»Oh.« Justin untersucht seine Bierflasche genauestens, bevor er zu Brandon hinübersieht. Es ist offensichtlich, dass er auf etwas wartet, und Avery braucht eine Weile, um herauszufinden, worum es sich handelt. Erlaubnis.
Brandon gibt sie ihm offensichtlich nicht und zwischen den beiden entsteht ein aufgeheizter, intensiver und sehr, sehr heißer Moment. Avery sagt nichts, weil er sie nicht unterbrechen möchte, und auch, weil es ihn irgendwie anmacht, ihnen zuzusehen. Er hat eine lange Woche hinter sich. »Hey, ihr müsst es mir nicht sagen. Ich bin nur eine Nervensäge.«
»Wir hatten einen One-Night-Stand, ohne sonst viel voneinander zu wissen«, erklärt Brandon, auch wenn das auf jeden One-Night-Stand zutrifft. Oder zumindest auf alle von Avery. »Dann gab es dieses Treffen aller Büros, die es in die letzte Runde geschafft hatten. Und wir haben uns erkannt und… ja. Überraschung.«
»Und jetzt habt ihr ein Abo des Spice Channel, besitzt einen Smart-TV und es ist Liebe.« Avery lächelt die beiden an und klimpert mit den Wimpern. »Das ist wirklich romantisch. Es ist wie –«
»Wenn du einen Fountainhead-Witz machst, schlage ich dir ins Gesicht.«
Avery schnaubt empört. »Hatte ich nicht vor.« Hatte er allerdings. »Egal, das ist ziemlich toll. Freut mich für euch. Echt.«
Die Kellnerin kommt zurück, um ihre Bestellungen aufzunehmen, und sie einigen sich auf einen Krug eines vor Ort gebrauten Indian Pale Ales. Als sie alle eine neue Runde vor sich stehen haben, wendet Justin sich an Avery und sagt fröhlich: »Also, Avery. Brandon sagt, dass du auf deinen Chef stehst.«
»Oh, sagt er das, ja?«
»Mhm. Heiß. Oder das wäre es, wenn… Na ja, Geschmäcker sind verschieden.« Justin tätschelt ihm den Arm. »Ich stehe auf heiß und blond. Du auf… ältere französische Arschlöcher?«
»Justin ist kein Fan von Lacroix.«
»Ist mir gar nicht aufgefallen.« Avery mustert Justin genau. »Warum nicht?«
»Lacroix ist wirklich gut in dem, was er tut. Er ist schon lange in der Branche, aber er ist berüchtigt dafür, dass es schwer ist, mit ihm zu arbeiten.« Justin zuckt mit den Schultern und schiebt sein Glas hin und her, von Hand zu Hand. Es ist seltsam faszinierend. »Er sitzt immer in irgendeinem Gremium und findet einen Weg, den Fortschritt zu stoppen oder aus Spaß an der Freude eine Million verschiedene Beschränkungen einzubauen. Oder so kommt es mir zumindest vor.«
»Ah ja. Vage Geschäftsklischees.« Avery nickt verständnisvoll. »Ich möchte wetten, dass er bei seinem Weg die Karriereleiter hinauf auch einigen Leuten auf die Füße getreten ist. Über Leichen gegangen ist. Den ein oder anderen vom Gipfel des Erfolges hinuntergestoßen hat. So was in der Art. Langsam wird das alles klarer.«
»Siehst du. Ich hab's dir ja gesagt«, meint Brandon und nickt zu Avery. »Süß, aber nervig.«
»Du findest mich süß? Ach, Brandon. Danke. Aber ich mag dich nur als Freund.« Avery nimmt einen Schluck von seinem Bier. Es ist vielleicht schon ein bisschen schön zu hören, dass ihn jemand süß nennt. Fuck. Er muss dringend flachgelegt werden.
Justin zuckt mit den Achseln. »Ich weiß nur nicht, ob du eine lange Liste mit Einzelheiten hören willst. Aber... ja. Er ist wirklich gut darin, Dinge ohne Grund komplizierter zu machen. Sogar bei Projekten, die nichts mit ihm zu tun haben. Wir vermuten, es ist aus reiner Boshaftigkeit, aber wer weiß.«
Avery befindet sich in der seltsamen Lage, mit Justin einer Meinung zu sein, aber völlig unfähig zu sein, das auch zu sagen. »Hm«, ist so ziemlich alles, was er zustande bringt.
»Ich respektiere den Mann, aber ich wünschte, er würde sich einem anderen Büro ganz weit weg anschließen. Vielleicht an der Westküste. Aber wir reden hier nicht über die Arbeit. Wir reden darüber, dass du ihm an die Wäsche willst.« Justin macht eine unterirdische Tanzbewegung mit seinen Armen. »Es klingt für mich, als würdest du ihn nicht mögen. Du willst nur mit ihm schlafen.«
»Ja!« Avery stellt sein Bierglas mit so viel Schwung ab, dass er etwas von seinem IPA verschüttet. »Gott. Okay. Ich frage immer wieder Leute, ob das komisch ist, und sie sagen, es ist komisch.« Damit meint er, dass er eine Textnachricht an Everett geschickt und sich dabei nicht wirklich erklärt hat, aber wie dem auch sei.
