Schmunzelnd antwortete der Juwelier: »Hättest du mir geglaubt, wenn ich dir das damals gesagt hätte? Wahrscheinlich wärst du misstrauisch geworden und hättest vermutet, dass ich eure Notlage ausnutzen und die Kette billig erwerben wollte. Oder du wärst mit falschen Erwartungen von einem Juwelier zum anderen gelaufen, um doch noch einen höheren Preis zu erzielen. Vielleicht wärest du gar so verzweifelt gewesen, dass du den Lebensmut verloren hättest. Was hätten wir gewonnen, wenn ich dir damals die Wahrheit gesagt hätte? Du wärst mit Sicherheit nie zur Schmuckkennerin geworden. Aber so weißt du nun über Gold und Edelsteine Bescheid, und ich habe dein Vertrauen gewonnen.«
Dank eigener Erfahrung Echtes von Falschem unterscheiden zu können, ist mehr wert als jeder noch so gute Rat. Ein Mensch, der sein Urteilsvermögen durch eigenes Erleben schult, vergeudet seine Zeit nicht damit, anderen zu misstrauen oder in Verzweiflung zu verfallen. Er geht einfach seinen Weg. Und damit er dies tun kann, dürfen wir ihn nicht mit vorschnellen Ratschlägen und unausgegorenen Weisheiten daran hindern. Erkenntnisse, die wir uns nicht selbst erarbeitet haben, sind wie Flügel, die wir nicht ausbreiten können. Die Probleme des Lebens sind im Erleben zu lösen.
Bei einem meiner ersten Trekking-Aufenthalte im Himalaya plante ich, zum Dorf Langtang in Nepal aufzusteigen. Der Oktober oder November wären ideale Monate für diese Tour gewesen, aber es war Januar, als ich, der langhaarige Tourist, in einem Gasthof in Kathmandu meinen Koffer auspackte. Zu meiner Freude lief ich im Ort einem Bekannten aus Nepal über den Weg, der Profi-Bergsteiger war. Ich erzählte ihm von meinem Plan: in einer Woche hin und zurück von Syabru Bensi bis hinauf zum Kyanjin Gompa auf 3800 Metern. Bei meiner letzten Tour hatte ich einen Sherpa und viel Gepäck dabeigehabt. Diesmal wollte ich ganz leicht unterwegs sein – nur mit dem Allernötigsten im Rucksack. Ich hatte schon diverse Trekking-Touren unternommen und fühlte mich gut gerüstet. Ich strotzte nur so vor Zuversicht.
Als ich meinem Freund sagte, dass ich nicht einmal einen Schlafsack mitnehmen wollte, zog er die Augenbrauen hoch, aber er sagte kein Wort. Er nickte nur.
Die Tour nach Langtang wurde zu einem einzigen Fiasko. Die Route war wesentlich gefährlicher und anspruchsvoller, als ich es mir vorgestellt hatte. Da ich keinen Sherpa hatte, verlief ich mich andauernd. Statt einer Woche wie geplant brauchte ich zehn Tage, und die Einheimischen, denen ich unterwegs begegnete, waren entsetzt bei meinem Anblick. Ich war angezogen, als wollte ich eben kurz den Hügel hinterm Haus hochlaufen. Bei meinem Aufbruch in Syabru Bensi sah ich aus wie ein zivilisierter Mensch.
War es eine ausschließlich leidvolle Erfahrung? Ich habe seither im Himalaya über zwanzig Touren unternommen, aber der Weg nach Langtang hat sich mir am intensivsten eingeprägt. Nicht nur wegen der Landschaft, der schneebedeckten Gipfel von Ganesh Himal, die meine Augen und meine Seele überwältigten. Die kaum zu ertragende Kälte, die mich dazu brachte, unterwegs in einem Laden eine dicke Jacke, ein paar Handschuhe und eine Mütze aus Yakwolle zu kaufen; vor allem aber die liebevolle Hilfe der Einheimischen vor Ort sind mir unvergesslich geblieben. Weil es unmöglich war, im Winter auf dem Berg ohne Schlafsack zu campieren, ließen mich die Besitzer der Gasthäuser in ihrer Küche übernachten, wo ich dem Knistern des Feuers im Lehmofen lauschte. So kam ich mit den Leuten, die dort wohnten, ins Gespräch, und dieser zwischenmenschliche Austausch machte diese Tour zu etwas ganz Besonderem.
Als wäre ich zu nah an einer Bombenexplosion gewesen, war mein Gesicht von der erbarmungslosen Hochgebirgssonne total verbrannt, und meine Lippen waren mit Fieberbläschen übersät, als ich, körperlich völlig ausgezehrt, mit letzter Kraft Syabru Bensi erreichte. Aber mein Geist war noch nie so frisch gewesen und mein Blick noch nie so strahlend. In diesem Zustand traf ich meinen nepalesischen Freund, den Profi-Bergsteiger, wieder.
