Insel der verlorenen Träume. Karin Waldl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Waldl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741947
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erleichtert führten.

      ,Danke, Stefan, das war sehr mutig. Ich wusste gar nicht, wie viel Stärke in Christinas kleinem Bruder steckt‘, schmeichelte sie mir. Anerkennend umfasste sie meinen Oberarm, den ich natürlich sofort angeberisch anspannte.

      ,Mein Vater ist ein Arschloch, ich schäme mich für das, was er dir angetan hat. Ich bin fertig mit ihm. Das eben hat das Fass zum Überlaufen gebracht‘, erklärte ich Desiree, damit sie wusste, wie sehr ich das Handeln meines Erzeugers verabscheute.

      ,Wahrscheinlich bin ich selber schuld. Ich fand es irgendwie aufregend, als er mich anbaggerte. Ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich da geritten hat, den Annäherungsversuchen des Vaters meiner besten Freundin nachzugeben. Ich dachte nicht, dass er so weit gehen würde. Ich hielt es für ein Spiel, an dem ich mir anscheinend gehörig die Finger verbrannt habe.‘ Desiree schaute beschämt zur Seite. Ihre blonden, langen Haare verdeckten ihre wunderbaren blauen Augen.

      Zum Trost nahm ich ihre Hand in die meine. ,Du bist nicht schuld. Es war nicht das erste Mal, dass er ein junges Mädchen zum Sex drängen wollte. Und meine Mutter schaut ihm auch noch zu bei seinem kranken, unzüchtigen Treiben. Das kotzt mich an‘, spie ich regelrecht aus.

      ,Glaubst du, er hätte es gegen meinen Willen mit mir getan?‘ Desirees Augen weiteten sich, als hätte sie erst jetzt begriffen, was ihr alles hätte blühen können, wäre ich nicht dazugekommen.

      ,Ich weiß nicht genau. Ich hoffe nicht, aber zuzutrauen wäre es ihm.‘

      Desiree starrte geradeaus. Der Mond spiegelte sich in dem Schwarz ihrer Augen. Sie schien abwesend zu sein. Ich ließ sie einen Moment so verharren und wartete, bis sie wieder bereit war zu sprechen.

      ,Wieso bist du so anders als dein Vater?‘, fragte sie, den Blick weiter geradeaus gerichtet.

      ,Weil er mir immer schon ein schlechtes Vorbild war. Meine Mutter hat sich die meiste Zeit um meine Schwester und mich gekümmert. Eigentlich brauchen wir unseren Vater gar nicht, aber Mama klammert sich krampfhaft an ihn. Es wäre für alle besser, er würde verschwinden, aber das will Mutter nicht einsehen.‘

      Desiree nickte, als hätte sie genau diese Antwort von mir erwartet. ,Weißt du, dass du mich auch auf andere Art und Weise heute verblüfft hast?‘

      Ich zog meine Augenbrauen nach oben, versuchte erfolglos, etwas in ihrem Blick zu erkennen, und schüttelte den Kopf.

      ,Ich habe dich heute das erste Mal als Mann wahrgenommen und nicht als den kleinen Bruder meiner besten Freundin. Du bist richtig erwachsen geworden.‘

      Mein Herz hüpfte vor Freude. Ihre Worte schmeichelten mir und verliehen mir neuen Mut. Ich nahm ihr bildhübsches Gesicht zwischen meine Hände. Sie lächelte mich an. Ich versank in ihren wunderschönen blauen Augen. Die blonden, langen Haare kitzelten meine Handrücken. Langsam beugte ich mich nach vorne und wartete kurz ab, ob sie mein Vorhaben guthieß. Sie lächelte und so küsste ich sie sanft auf ihre Lippen. Wie ein Blitz durchzuckte es mich. Schlagartig wurde meine Verliebtheit in diesem Augenblick zu Liebe. An einem Tag in fast derselben Stunde führte ich den Bruch mit meinem Vater herbei und beschloss, Desiree als die Liebe meines Lebens in mein Herz zu schließen.“

      Stefan machte eine kurze Pause, er atmete mehrfach schwerfällig durch, die folgenden Worte schienen ihm Mühe zu bereiten. „Lange glaubte ich, deiner Mutter ginge es genauso wie mir, aber da irrte ich mich. Ja, sie liebte mich an jenem Tag dafür, dass ich sie gerettet hatte. Sie liebte auch die Vorstellung eines neuen Abenteuers. Sie liebte mich darauffolgend dafür, dass ich immer gut zu ihr war. Aber sie sagte mir nie, dass das Kribbeln in ihrem Bauch fehlte. Sie liebte mich mit ihrem Verstand, aber der entscheidende Funke im Herzen, der Liebe leidenschaftlich macht, fehlte. Er war nicht mit der Zeit erloschen, sondern brannte von Anfang an nicht in ihr. Ich brauchte Jahre, bis ich das begriff.“ Mit leerem Blick, ohne weiterzusprechen, starrte Stefan geradeaus in den verwilderten Garten. Er wirkte alt, die Falten zerfurchten sein sorgenerfülltes Gesicht. Man sah ihm an, dass das Leben es oft nicht gut gemeint hatte mit ihm.

      „Aber sie hat dich doch geheiratet. Ihr habt zwei gemeinsame Töchter“, warf Elias ein.

