»Als wir vor ein paar Wochen mit all dem hier angefangen haben, schien das kein Thema zu sein«, sagte Cris. Jakes neue Zögerlichkeit verwirrte ihn. Und es frustrierte ihn, mit dessen Rücken zu reden. »Würdest du uns bitte ansehen?«
Jake drehte sich mit verschränkten Armen um. Ein vertrauter Ausdruck von Abwehr zeigte sich auf seinem Gesicht.
»Ich glaube, ich verstehe«, meinte Chet. »Wenn Jake auszieht, bewegt sich unsere Beziehung ebenfalls aus diesen vier Wänden heraus. Sie wird nicht länger geschützt. Nicht länger vor der Betrachtung und Kritik der Außenwelt versteckt.«
»Aber irgendwann wird es dazu kommen«, sagte Cris. »Wir können uns nicht ewig verstecken und wir sollten auch nicht dazu gezwungen sein.« Sie versteckten sich bereits seit Wochen und alles, was Cris sich wünschte, war, von den Dächern zu schreien, was für ein Glück er hatte.
»Ich weiß das, okay?«, fauchte Jake. »Ich bin nur… Ich bin ein Go-go-Tänzer, weißt du? Die Leute erfahren das und gehen automatisch davon aus, dass ich eine Schlampe bin. Also was werden sie wohl denken, wenn sie rausfinden, dass ich mit zwei Typen gleichzeitig gehe? Der Überschlampentänzer in Gang drei bitte?«
»Du weißt, dass du keine Schlampe bist. Also warum ist es so wichtig, was andere Leute denken?«
»Für dich ist das leicht zu sagen. Du bist dieser große, kräftige Kerl, der andere mit einem einzigen Blick verstummen lässt, und du hast kein Problem damit, wenn die Leute dich anstarren. Du hast Pornos gedreht, verdammt noch mal. Und vielleicht tanze ich halb nackt für Geld, aber das bedeutet nicht, dass ich möchte, dass jemand mein Privatleben beäugt und es seziert. Dafür ist es mir zu persönlich.«
Cris runzelte die Stirn. »Nur weil ich Pornos gedreht habe, heißt das noch lange nicht, dass ich mich wohlfühle, wenn Fremde in meinem Privatleben rumschnüffeln. Warum zum Teufel glaubst du, dass ich ein Pseudonym verwendet habe? Ja, ich habe meinen nackten Körper gezeigt, aber Dane war nicht ich, Jake. Internetabonnenten bekommen nicht mein wahres Ich. Ihr beide dagegen schon.«
»Wenn du selbst nicht willst, dass andere Leute ihre Nase in unsere Angelegenheiten stecken, warum verstehst du dann nicht, worauf ich hinauswill?« Jake war angespannt und sichtlich nur noch ein falsches Wort davon entfernt, in Tränen auszubrechen.
Cris musste das richtigstellen. »Ich verstehe, was du sagen willst. Ich vermute, ich nehme unsere Beziehung anders wahr. Ich sehe darin nicht diese seltsame, bizarre Geschichte, die die Leute unter dem Mikroskop beäugen werden, als wären wir ein neuer Stamm Bakterien. Ich bin so verflucht stolz auf euch beide und möchte das zeigen. Ich möchte, dass die Leute wissen, dass ihr zwei mir gehört und dass ich euch liebe. Das kann ich nicht, wenn wir uns im Haus verstecken.«
Eine einzelne Träne lief über Jakes Wange und ihr Anblick brach Cris ein wenig das Herz. Er zog Jake in seine Arme, froh, dass der sich weder wehrte noch gegen die Umarmung protestierte. »Es tut mir leid«, flüsterte Cris. »Es tut mir leid, dass ich nicht das Richtige sagen kann. Es tut mir leid.«
»Du hast das Richtige gesagt«, murmelte Jake an seiner Achselhöhle. »Ich bin nur ein emotionales Wrack, das zu heulen anfängt, sobald du Ich liebe dich sagst.«
»Ich möchte nicht, dass du jemals Angst hast oder dich unwohl fühlst, wenn du in der Öffentlichkeit bei mir bist.«
»Tue ich nicht.« Jake hob den Kopf. Seine Augen waren noch feucht, aber klar. »Zu entscheiden, auszuziehen, war so eine große Veränderung für mich, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, was das für uns drei bedeutet, was es heißt, wenn wir uns auch draußen treffen. Seitdem wir angefangen haben, zusammenzuwohnen und miteinander herumzumachen, waren wir isoliert und ich weiß, dass diese Seifenblase nicht halten kann, aber ich habe eine Scheißangst, mich angreifbar zu machen.«
»Es ist absolut in Ordnung, Angst zu haben«, sagte Chet. Er legte jedem von ihnen einen Arm um den Nacken und komplettierte damit ihr Dreigespann der Unterstützung. »Jake, dein Leben hat sich im Verlauf der letzten paar Wochen dramatisch verändert. Mit einer bipolaren Störung leben zu lernen, ist keine Kleinigkeit. Mit einer Beziehung zurechtzukommen, ist für jeden schwer, aber gleich zwei auf einmal? Das ist ein riesiges Unterfangen. Und das, was wir gerade jetzt tun? Wie wir über unsere Ängste und Unsicherheiten reden? Das ist es, was diese Sache funktionieren lassen wird, egal, was das Leben uns entgegenschleudert.«
»Mir gefällt der Klang von uns.« Jake lehnte den Kopf an Chets Schulter. »Aber ich muss auch herausfinden, was mit mir ist. Wie ich damit umgehe, bipolar zu sein. Ich mit dir. Ich mit Cris. Ich mit anderen Menschen. Das ist einfach so viel.«
»Wir sind beide für dich da, Schatz. Was immer du brauchst.«
»Sind wir«, bestätigte Cris. Sein Herz barst vor Gefühlen. Er würde tun, was immer nötig war, jeden Drachen erschlagen, der sich ihnen in den Weg stellte, um diese beiden Männer zu beschützen.
