Susan ließ sich rücklings aufs Bett fallen und schrie:
»Mich laust der Affe!«
Befremdet blickte Achim zu ihr hin, erkannte dann, daß es eben ihre Art war, ihrer Freude Ausdruck zu geben und lächelte. Diese Art, jeden nach seiner Fasson nicht nur selig werden zu lassen, sondern jedes Menschen Art auch zu akzeptieren, würde dem jungen und später auch dem älteren Achim Hellberg viel Freude bringen. Es würde ihm allerdings auch zuzeiten zu schaffen machen, wenn es um Ellenbogenfreiheit ging, wie allen toleranten Menschen, aber es würde ihn niemals tief treffen. Julianes beinah fanatische Weitergabeversuche an die Kinder, was Toleranz, Verstehen und Verständnis betraf, würde gerade bei Achim beste Früchte tragen. Und – zu Julianes Freude – ihn zu einem stets zufriedenen Menschen machen.
»Mich auch!« pflichtete Tanja ihrer Schwester bei, gesellte sich der zu, die begonnnen hatte, auf dem Bett herumzuhopsen, eine Art Indianer-Freudentanz per Po.
Mutter und Sohn sahen sich an. Nachsichtig und gegenseitig um Rücksicht bittend für diese beiden albernen, kichernden weiblichen Geschöpfe, die die andere Hälfte ihrer Familie war.
An den Mann in Paris dachte in diesem Moment niemand von ihnen.
*
Der Mann in Paris hieß Joachim Hellberg. Hier allerdings nannte er sich »Joaquin«, und unter diesem Namen versuchte er auch seine Bilder zu verkaufen.
»Manchmal mit Erfolg, manchmal auch nicht«, sagten die Leute, die sich seine Freunde nannten. Joachim Hellberg selbst redete sich ein, hier in Paris endlich sein Glück und seine Freiheit gefunden zu haben. Hätte er richtig nachgedacht, doch das tat er nicht, so wäre ihm aufgefallen, daß es mehr Monika war, die ihm das einredete. Monika, mit der er damals hier angekommen war, und die inzwischen zu einem spindeldürren und demzufolge begehrten Mannequin geworden war. Sie war das berühmte Mädchen mit der Löwenmähne und den hungrigen Augen und hatte eine Menge damit zu tun, ihren inzwischen siebenundzwanzig Lebensjahren das absolut Mädchenhafte zu erhalten.
Ihre Beziehung, einmal die große Leidenschaft, war jetzt eher als kühl zu bezeichnen. Streng genommen waren sie eine Interessengemeinschaft auf Sympathie.
Jedenfalls ermöglichte ihnen Monikas zwar schwankendes, aber meist gutes Einkommen ein sorgenfreies, angenehmes Leben, das sich, obwohl sie eine große Atelierwohnung ihm sechzehnten Stock besaßen, in erster Linie »draußen« abspielte. Draußen, das waren die Cafés und Bistros, in denen sie aßen und tranken und redeten, denn Monika hatte weder Zeit noch Lust, so etwas wie eine Versorgung ihrer kleinen Gemeinschaft zu übernehmen. Sie frühstückten im »Charly in«, lunchten bei »Rivell« und dinierten, wenn sie nicht gerade eingeladen waren, bei Boris, dem hochgewandten Russen mit den traurigen Augen.
An die Zukunft dachten sie beide nicht oder kaum, sie waren Menschen der Gegenwart und so geschaffen, daß sie beide, sowohl Joachim als auch Monika, vermutlich immer jemanden finden würden, der auf irgendeine Art und Weise für sie sorgte. Bei Joachim war es erst seine Mutter gewesen, dann Juliane und jetzt Monika.
Er hatte keine Skrupel diesbezüglich, und wenn er ein Bild verkaufte, schob er Monika die Euro-Scheine hin, als wären sie nichts. Monika schob sie ihm in der Regel zurück, er ließ sie einfach liegen und nahm sie an sich, wenn sie fort war. Das war seine Freiheit. Er würde unter Freiheit immer nur die finanzielle sehen. Daran, Juliane und den Kindern einmal Geld zukommen zu lassen, dachte er nicht. Er sah es als Preis für ihr Übereinkommen an, daß Juliane sich und die Kinder allein durchbrachte, und allein das war der Grund, weshalb er nicht gegen die Regeln verstieß und regelmäßig als »Vater« bei den Kindern erschien. Und Juliane hatte niemals versucht, nicht privat und nicht auf dem Rechtswege, von ihm zu bekommen, für sich und die Kinder, was ihr nach dem Gesetz zustand.