»Weil es das ist. Ich meine, nichts für ungut, Avery. Du kannst ficken, wen immer du willst. Aber ja, jemanden, mit dem du arbeitest, den du nicht einmal magst? Ich verstehe einfach nicht, warum du das willst.« Brandon blickt ihn aus diesen leuchtend blauen Augen an.
Justin schenkt sich noch etwas Bier nach. »Ich verstehe es. Komm schon, Brandon.« Justin wirft Brandon einen Blick zu, der wohl sehr bedeutungsvoll sein soll. »So weißt du, dass Avery und ich nie und nimmer miteinander schlafen werden. Aber er würde dich sofort flachlegen, wenn er könnte. Was er nicht kann«, fügt Justin entschieden hinzu.
»Warum ist das plötzlich die Handlung eines schwulen Lifetime-Films?« Aber Avery versteht, was Justin ihm sagen will. Obwohl er sich nicht sicher ist, ob er Brandon genauso sieht. Er scheint zu... nett zu sein. Was anscheinend nicht Averys Typ ist. »Ich stehe nicht wirklich auf diese ganze Seitensprunggeschichte. Ich kann echt überhaupt nicht lügen. Außerdem ist Brandon mein Kollege. Was, wenn ich ihn eines Tages erpressen muss? Da darf ich mich doch nicht auf ihn einlassen.«
»Da hast du vollkommen recht, Avery.«
»Danke. Und außerdem mag ich dich.« Avery war schon immer sehr freigiebig mit seiner Freundschaft und Zuneigung, und er neigt dazu, sie relativ schnell anzubieten, nachdem er jemanden kennengelernt hat. Er mag Justin und er freut sich wirklich für sie, wenn er nicht sogar ein wenig neidisch auf das ist, was sie zusammen haben. »Aber ja. Ich denke schon. Trotzdem wollte ich noch nie mit Ratcliff vögeln. Oder Roberts.«
»Hast du sie überhaupt schon getroffen?« Brandon verzieht das Gesicht. »Sie sind alt. Sogar älter als Lacroix. Obwohl ich einmal gehört habe, wie Ratcliff... Wie heißt der Typ, der bald Partner wird? Den hat er angeschrien.«
»Dabney?«
»Ja. Ihn.« Brandon lehnt sich verschwörerisch zu ihm. »Er hat sich über die Appetithäppchen auf der Weihnachtsfeier aufgeregt. Wenn du also auf Arschlöcher stehst, könntest du ihm einen blasen. Aber ich glaube, er hat eine furchterregende Frau. Also vielleicht nicht, während sie zu Hause ist.«
Avery wäre fast an seinem Bier erstickt. »Brandon, bist du betrunken? Das bist du, oder? Wir hatten etwa zwei Bier. Das ist eine Schande.«
»Das passiert, wenn man nur Salat-Wraps isst.« Justin füllt sein Glas und macht dann dasselbe für Brandon. »Aber trink gerne mehr. Wenn du betrunken bist, wirst du anhänglich. Also, glaubst du, dass du eine Chance hast? Erzähl mir deine schmutzigsten Geschichten, Hextall. Ich bin in einer festen, monogamen Beziehung und das klingt wie eines der Videos, die Brandon auf unserem Smart-TV hat.«
»Oh, das mit dem Geschäftsmann und dem heißen Verkäufer, der seine Umsätze steigern muss.« Brandon räuspert sich. »Ich bin betrunken. Wisst ihr was? Scheiß drauf.« Er gießt sich noch etwas Bier nach. »Das ist ein gutes Video. Mir egal, was ihr davon haltet.«
»Es gibt nichts zu erzählen. Ich glaube – ich schätze, ich finde ihn einfach attraktiv.« Das ist das erste Mal, dass er es laut sagt, und es ist nicht... allzu schrecklich, aber das könnte am Bier liegen. »Aber er macht mich verdammt verrückt. Er widerspricht grundlos bei allem. Er lässt mich keinen Satz beenden. Er ändert Dinge, weil ich sage, dass ich sie mag. Es ist wie bei diesem Katy-Perry-Song, wisst ihr, welchen ich meine?«
Brandon singt ein paar Zeilen dieses Hot N Cold-Liedes, schräg und in einem absolut grauenhaften Falsett.
Justin und Avery starren ihn an, bis Brandon die beiden finster anfunkelt. »Was? Das ist in meiner Playlist fürs Joggen. Seid still. Außerdem habt ihr es erkannt.«
»Ja, aber du läufst Marathons und isst Salat-Wraps«, betont Justin. »Du bist eher der Typ für