      „Ja, nicht einmal zwei Jahre später heirateten wir. Es war ein wunderschöner Tag im Frühling, der April war gerade frisch ins Land gezogen. Es war kühl, ein frostiger Reif überzog die Landschaft in den frühen Morgenstunden. Die Sonne ließ das Eis glitzern und langsam schmelzen. Das junge Grün streckte seine zarten Triebe den wärmenden Strahlen der Sonne entgegen und entfaltete sich ganz langsam in dem sanften Licht. Und in dieser malerischen Schönheit der Natur kam deine Mutter in ihrem weißen, bodenlangen Hochzeitskleid auf mich zu. Die Spitze und die Seide umspielten gekonnt ihre rundlichen, weiblichen Formen. Ihre Haare waren hochgesteckt und mit weißen Rosen verziert, die auch ihren Brautstrauß dominierten. Bei diesem einzigartigen Anblick verliebte ich mich noch mehr in sie. Ich hatte nicht geahnt, dass das möglich wäre. Sie war so wunderschön, alles verblasste an diesem Tag neben Desiree. Sie wirkte selbst wie eine weiße Rose, an der in der Sonne glitzernder Tau haftete. Ich weinte vor Glück, weil ich diese atemberaubende Frau ehelichen durfte. Die Verwandten feierten mit uns ein romantisches und zugleich lustiges Fest. Wir gaben uns das Ja-Wort in einem berührenden Gottesdienst. Gottes Segen lachte an diesem Tag wohlwollend auf uns herunter. Die Hochzeitsfeier war einfach aufgrund unseres geringen Budgets. Aber wir hatten dafür gesorgt, dass die einfachen Speisen, der Wein und das Bier nicht ausgingen. Es war so viel da, dass wir am nächsten Tag weiterfeierten. Alle blieben, weil wir den Spaß unseres Lebens hatten. Nie wieder habe ich so viele Verwandte aus dem Stegreif Faxen machen sehen. Wir hielten uns zwei Tage lang den Bauch vor Lachen.

      Mein Vater war nicht erschienen, aber darüber war ich zu meinem eigenen Erstaunen sehr froh. Meine Mutter war richtig glücklich an diesem Tag. Und es erleichterte mich noch mehr, sie endlich so zufrieden zu sehen.

      Die Flitterwochen verbrachten wir in Österreichs Hauptstadt. Wien war ein aufregendes Erlebnis für uns. Deine Mutter schleppte mich von einem Theaterstück in das nächste. Natürlich konnten wir uns nur die für uns erschwinglichen Vorstellungen ansehen, aber das machte mir persönlich nichts aus. Denn Desiree strahlte, wenn sie den Schauspielern zusah, wie sie den Geschichten Leben einhauchten. Dieses aufrichtige Lächeln in ihrem Gesicht erwärmte mein Herz. Doch eigentlich träumte Desiree von den großen Stücken, die uns mit unserem bescheidenen Geldbeutel verwehrt blieben. Hier erzählte sie mir auch von ihrem Traum, selbst Theaterstücke oder Drehbücher für den Film zu schreiben. Verliebt, wie ich war, sicherte ich ihr meine Unterstützung und meinen felsenfesten Glauben zu, sie würde es eines Tages bestimmt schaffen. Es tat mir selbst weh, als ich merkte, dass ich sie anlog. Denn ich glaubte nicht im Geringsten, dass ihr träumerischer Höhenflug einmal Wirklichkeit werden würde. Aber da hatte ich nicht mit der inneren Größe und der Verbissenheit von Desiree Benjamin gerechnet. Diesen weisen, wohlüberlegten Schritt war sie mir immer schon voraus.

      Aber vorher segnete uns Gott mit einem ganz anderen Glück. Desiree wurde ein Jahr nach unserer Hochzeit schwanger. Wir konnten das Wunder kaum fassen, dass gleich zwei Babys in ihrem Bauch wuchsen. Die Schwangerschaft war beschwerlich, sie kämpfte mit dem immer größer werdenden Gewicht um ihre Körpermitte. Außerdem wollten sich die beiden partout nicht in die richtige Lage bringen, um bereit zu sein für ihren Weg auf diese Welt. Eine natürliche Geburt kam somit nicht infrage. Desiree weinte tagelang, ehe ich sie davon überzeugte, dass zwei gesunde Kinder wichtiger seien als die äußeren Umstände der Geburt.

      Und so kamen durch einen Kaiserschnitt deine Schwestern zur Welt. Sie waren so winzig und mussten wochenlang im Brutkasten liegen. Aber die Zwillinge waren zuckersüße Püppchen, ich war vom ersten Moment an in sie vernarrt. Deine Mutter bestand darauf, sie Nele und Nala zu nennen. Ich war anfänglich schockiert, das hörte sich für mich nach Zeichentrickfiguren an. Aber ich gab ihr wie immer nach, ich konnte ihr nichts abschlagen. Wenn sie glücklich war, war ich es auch.

      Nur einen großen Haken hatte diese Zeit nach der Operation, in der deine Mutter wieder auf die Beine kommen sollte. Die Zwillinge mussten zu Hause, nach drei Monaten Krankenhausaufenthalt, von ihr ohne Hilfe versorgt werden. Es tat mir im Herzen weh, dass ich sie so oft alleine ließ. Ich arbeitete viel, um meine Elektrotechnikfirma