Die Früchte der Tränen. Ilse Tielsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ilse Tielsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650363
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gesättigt von Schweißgeruch.

      Auch im Pavillon der Erfinder gab es Sehenswertes. Eine Schmutzauffangspachtel für Zimmermaler, ein raumsparendes Brillenetui, spangenlose Ohrenschützer, eine zusammenlegbare Rodel. Die Menge staute sich vor den Kojen, ein Strumpfhalter ohne Knöpfe wurde vorgeführt, ein Schraubenzieher mit biegsamer Welle, ein Kunststopfapparat. Hinter dem Tisch, auf einem elektrischen Kocher, brodelte Milch in einem Topf, ein dürres Männchen in weißem Mantel wies mit dem Kochlöffel auf die dampfende Milch und wiederholte mit schriller Stimme immer das gleiche Satzfragment: GEHT NICHT IEBER! GEHT NICHT IEBER!

      Heute noch, sagt Bernhard, habe ich diese Stimme und diese Worte im Ohr.

      Bernhard und Anni schoben sich durch die Menge, auf ein Schild zu, das die Aufschrift RAUMSPARENDE MÖBEL trug. Schon von weitem sahen sie Plotzner, der, mit rudernden Armbewegungen auf einzelne Möbel zeigend, die von ihm ausgestellten Stücke anpries. Sein Hemd unter der aufgeknöpften Jacke war, der Mode entsprechend, aus weißem Nylongewebe, es zog klebrige Falten, er war hochrot im Gesicht. Ununterbrochen redete er auf die vor seiner Koje versammelte Menge ein. Hinter ihm, auf einem Podest, als Mittelpunkt der sorgfältig arrangierten Wohnzimmereinrichtung, stand eine mit rostrotem Boucléstoff bezogene Polsterbank, die sich, wie er beteuerte, vollkommen mühelos in ein bequemes Doppelbett verwandeln ließ.

      Auch in Wien waren unzählige Wohnungen durch Bomben zerstört worden, auch hier herrschte bitterste Wohnungsnot. Die neuen Wohnungen, die gebaut wurden, waren klein, jene Glücklichen, die sie beziehen durften, brauchten geeignete Möbel dazu, nur die wenigsten konnten sich den Luxus eines eigenen Schlafzimmers leisten. Eine Polsterbank, die man ohne viel Mühe in eine bequeme Bettstatt verwandeln konnte, war eine vernünftige Lösung vieler Probleme.

      Das Podest, auf dem die Polsterbank stand, war von zwei kleinen Fauteuils mit hölzernen Armstützen, einem quadratischen Tischchen und einem Hocker umgeben, der sich bei Raumnot unter das Tischchen schieben ließ, in der Ecke, der Polsterbank gegenüber, verdeckten Gummibäume eine mit grünem Stoff bespannte trennende Wand.

      Plotzner, mit den Armen rudernd, redete ununterbrochen. Was Sie hier sehen, meine hochgeschätzten Damen und Herren, rief er, während ihm der Schweiß von der Stirn und in die Augen lief, ist das Bett unserer Zeit, nein, es ist das Bett unseres Jahrhunderts. Sie brauchen sich, wenn Sie abends müde von der Arbeit nach Hause kommen, nicht anzustrengen, um es aufzuziehen, Sie brauchen dazu nicht zwei Hände, nicht eine Hand, nein, – er machte eine effektvolle Pause – Sie brauchen gar keine Hand dazu.

      Aus dem Krieg waren viele mit nur einer Hand heimgekommen, manche hatten auch keine Hände mehr, Plotzner war sich der Geschmacklosigkeit seiner Anspielung wahrscheinlich nicht bewußt. Sie glauben mir nicht, fuhr er fort, ich werde es Ihnen beweisen.

      Er drehte sich um und ging auf die Polsterbank zu. Dieses Bett, rief er, ist ein Wunderbett, es öffnet sich, wenn Sie es wünschen, Sie brauchen es nicht zu berühren, Sie brauchen nur zu blasen, wie ich es Ihnen jetzt zeige. Er neigte seinen massigen Körper nach vorne und blies aus vollen Backen dorthin, wo die beiden Sitzpolster sich aneinanderfügten, das Wunder geschah, die rostroten Polster schoben sich beinahe geräuschlos nach vorne, die Polster, welche die Lehne gebildet hatten, klappten nach rückwärts um, auf dem Podest stand ein breites Bett.

      Die Menge staunte und applaudierte, beifälliges Gemurmel wurde laut, die Leute fragten nach dem Preis, Plotzner nannte ihn, einer wollte selbst blasen, Plotzner erlaubte es, nachdem er das Bett wieder zur Bank zusammengeschoben hatte, der Mann blies, das Wunder ereignete sich tatsächlich zum zweitenmal. Die Menge schwieg staunend, beinahe ergriffen, schließlich streckten sich Hände vor, Plotzner verteilte Karten mit seiner Geschäftsadresse.

