Die subjektive Verfassung und ihre Erörterung. Philipp Ursus Krautschneider. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Ursus Krautschneider
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783842283848
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untereinander (teilweise) in Beziehung stehen.

      Wenn man einfacherweise zwei Extrempunkte annimmt, so werden diese zum einen durch die Grundnorm jedes Säugetieres: »Jemand anderer soll mich füttern«, und zum anderen durch das Prinzip der Verallgemeinerung nach Immanuel Kant – »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde« – beschrieben. Diese Extrempunkte sind in jener Weise verknüpft, dass die Grundnorm als erstes Verfassungsgesetz unter das Merkmal »Gesetz« des Prinzips der Verallgemeinerung, nach einem (entsprechend disziplinierten) Stufenbau zumindest als übergeordnetes Gesetz, zumal subjektives Verfassungsgesetz, zu subsumieren ist. Wesentlich ist, dass sich die Grundnorm ausschließlich an andere Personen als das Verfassungssubjekt richtet, während das Prinzip der Verallgemeinerung sich ausschließlich an das Verfassungssubjekt selbst richtet, sodass zwischen diesen beiden Normen kein immanenter Widerspruch entstehen kann.

      Wenn man nun genauer hinsehen möchte, lassen sich die Extrempunkte in relevanter Art und Weise wie folgt ausdifferenzieren: Hinsichtlich des Prinzips der Verallgemeinerung besteht ein Unterschied, ob das »Gesetz« im Sinn einer rechtlichen Norm, die menschliches Verhalten regelt, verstanden wird oder im Sinn eines Naturgesetzes, das lediglich das Verhalten von Sachen unter bestimmten Bedingungen beschreibt. Die Grundnorm auf der anderen Seite lässt sich präzise in drei Grundnormen im engeren Sinne einteilen, die jeweils unterschiedliche Konsequenzen für das Verfassungssubjekt haben. Die erste Grundnorm im engeren Sinn lautet: »Jemand anderer (weiblich) soll mich füttern.« Die zweite Grundnorm i.e.S.: »Etwas soll mich nähren.« Und die dritte: »Jemand anderer (männlich) soll mich füttern.« Die Gründe für die Unterscheidung in männliche und weibliche Normadressaten ist der regelmäßig unterschiedliche Anspruch, mit dem man sich im Leben begegnen mag, sowie der Umstand, dass alle Menschen gewöhnlich von einer Frau geboren werden, und diese Grundnorm daher zeitlich eine gewisse Priorität genießt.

      Zusammengefasst lautet die Verfassung im subjektiven Sinn, der Zeit ihrer ersten Erfahrung entsprechend in der folgenden Reihenfolge:

      Art. 1: »Jemand anderer (weiblich) soll mich füttern.«

      Art. 2: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz (i.S. einer Rechtsvorschrift) werde.«

      Art. 3: »Etwas soll mich nähren.«

      Art. 4: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz (i.S. eines Naturgesetzes) werde.«

      Art. 5: »Jemand anderer (männlich) soll mich füttern.«

       2.

       Grundlegendes zur Grundnorm

      Wir Menschen sind empfindsame Lebewesen. Die Formulierung »Jemand anderer soll mich füttern« ist keinesfalls perfekt, aber trägt genau dieser Empfindsamkeit Rechnung. Die eigentliche Empfindung wird dabei im Satz der Grundnorm durch eine künstliche Überhöhung vermieden abzubilden. Nur so kann annähernd eine friktionsfreie Darstellung und eine wissenschaftliche Untersuchung der Grundnorm gewährleistet werden.

      Die Empfindung ist es, die der Grundnorm ihren Sinn verleiht. Die Grundnorm ist daher immer im Zusammenhang mit ihrer entsprechenden Empfindung (arg. was wird ›gefüttert‹, was wird konkret getan, insbesondere was wird dabei empfunden?) zu sehen. Ursprünglich müsste die Bildung von Grundnorm und Empfindung gleichzeitig stattgefunden haben, doch ist Erfahrung die Grundlage für eine dem jeweils entsprechende zeitliche Verschiebung der Grundnorm vor die Empfindung. Die Bildung der Grundnorm geht sohin ihrer zugehörigen Empfindung prinzipiell zeitlich voraus.

