»Ist irgend etwas mit mir?«
Annegret entledigte sich ihres Blazers und warf ihn achtlos irgendwohin. Wenn man sie so betrachtete, wie sie mit ihren Sachen umging, verwunderte es jeden, der sie nicht näher kannte, daß sie trotzdem stets aussah wie aus dem Ei gepellt.
Selbst für Juliane ein kleines Phänomen.
»Nichts, Mütterchen«, antwortete Annegret, »es ist nur einfach eine Schande!«
Juliane hatte ein Vase hochgenommen, um die Blumen hineinzutun.
»Eine Schande?« fragte sie verwundert und sah sehr jung aus mit den halb angehobenen Armen, in der rechten Hand die Vase, in der linken die Blumen.
»Ja«, Annegret zog die hochhackigen Schuhe aus, stieß sie aus dem Weg und war auf der Stelle klein und zart, »daß eine Frau von deiner Schönheit nicht von den Männern mit Blumen bombardiert wird! Rosen! Orchideen! Du müßtest…«
Mit raschen Schritten ging Juliane zur Tür, die zur Küche führte. Unter dem Rauschen des Wassers rief sie:
»Höre mir auf mit Männern! Mir reicht meine eine Erfahrung.«
Annegret stand jetzt in der Tür, lässig gegen den Rahmen gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Eine ist entschieden zuwenig!«
»Drei Kinder sorgen dafür, daß es bei der einen bleibt!«
»Bist du eigentlich unglücklich?«
Juliane war so überrascht, daß sie mitten in der Bewegung erstarrte.
»Unglücklich?«
»Genau. Also?«
»Nein«, Juliane ordnete die Blumen, die, von ihrer Verschnürung befreit, jetzt erst ihre ganze Schönheit entfalteten, »nein…«, wiederholte sie noch einmal, »jetzt nicht mehr.«
»Bist du sicher?«
Juliane lächelte und dachte an die drei, die jetzt noch im Krankenhaus waren und die ihr gehörten und auch sonderbarerweise nur ihr ähnelten. Sie hatte einen weltfernen Augenausdruck bekommen, und Annegret, die überzeugte Junggesellin und erfolgreiche Karrierefrau, hatte für einige Wimpernschläge lang das Gefühl, daß Juliane hätte sie fragen müssen, ob sie eigentlich unglücklich sei! Und nicht umgekehrt. Sonderbarer Gedanke! Sie verscheuchte ihn.
»Ganz sicher!« antwortete Juliane da, hob die Vase an und trug sie ins Wohnzimmer.
Annegret folgte ihr auf Strümpfen.
»Und wenn er zurückkäme?« fragte sie beiläufig, »könnte doch sein…«
Juliane sah die Freundin an und lächelte noch einmal.
»Ich liebe ihn nicht mehr…«, war ihre ruhige Antwort, und damit war alles gesagt.
Während sie den Sekt öffnete und Gläser holte, fragte Juliane sich, ob sie Joachim wirklich nicht mehr liebte. Nein!
Er hatte alles zerstört. Alles.
Damals, ja, damals, da hatte sie geglaubt, kein Mensch auf der Welt könne unglücklicher sein als sie. Sie hatte es nicht begreifen können, daß Joachim fortging. Fort von ihr, fort von den Kindern.
Sie hatte auf der Brücke gestanden, die über den Fluß führte; mitten in der Nacht hatte sie dort gestanden und hinuntergestarrt in das träge fließende Wasser. Es lockte in seiner Trägheit, lockte, ruheversprechend und fließend: komm – komm – und sie hatte tatsächlich so etwas verspürt wie Todessehnsucht.
Dann hatte ein Wagen am Straßenrand gehalten, eine Tür war aufgegangen und eine Frauenstimme hatte gesagt:
»Ich würde es nicht tun…«
Juliane drehte den Kopf in Richtung der Stimme und sah in ein schmales Gesicht mit großen dunklen Augen. Es war ein junges Gesicht, ebenso jung wie sie ihr eigenes.