»Es ist so dumm«, sagte Jake. »Manchmal weiß ich nicht, ob diese Ausbrüche echt sind oder ob sie an der Krankheit liegen und ich wieder auf dem besten Weg ins hypomanische Stadium bin.«
»Das ist nicht dumm«, erwiderte Chet. »Es liegt ein langer Weg vor dir, bevor du in der Lage sein wirst, den Unterschied zwischen Manie und berechtigten Ängsten oder Aufregung zu erkennen. Aber das schaffst du.«
»Es ist leichter, daran zu glauben, wenn du es sagst.«
Cris verbiss sich einen Scherz, dass er wohl weniger vertrauenswürdig war als Chet, denn dies war kaum der richtige Zeitpunkt. »Ich weiß, dass Geduld nicht deine größte Stärke ist«, sagte er zu Jake. »Aber gib dir etwas Zeit, dich an dein neues normales Selbst zu gewöhnen, okay? Ich mag vielleicht in der Welt mit dir angeben wollen, aber ich kann auch geduldig sein und warten, bis du bereit bist.«
»Danke. Du bist bereit, in die große, weite Welt hineinzuschreiten, aber ich bin immer noch auf kleine Schritte angewiesen. Vielleicht von Zeit zu Zeit auf eine Hand zum Festhalten und gutes Zureden, damit ich weitergehe.«
»Jederzeit.« Cris küsste seine Wange. »Alles gut zwischen uns?«
»Natürlich, du großer Trottel.«
In seiner schönsten Nasalstimme gab Cris zurück: »Das bist du, aber was bin ich?«
Jake fiel vor Lachen beinahe um. In einem Anfall teuflischen Wahns hatte Chet letztes Wochenende einen Marathon mit Pee-Wee-Herman-Filmen eingelegt, angefangen mit Pee-Wee's irre Abenteuer. Nachdem Jake sich an den schieren Irrsinn des Films gewöhnt hatte, hatte er die meiste Zeit über gejubelt. Und er war der Erste gewesen, der Cris gestern das berühmte Zitat entgegengeschleudert hatte, nachdem der ihn einen kleinen Trottel genannt hatte.
Cris liebte es, wie jeder von ihnen eine ganz eigene Art hatte, den anderen aufzuziehen.
»Ich werde es ewig bereuen, dass ich euch diese Filme gezeigt habe, oder?«, fragte Chet, während Jake versuchte, sich zusammenzureißen.
»Ja«, sagte Cris im gleichen Moment, in dem Jake ein Niemals zustande brachte.
»Ohne die Euphorie des Augenblicks stören zu wollen«, sagte Chet, »aber wann hast du vor auszuziehen, Jake?«
Jake wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. »Ähm, ich bin mir nicht sicher. Es ist ja nicht so, als hätte ich viel zu packen. Mein ganzes Leben passt in eine Reisetasche.«
Etwas flackerte in Chets Augen auf. Das tat es jedes Mal, wenn Jake Geld erwähnte, selbst wenn es nur indirekt war. Jake war mit zwanzig obdachlos geworden und eine Weile von Couch zu Couch gezogen, bis er sowohl in Sachen Arbeit als auch bei der Wohnungssuche Glück gehabt hatte. Über die vergangenen drei Jahre hatte er jeden Cent umgedreht und auf eine Weise gelebt, die ihm erlaubte, innerhalb eines Wimpernschlags zu packen und zu verschwinden.
Chet dagegen kam dank seiner Anteile an einer lukrativen Investment-Firma in Los Angeles das Geld aus den Ohren. Er war vor zehn Jahren nach Pennsylvania