      Die Grundnorm bildet einen rückbezüglichen Anspruch. Dabei könnte die Stellung des Anspruchs nach der Grundnorm grundsätzlich in der ersten, zweiten oder dritten Person sinnvoll sein: »Ich soll mich füttern«, »Du sollst mich füttern« beziehungsweise »Sie/er/es soll mich füttern.« In der vierten Person (arg. »Jemand ›anderer‹ soll mich füttern«) erscheint die Grundnorm nicht ohne Weiteres sinnvoll, weshalb diese Person für die abstrakte Umschreibung und didaktische Aufarbeitung der Grundnorm verwendet wird. In der fünften Person (arg. »Gott soll mich füttern«) jedoch erscheint die Grundnorm wiederum sinnvoll.

      Es ist davon auszugehen, dass der Anspruch in der ersten Person (»Ich soll mich füttern«) entwicklungsgeschichtlich nicht vor der selbstständigen Herausbildung des menschlichen »Ich« entstehen kann. Vielmehr ist anzunehmen, dass das »Ich« erst durch die Erfahrung mit den übrigen Personen (vor allem zweite und dritte Personen) nach der Grundnorm allmählich zusammengesetzt wird. Auf welche Art und Weise dies schließlich geschieht, ist hauptsächlich Teil eines individuellen, persönlichen Erlebens und Empfindens des Verhältnisses eines Kleinkindes zu seinen ursprünglichen Bezugspersonen. Aus diesem Grund sind auch moralische Ansprüche, das heißt, Ansprüche an sich selbst, in hohem Maße von der Kindeserziehung abhängig.

      Daher und insbesondere auch unter dem Aspekt der Versteinerungstheorie halte ich meine diesbezügliche Einsicht anlässlich der Formulierung der »Verfassung im subjektiven Sinn« für sehr wichtig, dass sich nämlich die Grundnorm an sich ausschließlich an andere Personen als an das Verfassungssubjekt selbst richtet. Zwar ist die Norm »Ich soll mich füttern« aus der Grundnorm ableitbar, doch entspricht sie nach meiner Auffassung bei gegebener Empfindung einem einfachen subjektiven Gesetz, nicht jedoch einem subjektiven Verfassungsgesetz. Auch darf insgesamt nicht übersehen werden, dass sich die Ich-Entwicklung, damit auch die Entwicklung dieses Anspruchs in der ersten Person, im weiteren Leben nach dem Kindesalter fortsetzt und weiterhin entsprechend positiver Erfahrungen bedarf.

      Die Intensität der Grundnorm ist ebenfalls unterschiedlich. Je nach Stärke und/oder besonderer Art der korrespondierenden Empfindung kann die Erfüllung der Grundnorm von lediglich (bei Gelegenheit) gestattet (»Jemand anderer darf mich {gerne einmal} füttern«) bis hin zu (dringend) notwendig geboten (»Jemand anderer muss mich {sofort} füttern, sonst …«) variieren. Alle diese Bedeutungen werden durch das Zeitwort »Soll« umschrieben und abgedeckt. Dementsprechend sind auch die Folgen der Erfüllung und Nichterfüllung der Grundnorm, von Erfolg und Misserfolg, höchst unterschiedlich zu bewerten.

       3.

       Der souveräne Wille

      Wie bereits zur Grundnorm ausgeführt, ist es prinzipiell die Empfindung, die der Norm ihren Sinn und Zweck verleiht (siehe Kapitel 2). Durch Erfahrung haben wir gelernt, die Norm vor die Empfindung zu setzen; und durch ein der Norm entsprechendes Verhalten wird die Empfindung schließlich ausgelöst beziehungsweise entfaltet.

      Doch nicht jede Empfindung ist angenehm. Die Erfahrung von unangenehmen Empfindungen erfordert allerdings Normen, deren Sinn und Zweck gerade die Vermeidung solcher unliebsamer Empfindungen ist oder, positiv formuliert, das Leben unter Ausschluss der betreffenden Empfindungen ist. Menschen müssen auch solche Normen lernen und anwenden, um zu überleben.

      Zur besseren Unterscheidung werde ich diese Normen »negative Normen« nennen, die direkt auf Empfindungen gerichteten Normen hingegen »positive Normen«. Zumal positive Normen ihren Sinn und Zweck prinzipiell in der Empfindung erfüllen, negative Normen hingegen nicht, haben negative Normen eine höhere Bestandskraft.

       Der souveräne Wille eines Subjekts äußert sich in jener konkreten positiven Norm, die entsprechend der Erfahrung dieses Subjekts unter Berücksichtigung aller negativer Normen zur Vermeidung den direkten Zusammenhang zu ihrem Sinn und Zweck in der gewollten Empfindung begründet.

      Obwohl ich von der Normenordnung eines Subjekts schreibe, passt folgendes Zitat aus Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch/3. Kapitel systematisch gut hierher:

       »Worin die Freiheit