»Und wenn es so ist?«
»Auch dann bin ich dankbar. Ich will, daß sie glücklich ist. Vielleicht wird sie gesund, wenn sie glücklich ist. Sie ist doch nicht gesund, das wissen wir beide.«
»Sie wird gesund, Ellen«, sagte er, als er spürte, wie sie sich erregte. »Sie leidet an Entwicklungsstörungen. Wir haben sie verwöhnt, verpäppelt, sie konnte sich nicht entfalten.«
»Habe ich Schuld?« fragte Ellen leise.
»Nein, mein Liebes. Du gewiß nicht. Mach dir keine Gedanken. Unser Kind ist glücklich.«
Annabel war glücklich, aber sie war müde. Und in dieser Müdigkeit war sie so demütig, daß sich tiefes Mitleid in Fabian regte.
In dem wunderschönen Haus war alles für sie bereit.
Er brauchte Annabel jetzt nur zu sagen, daß er es hier so schön fände, daß sie eigentlich hierbleiben könnten. Er sagte es.
»Du bist so lieb, Fabian«, flüsterte Annabel. »Ich bin gern hier. Alles ist mir vertraut, und es wäre schön, wenn du dieses Haus auch so lieben würdest wie ich.«
»Ich liebe es jetzt schon«, erwiderte er.
*
Ein älteres, sehr rüstiges Ehepaar, versorgte das Anwesen der Sörensens. Annabel war in vertrauter Umgebung und brauchte nur Wünsche zu äußern, wie sie es auch daheim gewohnt war. Jetzt wollte sie nur schlafen.
»Es war doch ein bißchen anstrengend«, hatte sie gesagt.
Fabian betrachtete sie, als sie schlief. Wie ein Kind sah sie aus, wie ein krankes Kind. Und ein Kind war sie ja noch. Es verursachte ihm Schmerzen, daß Annabel ihn liebte und er sie täuschte.
Doch als er sie jetzt so lange und unbeobachtet betrachten konnte, kam ihm auch der Gedanke, daß diese Täuschung Glück in ihr kurzes Leben brachte. Ihm kam es in den Sinn, wie entsetzlich Henning Sörensen leiden mußte bei dem Gedanken, daß dieses Leben bald verlöschen würde.
Es konnte kein Zweifel bestehen, daß Annabel an einer Krankheit litt, die sie aufzehrte, die leise und schleichend von diesem zarten Mädchenkörper Besitz ergriffen hatte.
Wie sollte es nur weitergehen? Wie sollte er es durchhalten, ihr Leben zu teilen, ihr Leiden mit anzusehen? Erst jetzt wurde es ihm so richtig bewußt, daß sein Mitleid übergroß war und an seinen Nerven zerrte.
Annelore hatte es nicht verstanden, daß nicht die materiellen Vorteile ihn zu seiner Entscheidung bewegt hatten, sondern auch das Gefühl, den Wunsch einer Todgeweihten zu erfüllen. Oder hatte er das nicht deutlich genug gesagt?
Er hatte viel erwartet von Annelore, zuviel wohl. Aber warum versuchte er, sich vor sich selbst zu rechtfertigen? War es nicht doch eine große Verlockung gewesen, ein reicher Mann zu werden und Henning Sörensens Teilhaber? Früher hätte er ja nicht einmal davon zu träumen gewagt, eine solche Position auch nur annähernd zu erreichen. Aber der Ehrgeiz hatte schon immer in ihm gesteckt.
Nun trug Annabel seinen Namen. Mit welcher Hingabe hatte sie ihr »Ja« gesagt! Wie sehnsüchtig erwartete sie, daß er sie in die Arme nahm und küßte.
Ja, sie war liebenswert, doch die Schuldgefühle erdrückten ihn, und auch der Schmerz, sie da so liegen zu sehen wie eine welkende Blume.
*
Das Gespräch mit Monky hatte Annelore gutgetan. Sie betrachtete die junge Frau als ihre Freundin. Monky hatte keine Fragen gestellt nach dem Mann, der in Annelores Leben gewesen war. So lebhaft, teilnahmsvoll und herzlich sie war, zeigte sie keinerlei Neugierde, war nicht die Spur aufdringlich. Sie meisterte ihr Leben. Annelore war bereit, auch das ihre zu meistern.
Die Stellung in den Roth-Werken war ganz nach ihrem Geschmack. Ihr Chef, Dr. Koll, war ein freundlicher Mann mittleren Alters und ein zufriedener Familienvater.
