Fabian war benommen. Es kam ihm vor, als träume er. »Aber ich bin gebunden«, sagte er stockend.
»Sie sind verheiratet?« fragte Sörensen bestürzt.
»Nein, nicht verheiratet, aber…«
Wieder wurde er unterbrochen.
»Nun, ich glaube nicht, daß es eine Frau gibt, die für zwei Millionen nicht ein paar Wochen oder Monate warten würde«, fiel ihm Sörensen ins Wort. »Es ist doch nur eine Ehe auf Zeit, aber Ihre Zustimmung würde mich zu Dank verpflichten. Ich gebe Ihnen ein paar Tage Bedenkzeit. Sollten Sie sich allerdings gegen meinen Vorschlag entscheiden, müßten wir uns trennen.
Ich habe in diesem Fall noch mehr mit mir selbst auszumachen, Herr Hartenstein, aber ich brauche eine Rechtfertigung vor meiner Tochter, wenn Sie nicht mehr zu uns kommen. Ich muß ihr in diesem Fall sagen, daß Sie sich für eine andere Frau entschieden und deshalb auch eine andere Stellung angenommen haben. Ich weiß, daß es schwer ist, mich zu verstehen, aber ich weiß, daß ich mein einziges Kind verlieren werde.«
*
Fabian traf sich am Abend mit Annelore, wie jeden Tag. Sie saßen in ihrer kleinen Wohnung beisammen. Annelore spürte, daß er anders war als sonst. Er hatte keinen Appetit, obgleich sie ihm sein Leibgericht vorsetzte.
»Hast du Ärger gehabt, Fabian?« fragte sie und stellte zurück, worüber sie mit ihm sprechen wollte.
»Keinen Ärger. Der Chef hat mir ein seltsames Angebot gemacht.«
»Was für ein Angebot?«
»Ich soll seine Tochter heiraten. Ich soll über die Gründe nicht sprechen.«
»Es scheint ein interessantes Angebot zu sein«, sagte Annelore.
»Zwei Millionen, wenn ich einwillige. Für eine Scheinehe, Annelore.«
»Wieso für eine Scheinehe?«
»Sie ist nicht gesund. Ich dürfte dir das eigentlich nicht sagen, aber wir müssen doch darüber sprechen.
Es handelt sich um eine Ehe auf Zeit, Annelore. Meine Gefühle für dich werden davon nicht betroffen. Wir wollten doch ohnehin noch warten. Überlege mal, was für ein Leben ich dir bieten könnte.«
Es klang nüchtern, obgleich er es nicht so meinte.
Sie war wie versteinert, weil es ihr nicht in den Sinn gehen wollte, daß ihr Fabian so sprechen, geschweige denn denken könnte.
»Ich überlege«, nickte sie geistesabwesend. »Es ist deine Entscheidung.«
»Sörensen verlangt von mir nichts als Entgegenkommen. Ich habe ihm gesagt, daß ich gebunden bin.«
»Hast du mich erwähnt?«
»Nein, das würde alles doch nur schwieriger machen.«
»Allerdings – Annabel Sörensen ist ein nettes Mädchen. Es ist traurig, wenn ein so reiches Mädchen mit allem Geld nicht gesund werden kann, aber vielleicht durch Liebe, durch die Erfüllung ihrer Wünsche.«
»Ich kann sie doch nicht lieben. Ich liebe dich«, sagte Fabian.
»Du kannst sie nicht lieben, aber du würdest sie heiraten.«
»Andernfalls müßte ich mir eine andere Stellung suchen. Das wurde mir auch gesagt. Es ist nur ein Vertrag, Annelore, bitte, begreife es.«
»Ich begreife es.«
»Du bist einverstanden?«
»Ich bin einverstanden«, erwiderte Annelore, weil sie in diesem Augenblick glaubte, ihn nicht mehr lieben zu können. Obgleich sie wußte, daß sie schwanger war, sagte sie es.
»Du wirst für alles entschädigt werden, Annelore«, versprach Fabian. »Meine Liebe gehört dir, daran wird sich nichts ändern. Du darfst niemals daran zweifeln.«
Sie zweifelte schon in diesen Minuten daran. Er wollte sie entschädigen. Er sagte, daß er sie liebe, aber er wollte eine andere heiraten.