»Ist es nicht bald wieder soweit?« fragte Monika und zog geschickt die künstlichen Wimpern von den Lidern.
Joachim wußte sofort, was sie meinte.
»Doch«, er betrachtete das Bild, an dem er malte, »nächsten Monat«.
Monika drehte sich auf dem Hocker um und sah ihn an.
»Meinst du nicht, es wäre langsam an der Zeit, Schluß mit dem Theater zu machen?«
Joachim sah hoch und blickte zu dem rehhaften Wesen hinüber, das ihm vertraut und fremd zugleich war.
»Warum?«
Es klang gänzlich desinteressiert und ließ so etwas wie Zorn in Monika aufsteigen. Zorn auf seine Gleichgültigkeit, die sie selbst ebenfalls hatte, aber bei anderen nicht gut verstand oder verstehen wollte.
»Ist dir niemals der Gedanke gekommen«, sagte sie langsam und leise, »daß ich endlich darauf bestehen könnte, daß du mich heiratest.«
Joachim hob ein Tuch auf und wischte den Pinsel sorgfältig aus.
»Nein«, sagte er dann aufrichtig.
»Nein…« Sekunden war Monika aus dem Konzept gebracht, doch eben nur Sekunden.
»Ach…«, sie erhob sich und kam in ihrem Mannequin-Gang, Beine strecken – Becken vor, auf ihn zu.
Joachim sah ihr entgegen. Er lächelte ihr zu und wollte, als sie nah vor ihm war, sie an sich ziehen. Er
regelte vieles mit Umarmungen, schaffte vieles damit für sich aus der Welt.
Doch Monika machte einen Schritt zurück.
»Und wenn ich es möchte?« fragte sie.
»Müssen wir das heute besprechen?«
»Ich frage ja nur…«
Er zuckte die Achseln.
»Wir würden das irgendwie schon machen…«
»Was würde denn deine Ehefrau wohl dazu sagen?«
Joachim dachte einen Augenblick nach und kam zu dem Schluß, daß Juliane schon einwilligen würde. Sie hatte immer eingewilligt, war Wachs gewesen in seiner Hand, und wenn er ihr versprach, vor den Kindern weiterhin als Vater zu erscheinen, würde sie…
»Na…?« fragte Monika.
»Es ist doch alles nicht dein Ernst«, sagte Joachim ärgerlich. Er mußte jetzt etwas trinken, es war Zeit, rauszugehen, neue Impressionen sammeln, Eindrücke holen und nicht sich hier herumzustreiten und doch zu keinem Ergebnis zu kommen.
Er hat recht, dachte Monika, und sie lachte plötzlich auf und legte die Arme um seinen Hals.
Auf unsere Art, durchfuhr es sie, während sie seinen Nacken streichelte, lieben wir uns sogar. Sie legte ihre Lippen gegen seinen Hals.
»Noch nicht…«, murmelte sie, ließ es geschehen, daß er sie hochhob und ins Nebenzimmer trug, »noch nicht…« Es war spät, als sie endlich bei Boris erschienen, von dem, wie alle Stammgäste, mit Handschlag begrüßt.
»Ich dache schon, ihr würdet nicht mehr kommen«, sagte er dabei und rollte das Rrrr und gleichzeitig seine traurigen Augen.
»Wir haben einen Bärenhunger«, sagte Joachim statt einer Antwort, »was kannst du uns denn heute empfehlen?«
»Oh, Joaquin«, lachte Boris, der in seiner Gutmütigkeit eine Schwäche für diesen Deutschen hatte, der ihn immer an das Bibelwort von den Lilien auf dem Felde erinnerte, »um diese Zeit…«
»Dann bring uns, was du hast«, schlug Joachim vor, und Boris knurrte etwas Unverständliches von »Zaubernkönnen…«, verschwand aber dann hinter dem Perlenvorhang, hinter dem die Küche war. Gleich darauf bekam eine unsichtbare Hilfe Anweisungen aus einem Gemisch mehrerer Sprachen, und Töpfe-Geklapper ertönte. »Ach so…«
Monika stellte die große Weinflasche zurück, die immer auf ihrem Tisch stand und aus der sie die Gläser gefüllt hatte, »hier – das hätte ich fast vergessen, Post für dich…«
Sie hatte aus ihrer Tasche einen länglichen Umschlag,