Schnell fand sich Annelore in die Arbeit hinein. Sie hatte ein hübsches Büro, in dem sie kaum gestört wurde.
Als Fee Norden am nächsten Vormittag erschien, war sie überrascht. Annelore war aufgesprungen.
Fee lächelte liebenswürdig.
»Bitte, behalten Sie Platz«, sagte sie. »Ich wollte mich nur mal erkundigen, wie es Ihnen hier gefällt. Mein Mann möchte es natürlich auch wissen.«
»Es gefällt mir sehr gut, hier und auch im Christopherus-Heim«, erwiderte Annelore.
»Das freut uns. Wenn Sie irgendwelche Sorgen haben, kommen Sie zu uns. Wenn mein Mann auch wenig Zeit hat, ich bin immer für Sie zu sprechen. Haben Sie schon Anschluß gefunden?«
»Ja, mit Monika Brügge verstehe ich mich sehr gut.«
»Unsere Monky, ja, sie ist ein Sonnenschein«, lächelte Fee. »Und die kleine Andrea ist ein besonders herziges Kind.«
»Ich wünsche mir auch ein Mädchen«, nickte sie leise.
Sieben Monate lagen vor ihr. Lange Monate. Fee wußte sehr gut, welche Tiefpunkte es da im Leben einer jungen Frau geben konnte, nicht nur im Leben einer alleinstehenden werdenden Mutter. Sie kannte Frauen, die sehr glücklich verheiratet waren und während der Schwangerschaft doch schlimmste Depressionen durchgemacht hatten. Sie hoffte, daß Annelore davon verschont bleiben würde.
»Fred Roth ist ein alter Freund von uns. Er ist ein Patient meines Mannes, der ihm einmal sehr geholfen hat. – Und dafür sehr dankbar ist«, schloß sie.
»Auch er ist jederzeit für Sie zu sprechen, wenn Sie ein Anliegen haben, aber auch Herr Koll ist ein freundlicher Mensch.«
Fee reichte Annelore die Hand. »Wir werden uns öfter sehen. Und wie schon gesagt, wenn Sie ein Anliegen haben, können Sie gern auch zu mir kommen, Annelore.«
»Vielen Dank, Frau Dr. Norden. Mir ist schon so sehr geholfen worden«, fügte sie nach einem kurzen Zögern hinzu.
Die beiden Frauen verabschiedeten sich herzlich. Fee war froh, daß sie sich um Annelore nicht zu sorgen brauchten.
Sie blickte auf die Uhr. Eigentlich konnte sie mal in die Boutique schauen und mit Monky sprechen. Dann erfuhr sie vielleicht auch, was Monky über Annelore dachte.
Hübsche Sachen gab es in der Boutique. Schon die Schaufenster waren verführerisch dekoriert. Fee zog sich gern hübsch an. Mit ihrer Figur und ihrem Aussehen konnte sie es sich leisten, junge Mode zu tragen. Damit erfreute sie ihren Mann und begeisterte die Kinder. Ihre Söhne Danny und Felix waren stolz, wenn sie um ihre Mutter beneidet wurden. Den kleineren, Anneka, Désirée und Jan, genügte es, wenn ihre Mami lieb zu ihnen war.
Monky strahlte, als Fee die Boutique betrat. Sie sah an diesem
Tag in einem reizenden nostalgischen Kleid besonders entzückend aus.
»Wie geht’s, Monky?« fragte Fee.
»Prächtig. Der Laden läuft, die Kasse klingelt.«
»Ihr habt aber auch süße Sachen!« sagte Fee lobend.
»Wenn Sie schon an Weihnachten denken wollen, für Anneka hätten wir was ganz Hübsches«, sagte Monky. »Aber es ist ein bißchen teuer. Und für Sie hätten wir ein Kleid, das direkt für Sie gemacht ist.«
Monky war nicht nur reizend, sie war auch geschäftstüchtig, aber darüber freute sich Fee auch.
Die Jacke nach Norwegerart, die Monky für Anneka gedacht hatte, war so bildschön, daß Fee nach dem Preis gar nicht fragte. Sie war nicht verschwenderisch, aber wenn es um etwas besonders Hübsches für ihre Kinder ging, machte sie den Geldbeutel schon auf.
Für Danny, ihren ältesten Sohn, und für Felix, den zweiten, erstand sie strahlendblaue Pullover. Von dem Kleid, das Monky ihr dann zeigte, war sie ganz entzückt. Diesen Grünton liebte Daniel an ihr besonders. Der warme Blondton ihres Haares kam dadurch noch mehr zur Geltung.
»Gekauft«, entschied