Sommer ohne Horst. Manfred Rebhandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Rebhandl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709939130
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musste. Und für untenherum borgte ich ihm meine Rapid-Hose Auswärtsdress 1984 in Weiß mit grünen Streifen. Ich schaute ihn an und fragte mich, wie weiß ein Mensch eigentlich sein konnte. Um ein wenig Farbe in sein Leben zu bringen, warf ich ihm ein Hawaiihemd mit roten Einsprengseln über, während ich wieder das grüne mit gelben Einsprengseln anzog, und fertig war der Partnerlook.

      Beschwingt hüpften wir hinunter ins Quattro Stazzione, wo ich Lemmy den Fressnapf hinstellte und mir die Brusttaschen meines Hemdes mit Vaya Con Dios vollstopfte, Lemmys Gras, das auch an Regentagen die Sonne scheinen ließ. Dann verabschiedeten wir uns und stiegen in den Datsun.

      Schon fuhr ich wieder in Richtung Transdanubia im Norden der Stadt, querte die Brücke und cruiste entlang des Flusses nach Neu-Brasilien, wo ich überall diese Schilder sah, die irgendwelche scheiß Investorenprojekte feierten: drei mal vier Meter große Werbetafeln, auf denen Hauspläne zu sehen waren samt der Telefonnummer, die man anrufen konnte, wenn man ab zehntausend Euronen mit dabei sein wollte. Pro Quadratmeter!

      Um Willi herum wurde verkauft und gekauft, dass die Notare in der Stadt nicht mehr nachkamen mit dem Schreiben der Verträge. Das gute alte Wien hatte sich ganz schön verändert, und das Geld rückte langsam sogar an Willis Kugelgrill heran. Wo früher kleine Häuschen standen, da standen jetzt fette Einfamilienhäuser. Und wenn früher nur die Armseligsten hier am Wasser wohnten (die sich keinen Urlaub leisten konnten – und zwar ein Leben lang keinen leisten konnten!), so wollten das jetzt die Scheißreichen auch, obwohl die sich sowieso jeden Urlaub leisten konnten. Anders als Guttmann musste ich mir zum Thema „die Scheißreichen“ erst noch eine endgültige Meinung bilden, jedoch neigte ich mittlerweile dazu, ihm in der Sache recht zu geben: Dieses Dreckspack konnte einem ganz schön die Laune vermiesen. Wenn man also den Typen, der in Guttmanns Gegend mit dem Luftdrucknagler auf tonnenschwere SUVs und Pick-ups schoss, mal hierherlocken könnte, dann wäre das gewiss ein feine Sache. Peng! Peng! Peng!

      Weil die enge Straße auch vor Willis Datscha mit diesen Monstern, neben denen mein Datsun aussah wie eine japanische Geisha neben einem japanischen Sumoringer, zugeparkt war, musste ich ihn schließlich ein paar Hundert Meter entfernt in Alt-Brasilien abstellen. Von dort aus latschten wir die Strecke zurück – einmal nach links, dann nach rechts, dann geradeaus, noch mal links, noch mal geradeaus, noch mal rechts, geradeaus, links, und da waren wir. (Note to myself: Wenn du deinen Wagen wiederfinden willst, dann musst du nur alles in umgekehrter Reihenfolge zurückgehen!)

      Als wir endlich vor Willis Grundstück standen, versperrte uns auch dort eines dieser Straßenschiffe beinahe den Eingang: ein roter VW Amarok mit einem „Baby an Bord“-Kleber hinten auf der Scheibe, einem Babysitz am Echtlederrücksitz und jeder Menge Energydrinkdosen auf der Beifahrerseite. Ich trat gegen den hinteren dicken Reifen, sodass ich mir fast die Zehen brach und Kubelka mich fragte: „Fühlst du dich etwa unterlegen?“ Und ich ihm sagen musste: „Leck mich am Arsch mit unterlegen, okay? Wie soll ich mich denn einem Scheißautoreifen unterlegen fühlen? Ich meine … Es ist ein Autoreifen!“

      Kaum öffnete ich die Türe zu Willis Grundstück, spürte ich schon die Gelsen, die jedes Jahr hier ihren Kongress abhielten, und Willi kam uns auf seinen O-Beinen und mit den Badelatschen unten dran entgegen. Gerne hätte ich ihm gesagt, dass seine rote Badehose ein wenig locker saß um den Sack herum, sodass die stark behaarten Eier immer wieder mal heraushingen, während er ging. Aber wer lässt sich schon etwas sagen, wenn es Sommer war und man auf seinem eigenen Grundstück tun und lassen konnte, was man wollte?

      Als Kubelka ihn aber so halbnackt sah, fragte er mich: „Wer bitte ist der denn?“ Und das, obwohl er Willi natürlich seit Jahren gut kannte, weil ja auch er Stammgast bei ihm im Pornhouse war. Dort war Willi aber auch immer vorschriftsmäßig in rosa oder gelbe Sakkos gehüllt, und wenn ihm dort die Eier bis zu den Knien hingen, dann taten sie das unter notdürftig gebügelten Hosen.

