Sophienlust 313 – Familienroman. Anne Alexander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Alexander
Издательство: Bookwire
Серия: Sophienlust
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740965792
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gut verstehst, ist ein Vati gar nicht so wichtig«, machte Reinhold den Versuch, sie zu trösten.

      »Doch, er ist wichtig!« Jessica blieb stehen. »Enorm wichtig!«

      »Deine Mutter hat aber ein Recht, so…«

      »Jessica!« Erika Reimann stürzte aus dem Hotelzimmer auf ihre Tochter und Reinhold Steiner zu. Sie wirkte ziemlich aufgelöst. »Wo warst du, Jessica? Ich habe dich schon gesucht!«

      »Bist du nicht im Kino?« Jessica löste ihre Hand aus Reinholds Hand.

      »Jessica war bei mir, Frau Reimann«, erklärte Reinhold. »Sie hat mir ein paar Blumen gebracht. Sie wollte sich dafür bedanken, daß ich ihr heute nachmittag geholfen habe.«

      »Ich habe schon das ganze Hotel rebellisch gemacht«, gestand Erika. »Den Film, den ich sehen wollte, gab es nicht. Also bin ich zurückgekommen. Und dann fand ich das Zimmer leer, von Jessica keine Spur!« Sie umfaßte die Schultern ihrer Tochter. »Hattest du mir nicht versprochen, artig zu sein? Was ist nur mit dir los, Jessica? Früher konnte ich mich doch auf dich stets verlassen!«

      »Ich wollte nicht ungezogen sein.« Jessica hob den Kopf. »Ich war es auch nicht! Du hättest doch gar nicht bemerkt, daß ich fort war, wenn du nicht früher zurückgekommen wärst.«

      Reinhold gab sich Mühe, sich das Lachen zu verkneifen, aber es gelang ihm nicht. Er bemerkte, daß es auch Erika schwerfiel, ernst zu bleiben.

      »Sie sollten nicht noch über die Ungezogenheit meiner Tochter lachen, Herr Steiner!« meinte Erika erbost. »Jessica hat eine Tracht Prügel verdient. Das müssen Sie doch zugeben. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Früher hat sie nie fremde Leute belästigt.«

      »Jessi hat mich nicht belästigt. Ich habe mich über ihren Besuch gefreut«, sagte Reinhold. »Außerdem bekommt man als Mann nicht jeden Tag Blumen geschenkt.«

      »Meine Mutti haut mich nicht, Herr Steiner«, warf Jessica ein. »Das hat sie noch nie gemacht. Das sagt sie nur so!«

      »An deiner Stelle würde ich mich darauf nicht verlassen, Jessi«, bemerkte Erika. »Es könnte sein, daß ich meine Erziehungsmethoden drastisch ändere, wenn du so weitermachst.« Sie sah Reinhold Steiner an. »Ich werde jetzt erst einmal die Rezeption anrufen und dem Portier sagen, daß Jessica wieder da ist.«

      »Das muß nicht unbedingt durch einen Anruf erledigt werden«, meinte Reinhold. »Machen Sie mir die Freude und trinken Sie mit mir noch eine Tasse Kaffee im Restaurant, Frau Reimann. Wenn wir an der Rezeption vorbeikommen, melden wir dann gleich, daß mit Jessi alles in Ordnung ist.«

      Jessicas Augen strahlten. »Ich werde auch bestimmt gleich schlafen gehen«, versprach sie.

      »Das habe ich heute schon einmal gehört«, erwiderte Erika zögernd. Eigentlich war sie nicht abgeneigt, noch etwas mit Herrn Steiner zusammenzusitzen. Die Abende im Hotel konnten manchmal sehr lang werden.

      »Ich glaube, diesmal wird Jessi ihr Versprechen halten«, sprang Reinhold der Kleinen bei.

      »Ganz bestimmt«, versicherte Jessica.

      »Also gut, gehen wir noch einen Kaffee trinken«, gab Erika nach. Sie dirigierte Jessica in Richtung der offenen Zimmertür. »Ab mit dir, junge Dame!« befahl sie. Dann wandte sie sich an Reinhold. »Vielleicht könnten Sie schon einmal vorausgehen und an der Rezeption Bescheid sagen. Ich möchte mich gern noch etwas kämmen und so weiter…«

      »Selbstverständlich. Wir treffen uns dann im Restaurant«, sagte Reinhold. »Gute Nacht, Jessi!«

      Jessica wandte sich um. »Gute Nacht, Herr Steiner! Und vergessen Sie nicht meine Mutti zu fragen, ob Sie morgen mitfahren dürfen.«

      »Ihre Tochter hat mich eingeladen, Sie zur Burg Hoheneck zu begleiten«, erklärte Reinhold, als Erika ihn fragend ansah. »Ich würde schon gern mitkommen.«

      »Dann sind Sie natürlich eingeladen«, antwortete Erika. »Bis gleich!« Sie folgte Jessica ins Zimmer. Lautlos schloß sie die Tür hinter sich.

