auch auf der Motivation des Empfängers.«

      David bemerkte, dass Rebecca Smith in der Tür stand und der Präsentation lauschte. In ihrem streng geschnittenen Kostüm und mit ihrem legendären Ruf, der sie wie eine unsichtbare Aura umgab, war die Leiterin von Avogadro eine imposante Erscheinung. Nur ihr warmes Lächeln erschuf eine schützende Nische, in der ein Normalsterblicher wie David mit ihr koexistieren konnte.

      Sie nickte David zu, als sie hereinkam und ihren Platz am Kopf des Tisches einnahm.

      »Was Sie da beschreiben«, fragte Kenneth, »wie funktioniert das eigentlich? Die maschinelle Sprachverarbeitung ist nicht einmal annähernd in der Lage, die Bedeutung von Worten zu verstehen. Hatten Sie irgendeinen spektakulären Durchbruch?«

      »Im Grunde genommen sind wir hier noch im Bereich der Referenzalgorithmen«, antwortete David. »Sean hat mich nicht eingestellt, weil ich mich mit Sprachanalyse auskenne, sondern weil ich einer der führenden Mitbewerber um den Netflix-Preis war. Netflix empfiehlt Filme, die Ihnen gefallen könnten. Und je effektiver sie das tun können, umso besser ist der Service für Sie als Kunden. Vor einigen Jahren bot Netflix jedermann einen Preis in Höhe von einer Million Dollar an, der ihren eigenen Algorithmus um zehn Prozent übertreffen konnte.«

      »Was das erstaunliche und sogar unlogische an solchen Referenzalgorithmen ist, ist der Umstand, dass sie nicht auf dem Verständnis der Filme basieren. Netflix hat keinen großen Personalstab, der Filme anschaut, bewertet und kategorisiert, nur um mir dann den neuesten Sci-Fi-Actionthriller empfehlen zu können. Stattdessen verlassen sie sich auf eine Methode, die man als kollaborative Filterung bezeichnet. Dabei finden sie mir vergleichbare Konsumenten und beobachten, wie diese einen bestimmten Film bewerten, um dann vorherzusagen, wie er mir gefallen könnte. Seans Gedanke war, da maschinelle Sprachanalyse nach wie vor mit der Wortbedeutung zu kämpfen hat, dass es besser sei einen Ansatz zu wählen, der nicht auf Verständnis, sondern auf der Nutzung von Sprachmustern basiert.«

      David fuhr fort, als er zustimmendes Nicken aus dem Publikum erhielt. »Genau das tut ELOPe. Es wertet Milliarden von E-Mails aus und vergleicht die Sprachnutzung mit der Reaktion des Empfängers. War sie positiv oder negativ? Zusammengefügt aus tausenden von E-Mails pro Person und Millionen von Menschen, können wir die Gruppe von Nutzern, die dem gewünschten Adressaten ähnlich sind, finden und beobachten, wie sie auf Sprachvarianten und Ideen reagieren, um den besten Weg zu finden, die gewünschte Information zu präsentieren und schlüssig zu argumentieren.«

      Nun gab es einige erstaunte Blicke und halb erhobene Hände als eine Reihe von Leuten im Raum Fragen zu stellen versuchten. David beschwichtigte sie mit erhobener Hand und fuhr fort. »Behalten Sie ihre Fragen im Hinterkopf und lassen Sie mich Ihnen ein weiteres Beispiel geben. Stellen wir uns jemanden namens Abe vor, der immer, wenn in einer E-Mail Kinder erwähnt werden, negativ reagiert.«

      David gestikulierte, während er sich in das Beispiel hineinversetzte. »Nun stellen wir uns vor, ELOPe müsste vorhersagen, ob die zu verschickende E-Mail von Abe positiv oder negativ aufgenommen würde. Sollte diese E-Mail Kinder erwähnen, besteht eine reale Chance, dass sie negativ aufgenommen würde. Wäre Abe nun Ihr Boss, den Sie um Urlaub bitten wollten, wäre es wahrscheinlich keine gute Idee, wenn Sie schreiben, dass Sie mehr Zeit mit Ihren Kindern verbringen wollen.«

      Er hörte ein paar Lacher.