      Ich sagte also: „Das ist Willi, du Idiot!“

      Und als Willi Kubelka mit seinem zerstörten Gesicht und in einem meiner Hawaiihemden sah, fragte er mich das Gleiche: „Wer bitte ist der?“

      Ich sagte: „Der vierte Mann.“

      Wie befürchtet, war er skeptisch, ob dieser geprügelte Hund neben mir seine Kartenrunde komplettieren konnte, denn jede Veränderung in seinem Leben war ihm eigentlich eine zu viel. Andererseits häuften sich in seinem Alter Veränderungen nun mal, und nicht selten waren es endgültige.

      Ich versuchte ihm Ku schmackhaft zu machen, ihn in seinem Ansehen zu heben, indem ich Willi die Lage erklärte, in die er durch die Schläge im Auftrag des eifersüchtigen Hassan geraten war – „Same old Eifersuchtsstory“!

      Aber Willi wollte die Geschichte nicht glauben: „Der soll wegen einer Lady verprügelt worden sein? Red keinen Scheiß. Der lügt doch!“

      Ich musste ihn aber hier unterbringen, damit ich mich endlich um Horst kümmern konnte. Also drückte ich noch eins drauf: „Sogar wegen einer verdammt heißen Lady, die Lehrerin ist.“

      Ku schnappatmete kurz, als ich „Lehrerin“ sagte, beruhigte sich dann aber schnell wieder, während er langsam bis zehn zählte. Das, hatte er mir einmal erklärt, war ein alter, aber bewährter Trick, den man anwenden sollte, wenn man gerade am Explodieren war. Ich kam dabei aber nie weiter als bis drei – dann explodierte ich.

      „Das kann ich mir bei dem ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, dass der wegen einer Lady verprügelt worden ist!“, ließ Willi nicht locker. „Und glaube mir, ich täusche mich da eigentlich selten.“

      Ku wurde ein wenig rot im Gesicht, als Willi das sagte, und es war ein anderes Rot als das, welches ihm die Visage versaute. Natürlich konnte sich niemand vorstellen, dass Kubelka wegen einer heißen Lady verprügelt worden war, schon gar nicht, wenn man ihn so schneeweiß im Bad gesehen hatte wie ich, mit den hängenden Schultern und der hängenden Wampe. Und am allerwenigsten konnte sich das natürlich der braungebrannte, immer noch drahtige Willi vorstellen, der früher oft selbst wegen irgendwelcher heißer Ladys verprügelt worden war. Er glaubte daher immer noch, die Wunden dieser Schlachten exklusiv an seinem Körper zu tragen: zwei ausgeschlagene Schneidezähne; eine mehrfach verbeulte Nase samt gebrochener Wangenknochen; einen Unterarm, den er kaum mehr bewegen konnte, weil ein Nerv durchtrennt worden war; ein halb abgerissenes Ohr; eine notdürftig zusammengeflickte Hauptschlagader an der Innenseite des rechten Schenkels … All das zeugte von seinen Heldenjahren, und die zertrümmerten Kniescheiben rechts und links rechnete er da noch gar nicht mit dazu!

      Aber die Zeiten änderten sich nun mal, und es gab heute immer mehr Frauchens, die darauf standen, dass ihnen ein Mann einfach nur „zuhörte“. Mehr als darauf, dass ihm die Eier links und rechts aus der Badehose hingen. Und verdammt, Ku konnte zuhören!

      Das sagte ich auch Willi, um endlich den Deal zwischen den beiden klarzumachen: „Wenn er als Kartenspieler nichts taugt, dann kannst du ja mit ihm reden.“

      Aber Willi hielt nichts von reden: „Da scheiß ich drauf!“

      Trotzdem willigte er schließlich ein, ihn zur Probe zu nehmen. Was blieb ihm auch anderes übrig? Ich musste nur noch die winzige Klausel im Vertrag unterbringen, die mir die sechshundert Eier am Tag sicherte und ein nettes Auskommen draußen bei Horst im Bad, sobald er wieder auftauchte: „Ku wird im Geräteschuppen schlafen, weil die Schläger vom Hassan noch immer hinter ihm her sind.“

      Ku schaute mich überrascht an, und Willi sagte rundheraus: „Nein!“

      „Doch!“

      „Vergiss es!“

      „Ku, wir fahren!“

      „Warte!“

      Freddy „Benz“ Friedl, dem man vor ein paar Wochen seinen schönen Mercedes /8er gestohlen hatte, kam gerade mit dem Fahrrad angefahren, und Willi schaute ein wenig verzweifelt auf seine Armbanduhr, die gleichzeitig seine tickende Lebensuhr war. Sie zeigte bald zwölf Uhr mittags, und um diese Zeit herum wollte er immer mit dem Kartenspielen beginnen. Resigniert sagte er: „Dafür räumst du jetzt noch das tote Holz in die Ecke und mähst mir den Rasen!“

      Dann war es still. Nur ein paar