      »Ist es nicht schön, daß Herr Steiner mitkommt?« fragte Jessica und zog sich ihren weißen Pullover über den Kopf. »Er könnte doch immer mit uns mitkommen.«

      Erika wartete, bis ihre Tochter sich des Pullovers entledigt hatte. »Jessica, ich möchte nicht, daß du noch einmal zu fremden Männern aufs Zimmer gehst«, sagte sie streng. »Du weißt, wie gefährlich das sein kann. Schon seit Jahren habe ich dich davor gewarnt. Als kleines Mädchen hättest du so etwas nicht getan, aber allem Anschein nach wirst du immer unvernünftiger.«

      »Herr Steiner ist kein fremder Mann«, protestierte Jessica. »Wir haben ihn heute nachmittag kennengelernt, und er hat uns geholfen. Außerdem wohnt er im Hotel.«

      »Trotzdem ist Herr Steiner ein fremder Mann für uns, Jessi«, sagte Erika. »Aber jetzt geh schlafen. Wir sprechen morgen noch einmal dar­über.«

      »Ich finde es prima, daß Herr Steiner nach Hoheneck mitkommt«, sagte Jessica und ging ins Badezimmer. »Freust du dich nicht?«

      »Doch!« gab Erika zu und strich mit dem Kamm durch ihre vollen blonden Haare.

      »Siehst du!« kam es triumphierend aus dem Badezimmer.

      *

      Reinhold Steiner hatte einen kleinen Tisch in einer Nische des Restaurants besetzt. Er stand auf, als Erika Reimann durch die Schwingtür trat, und ging ihr entgegen. »Schläft der kleine Fratz?« fragte er.

      »Er hat mir jedenfalls versprochen, sofort einzuschlafen.« Erika lachte. »Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit Jessi los ist. Früher hat sie nie Schwierigkeiten gemacht. Ich war immer stolz darauf, so ein braves, vernünftiges Kind zu haben.«

      »Vielleicht war sie früher zu vernünftig«, meinte Reinhold und brachte Erika zu dem ausgewählten Tisch. »Was darf ich für Sie bestellen? Möchten Sie Kaffee, oder darf es auch ein Gläschen Wein sein?«

      »Bleiben wir bei Kaffee«, meinte Erika und setzte sich.

      »Ihre Tochter erzählte mir, daß Sie in Stuttgart eine Boutique besitzen«, berichtete Reinhold, nachdem der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte. »Ich kann Sie mir gut in einer Boutique vorstellen.«

      »Meine Arbeit macht mir auch viel Freude«, erwiderte Erika. »Und für Jessi ist es ideal! Sie braucht nicht wie ihre Freundinnen nach der Schule mit dem Schlüssel um den Hals auf der Straße zu spielen.«

      »Ist denn die Boutique in der Nähe der Schule?«

      »Nein, leider nicht!« Erika seufzte auf. »Aber einen Haken hat gewöhnlich jede Sache. Jessica muß mit dem Bus nach Stuttgart fahren. Wir wohnen in Rot. Das liegt in der Nähe von Zuffenhausen.«

      »Ich weiß. Ich kenne Stuttgart«, sagte Reinhold und fügte lachend hinzu: »Ich lebe selbst in Stuttgart. Da sieht man wieder einmal, wie klein die Welt ist.«

      Der Kellner brachte den Kaffee und entfernte sich gleich wieder. Erika, die sich ausgesprochen wohl in Reinholds Gesellschaft fühlte, bediente den jungen Mann mit Milch und Zucker. »Was machen Sie beruflich?« fragte sie nach einer Weile.

      »Ich bin Vertreter für Elektromotoren«, antwortete Reinhold. »Mein Beruf bringt es mit sich, daß ich manchmal wochenlang im Ausland zu tun habe.« Er rührte in seiner Tasse. »Das ist einer der Gründe, weshalb meine Ehe gescheitert ist. Barbara und ich, wir haben uns oft drei, vier Wochen nicht gesehen, manchmal sogar länger. Ich…« Er sprach nicht weiter.

      »Sie sagten, daß Sie Kinder hätten.« Erika sah ihn an.

      »Reinhold nickte. »Zwei Söhne, Marc und Eric. Marc ist fünf, Eric drei. Um der Kinder willen hoffe ich noch immer, daß wir uns eines Tages wieder versöhnen. Na ja, nicht nur um der Kinder willen.«

      »Und besteht die Aussicht?« fragte Erika. Sie nippte an ihrem Kaffee.

      »Es nützt nichts, wenn ich mir etwas vormache«, gestand Reinhold widerwillig. »Ich glaube nicht, daß wir uns wieder versöhnen.