»Tun…?« hatte Juliane verständnislos gefragt und bemerkte erst dann, daß sie mit beiden Händen die steinerne Brüstung umfangen hielt, als wolle sie sich daraufschwingen zum Absprung in die Tiefe. Sie nahm die Hände zurück.
Die Frau wies mit dem Kopf, ohne dabei Julianes Augen loszulassen, hinab zum Wasser des Flusses.
»Sie wollten doch hinunterspringen, oder?«
Die Stimme war ganz sachlich, die so etwas Ungeheuerliches aussprach.
»O nein, nein – nein…« Juliane mußte nach Atem ringen.
»Dann«, vermutete die junge Frau ruhig, »haben Sie aber bestimmt mit dem Gedanken gespielt.«
Juliane hatte wild den Kopf geschüttelt, und die Frau lächelte nur.
»Ich fahre Sie nach Hause«, sagte sie dann, und sie sagte das so bestimmt, daß Juliane ihr, die auf den Wagen zuging, ohne sich nach ihr umzusehen, folgte. Ganz automatisch.
Es war ein kleiner Wagen mit einem verblüffend lauten Motor.
»Wo wohnen Sie?«
Juliane nannte die Adresse, und ihr wurde siedend heiß. Denn zu Hause, das hieß: Die Kinder, die ahnungslos in ihren Betten schliefen. Und sie – sie hatte – o Gott!!
Hemmungslos begann sie zu weinen.
»Weinen Sie nur«, sagte die Frau, die den kleinen Wagen durch die nächtliche Stadt steuerte, als wäre das die natürlichste Sache der Welt.
»Es – es ist…«, begann Juliane, doch sie wurde unterbrochen:
»Sie brauchen mir nichts zu sagen, wenn Sie es nicht wollen oder können…«, ein Blick hatte sie gestreift, »vielleicht später einmal. Ja? Einverstanden?«
Juliane hatte nur nicken können.
So hatte sie Annegret kennengelernt.
Annegret war in dieser Nacht noch mit in die Wohnung gegangen, und schweigend hatte Juliane ihr die drei schlafenden Kinder gezeigt.
Annegret hatte lediglich genickt, so, als hätte sie schon verstanden, obwohl man, nur wenn man drei schlafende Kinder gezeigt bekommt, nichts verstehen kann. Viel später hatte Annegret ihr erzählt, daß sie die Zusammenhänge geahnt habe und ihre Ahnungen sich beinahe exakt mit den Tatsachen deckten.
»Ich schäme mich so sehr…«, hatte Juliane noch gesagt, und sie meinte damit, daß sie in ihrem Schmerz ihre Kinder hatte vergessen können, wenn auch nur für einen winzigen, verzweifelten Augenblick. »Sie brauchen sich nicht zu schämen«, hatte Annegret im Hinausgehen gesagt und als sie fort war, als der laute Motor schon längst davongerattert war, hatte Juliane gedacht: Ich hätte sie nach ihrem Namen fragen sollen…
Doch das war nicht nötig gewesen, denn Annegret war am nächsten Mittag aufgekreuzt, gerade in dem Moment, in dem Juliane aus dem Hause ging, um Tanja vom Kindergarten abzuholen.
»Alles okay?« hatte Annegret als Begrüßung gefragt, und ihr Blick war schnell, forschend und ein fast prüfender gewesen. »Alles okay!« hatte Juliane fest geantwortet. Damit hatte ihre Freundschaft begonnen.
Jetzt saß Annegret also als einziger Geburtstagsgast mit hochgezogenen Beinen auf der Couch und schlürfte gut gekühlten Sekt. Sie tat das mit großem Behagen, man sah es ihr an.
Juliane bemerkte, daß Annegret sie beobachtet hatte.
»Entschuldige…«, sagte sie rasch, »manchmal gerate ich immer noch ins Grübeln.«
»Warum auch nicht? Nur endgültig durchdachte Dinge können eines Tages ad acta gelegt werden. Die meisten Menschen wissen das nur nicht…«
Dann sprachen sie über die Kinder, über Alltagskram, bis sie auf Großmutter Barlach zu sprechen kamen und Juliane von der kuriosen Frage am Telefon erzählte. »Ha!« machte Annegret.
»Was