Sollte sie ihm da sagen, daß sie vielleicht ein Kind bekommen würde? Mit Bestimmtheit konnte sie das nicht sagen. Sie war noch bei keinem Arzt gewesen. Und wenn es dann nicht stimmte, würde Fabian vielleicht meinen, daß sie ihn erpressen wollte. Annelore zog es vor, zu schweigen.
*
So hatte sie es Dr. Norden erzählt, mit klangloser Stimme, als spräche sie von einem fremden Menschen.
»Ich war Ihnen diese Erklärung wohl schuldig für die Hilfe, die Sie mir gegeben haben«, lächelte sie schwach. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß ich im Christopherus-Heim wohnen darf, und daß Sie mir die Stellung in den Roth-Werken vermittelt haben.«
Ihre Ruhe, mochte sie auch erzwungen sein, war Daniel Norden unheimlich.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Annelore?« fragte er. Er nannte die Bewohnerinnen des Christopherus-Heimes beim Vornamen, und zu denen gehörte Annelore nun bereits seit einer Woche.
»Bitte, fragen Sie nur, Herr Doktor.«
»Kam es zu einer weiteren Aussprache mit Herrn Hartenstein?«
»Nein. Am nächsten Tag meldete ich mich krank und kam zu Ihnen in die Sprechstunde. Sie bestätigten mir, daß ich ein Kind erwarte. Ich bat um Urlaub aus dringenden familiären Gründen und gleichzeitig um meine Entlassung. Sie wurde mir gewährt. Vielleicht ahnte mein Chef, Herr Sörensen, die Zusammenhänge. Mir wurden jedenfalls keine Schwierigkeiten gemacht. An Fabian schrieb ich ein paar Zeilen.«
»Aber nichts von dem Kind?«
»O nein, das ist meine Angelegenheit. Ich habe ihn geliebt. Ich dachte, er würde mich auch lieben. Es war plötzlich so viel zerstört. Sollte ich ihm alles glauben, was er mir gesagt hat? Ich habe lange darüber nachgedacht. Eine Scheinehe? Ich kann mir so etwas nicht vorstellen. Ihm wurde eine Chance geboten, die ihm einmalig erschien.«
»Vielleicht stimmt alles, was er Ihnen sagte.«
Annelore hob den Kopf. »Ich würde mich nicht kaufen lassen, und ich will für mein Warten auch nicht bezahlt werden. Ich habe den Schlußstrich gezogen. Das habe ich Fabian geschrieben.«
Sie wußte nicht, welchen Schlag sie Fabian damit versetzt hatte. Vor allem mit den Worten: Ich glaubte, Dich zu lieben. Es stimmt nicht. Jetzt weiß ich es. Ich glaube Dir kein Wort. Du wolltest Dich auf elegante Art aus der Affäre ziehen. Wahre Deine Chance als Schwiegersohn von Sörensen. Ich wünsche Dir Glück.
Glück? Das sollte Glück sein?
Nur Annabel war glücklich, als ihr Vater ihr sagte, daß Fabian um ihre Hand angehalten hätte. Sie glaubte, was sie glauben wollte. Sie war selig, weil die Hochzeit schon in drei Wochen stattfinden sollte. Sie dachte nicht darüber nach, warum der Termin schon für so bald festgesetzt wurde.
Aber Ellen Sörensen überlegte, und sie fragte ihren Mann beklommen, warum dies alles so schnell abgewickelt werden müsse.
Er war auf diese Frage vorbereitet. »Annabel liebt Hartenstein. Sie verzehrt sich so in Sehnsucht nach ihm, daß sie immer dünner und schmaler wird. Das wollte ich bremsen.«
»Du hast ihn also animiert«, sagte Ellen, eine zarte schöne Frau von knapp vierzig Jahren.
»Was sollte ich tun, Liebste? Von selbst hätte er den Mut nicht gefunden.«
»Aber liebt er sie denn?« fragte Ellen leise.