»Warum hast du mich nicht gewarnt?«, fragte ich. »Wieso um Himmels willen hast du mir nicht gesagt, was an Ausrüstung unverzichtbar ist? Du kennst das Langtang-Gebiet doch wie deine Westentasche!«
»Weil es besser für dich ist, es durch eigene Erfahrung zu lernen. Das hier wird doch nicht deine letzte Tour sein! Ich wusste, dass du dir unterwegs alles besorgen kannst, was du brauchst. Und auch dass du alle Probleme am Ende irgendwie meistern wirst.«
Leben heißt nicht, sich Erklärungen anzuhören. Es heißt, die Dinge selbst zu erleben. Alles in uns, was nicht gut und richtig ist, wird dabei verbrannt. Hätte mein Freund nicht so sehr mit Ratschlägen gegeizt, hätte sich mir die Langtang-Tour nicht so tief ins Gedächtnis gegraben. Ich bin fest überzeugt, dass mir der Weg damals vorbestimmt war. Ich habe dabei gelernt, mein Leben nicht nach den Ratschlägen erfahrenerer Menschen auszurichten, sondern mich ohne groß zu zögern ins Nichtvorhersehbare zu stürzen, damit mir, wann immer ich mich auf unbekanntes Terrain begebe, kein Sherpa, sondern das wahre Leben begegnet. Das Leben, so weiß ich jetzt, wird mir letzten Endes die Lösung zeigen. Um es mit einem meiner Lieblingssprüche zu sagen: »Ein Vogel fliegt, auch wenn er nicht weiß, wo er landen wird.« Und fliegen lernt er immer.
HÄNG DIE SACHE NICHT SO HOCH AUF!
Auf einer Reise durch die indische Provinz Ladakh gelangte ein Mann in die Stadt Leh. Sie ist auf 3500 m Höhe gelegen. Als er in der Herberge, in die er sich einquartierte, einen Mann mit einem mobilen Sauerstoffgerät und Atemmaske daliegen sah, war dies seine erste Begegnung mit der Höhenkrankheit, die er bis dahin nur vom Hörensagen kannte. Sein Zimmer befand sich im zweiten Stock, und selbst das Treppensteigen vom Erdgeschoss hinauf fiel ihm schwer. Schon bald stellten sich Kopfschmerzen und Schwindel ein. Nach dem Abendessen verschlimmerte sich sein Zustand, und es ging ihm richtig schlecht.
Der Wirt versicherte ihm, dass er sich bloß einen Tag schonen solle, und schon würde es ihm besser gehen. Aber je länger er sich in dieser Höhe aufhielt, desto stärker wurden seine Kopfschmerzen und desto mehr raste sein Puls. Das Sauerstoffgerät, das er für viel Geld auslieh, schien keine nennenswerte Besserung zu bringen. Seine Angst vor der Höhenkrankheit wurde Stunde um Stunde größer. Am dritten Tag ließ er einen Arzt rufen. Der stellte nach eingehender Untersuchung und Überprüfung des Blutsauerstoffs fest, dass er an einem einfachen Verdauungsproblem litt und verordnete diverse Medikamente. Seine Angst aber wurde der Mann nicht los.
So kam es, dass er die ganze Woche, die er eigentlich hatte herumreisen wollen, sein Zimmer nicht verließ und im Bett lag und am Ende mit dem Flugzeug ins Tal zurücktransportiert wurde. Erst später, so erzählte er mir, habe er von anderen Reisenden erfahren, dass seine Symptome nicht wirklich schlimm gewesen seien. Alle hätten sie gehabt. Im Nachhinein habe er begriffen, wie dumm er gewesen war. Er hatte sich sein Problem nur eigeredet.
Wir alle wissen um die Neigung der menschlichen Psyche, uns in einen Zustand innerer Aufruhr zu versetzen, indem sie in das äußere Geschehen viel zu viel hineininterpretiert. Was für eine Zeit- und Energieverschwendung! Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen sagen: »Setz dich hin, schließ die Augen und denke an alles, bloß nicht an einen gelben Papageien.« Kaum hätten Sie die Lider geschlossen, wäre er da, der gelbe Papagei. Er würde sie gnadenlos verfolgen – ob Sie essen oder arbeiten, immerzu würden Sie an ihn denken. Er würde Ihnen sogar noch nachts im Traum erscheinen! Und es ist niemand anders als Sie selbst, der diesen Vogel zum Monster macht.
Es war nach Mitternacht, als ich zum ersten Mal nach Chennai in Südindien kam, und obwohl es Dezember war, goss es in Strömen. Ich nahm mir eine Motorrikscha, um ins Hotel zu fahren, jene Mischung aus Motorrad und Auto, die in Indien das Fahrzeug der armen Leute ist. Der Stoff, der die Kabine überspannte, hatte dem Regen wenig entgegenzusetzen. Schon nach hundert Metern war ich völlig durchnässt, und mein Rucksack sah aus wie aus dem Wasser gezogen.
Noch nie hatte ich innerhalb von so kurzer Zeit so viel Regen niedergehen sehen. Die Räder der Rikscha waren komplett unter Wasser, und ich konnte nicht sagen, ob wir durch Sumpf oder Pfütze fuhren, aber sie kämpfte sich tapfer voran. Der Regen prasselte mit solcher Wucht herab, dass ich mich des Gefühls nicht erwehren konnte, er hätte es gezielt auf uns abgesehen. Es war kaum jemand auf der Straße, aber wenn wir an jemandem vorbeikamen, konnte ich nicht sagen, ob es Mensch war oder Kuh. Der