      »Wenn es also keine semantische Analyse gibt«, fragte Rebecca, »dann wissen wir gar nicht, warum Abe keine Kinder mag?«

      »Nein, wir haben keine Ahnung, warum er so denkt«, antwortete David mit einem Lächeln. »Wir beobachten nur das Verhaltensmuster.«

      »Was wäre, wenn mein Chef noch nie Mails erhalten hätte, die von Kindern handeln?«

      Sean stellte die Frage. »Wie können wir vorhersagen, wie er reagieren würde?«

      David grinste, denn er wusste, dass Sean die Antwort bereits kannte und ihm nur auf die Sprünge helfen wollte. »Sagen wir, es gäbe da noch einen anderen Nutzer namens Bob. Bob hat noch nie E-Mails zum Thema Kinder erhalten. Allerdings hat ELOPe erkannt, dass Bob, Abe und etwa hundert andere Personen auf vergleichbare Themen ähnlich reagiert haben. Also was sie an ihren Wochenenden machen, wo sie ihren Urlaub verbringen und wie sie sich sonst die Zeit vertreiben. Nehmen wir an, die Gruppe verhielte sich zu 95% identisch. Sie haben also, bezogen auf alle Themen, zu denen sie Stellung genommen haben, eine Wahrscheinlichkeit von 95%, ähnlich zu reagieren, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Das nennen wir einen Nutzercluster.«

      Die Führungskräfte signalisierten ihr Verstehen und David konnte fortfahren.

      »Wenn also andere Mitglieder des Nutzerclusters E-Mails zum Thema Kinder erhielten«, erklärte David, »und sie alle negativ reagiert haben, dann kann ELOPe zu 95% sicher sein, dass auch Bob negativ reagieren wird. Natürlich wird es nicht immer so klar und offensichtlich sein, es bleibt eine statistische Vorhersage. Das bedeutet, dass ELOPe in 5% der Fälle daneben liegt, aber eben auch meistens richtig. Also Sean, wäre Bob Ihr Boss, würde ich empfehlen, nicht Ihre Kinder zu erwähnen, wenn Sie ihn um Urlaub bitten.«

      David sprach weiter. »Spaß beiseite, ELOPe funktioniert und wir haben es bereits mit Anwendern getestet. Die positive Reaktion bei Antwortmails stieg um 23% gegenüber dem Durchschnitt, wenn ELOPe aktiviert war. Das bedeutet 23% mehr genehmigte Urlaubsanträge, 23% mehr Menschen, die einer Verabredung zustimmen und 23% mehr erfolgreiche Geschäftsabsprachen.«

      Rebecca starrte David an. »Einen Augenblick. Wenn es um Verabredungen geht, dann geht es um eine Frau, die sich mit jemandem trifft, mit dem sie sich sonst nicht abgeben würde. Das klingt manipulativ und riskant.«

      Kenneth wirkte von Rebeccas Einwand überrascht und begann leise mit Sean zu reden, der neben ihm saß.

      Davids innere Gefahrenskala schoss in den roten Bereich und sein Magen krampfte sich zusammen. Das Beispiel mit dem Dating war wirklich verdammt kontrovers. Die nächsten Minuten würden über das Schicksal seines Projekts entscheiden. Wenn Kenneth und Rebecca sich gegen ihn entschieden, war es auch für Sean unmöglich, ihm die Unterstützung für die Fertigstellung von ELOPe zu gewähren.

      »Einen Augenblick. Das war womöglich ein schlechtes Beispiel.« David hatte beide Hände erhoben. »Wer hat schon mal an einem Myers-Briggs Persönlichkeitsworkshop teilgenommen?«

      Jeder hob die Hand oder nickte zur Bestätigung, ganz wie David es erwartet hatte. Myers-Briggs Seminare waren in großen Firmen quasi Standardveranstaltungen für das gehobene Management. »Nun, was war der Sinn des Workshops«, fuhr er fort. »Es ging ja nicht nur darum herauszufinden, ob Sie eine introvertierte oder extrovertierte Persönlichkeit sind, nicht wahr?«

      »Nein, es geht darum, zu erfahren, wie man effektiver mit anderen zusammenarbeitet«, sagte Sean.

      »Besser zusammenarbeiten bedeutet was?« David machte eine bedeutungsvolle Pause. »Es bedeutet zu erfahren, wie andere Menschen kommunizieren und denken. Es bedeutet zu erkennen, wer eine datenbasierte Argumentation einer emotionalen vorzieht. Es bedeutet zu wissen, wer gerne laut denkt und wer alles lieber schwarz auf weiß lesen will, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.«

      David beobachtete die Zuhörer, zwang sich selbst enthusiastisch und locker zu bleiben, auch wenn er Gefahr lief, dass sich die Gruppenmeinung gegen ihn und sein Projekt wenden konnte. »Ist das etwa manipulativ? Benutzen wir das Wissen aus dem Workshop, um Menschen zu manipulieren, oder werden wir nur befähigt, besser mit anderen zu arbeiten und weniger Zeit mit Diskussionen und Streit zu verschwenden?«

      Einige der Abteilungsleiter wandten sich Rebecca zu, warteten auf