      Na endlich, sagte Plotzner zu Bernhard, Sie müssen mich ablösen. Haben Sie aufgepaßt, wie ich es gemacht habe?

      Ja, sagte Bernhard, aber den Trick müssen Sie mir erst noch erklären.

      Über Plotzners Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Ja, der Trick, sagte er, Herr Student. Ideen muß man heute haben, Ideen sind das Wichtigste in dieser Zeit. Rechts vor der Bank, sagte er, gleich neben der Stelle, auf der ich gestanden bin, ist ein Knopf im Boden, auf den müssen Sie treten, während Sie blasen, oder während ein anderer bläst, wie vorhin. Wenn Sie auf den Knopf treten, leuchtet hinter dem Wandschirm eine kleine Lampe auf. Wenn die Lampe aufleuchtet, zieht meine Frau an dem Nylonseil. Das Nylonseil läuft unter dem Tisch und unter den Sesseln durch, wenn man an dem Seil zieht, dann öffnet sich das Bett.

      Wenn ein anderer auf das Bett bläst, müssen Sie auch auf den Knopf treten, sagte Plotzner.

      Hinter dem Wandschirm saß Frau Plotzner, eine hagere Blondine, sie saß auf einem Sessel und hielt das Ende des Nylonseils in der Hand.

      Ich werde noch eine Weile hier stehenbleiben und Sie beobachten, sagte Plotzner. Ihre Freundin kann das Seil betätigen, wenn die Lampe aufleuchtet. Machen Sie alles ordentlich und ruinieren Sie mir nicht mein Geschäft.

      Ja, sagte Bernhard.

      Wenn Sie es nicht ordentlich machen, bekommen Sie kein Geld, sagte Plotzner, und wenn Sie mir mein Geschäft ruinieren, werde ich Schritte unternehmen.

      Bernhard trat aus der Ecke hinter dem Wandschirm heraus, die Blondine stand auf, und Anni setzte sich auf ihren Sessel und nahm das Seilende in die Hand. Plotzner lehnte sich an die Wand.

      Geh inzwischen etwas essen, sagte er zu seiner Frau, ich komme nach, wenn das hier richtig funktioniert. Frau Plotzner entfernte sich.

      Bernhard machte seine Sache gut, vielleicht noch besser als Plotzner selbst. Eine Menschentraube hatte sich neuerlich vor der Koje versammelt, man hörte ihm mit Interesse zu. Bernhard blies, und die kleine Lampe leuchtete auf.

      Jetzt! flüsterte Plotzner.

      Anni zog an dem Seil, aber das Wunder ereignete sich nicht, die Bank blieb geschlossen.

      Fester, zischte Plotzner, ziehen Sie!

      Anni riß an dem Seil, aber das Seil hatte sich irgendwo festgeklemmt, Plotzner traten Schweißperlen auf die Stirn, er stürzte auf Anni zu und riß ihr das Nylonseil aus der Hand. Anni erschrak, sprang von ihrem Sessel auf, stieß an den Wandschirm, der Wandschirm kippte nach vorn über die Gummibäume, Plotzner stand mit dem Seil in der Hand da, das Publikum starrte einen Augenblick lang überrascht, brach dann, als es begriffen hatte, in Gelächter aus.

      Bernhard nützte die Schrecksekunde, packte Anni an der Hand und zog sie hinter sich her aus dem Lokal und über das Gelände, zwischen den Ausstellungshallen hindurch, erst als sie sicher sein konnten, daß Plotzner ihnen nicht folgte, blieben sie stehen.

      Diese Geldquelle ist versiegt, sagte Bernhard.

      Sie sahen einander an, dann begannen sie gleichzeitig zu lachen. Über Plotzner und seine raumsparenden Möbel lachten sie, über seine Idee mit dem Nylonseil, über die ganze, miese Geschichte. Sie lachten auch aus Erleichterung darüber, daß sie Plotzner entkommen waren.

      Ich habe den Verdacht, sagte Bernhard schließlich, daß wir es auf solche Art nicht zu Reichtum bringen werden.

      Würdest du gerne wie dieser Plotzner sein, fragte Anni.

      Nein, sagte Bernhard, das nicht.

      Da kommt Judith, sagte Anni.

      Judith bog eben um die Ecke der Halle, in der die Haushaltsgeräte ausgestellt waren, die von vielen bewundert wurden und die kaum jemand kaufen konnte, weil sie zu teuer waren, sie kam auf die beiden zu. Sie trug einen roten Rock zur weißen, schulterfreien Bluse, das dunkle Haar hatte sie auf dem Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der Pferdeschwanz wehte im leichten Wind, der weite Rock flatterte, sie sah sehr hübsch aus, und die Leute drehten sich nach ihr um. Man hatte, was Kleidung betraf, in jener Zeit nur geringe Möglichkeiten, jedenfalls wenn man arm war und wenn man dazu auch nicht auf Bestände zurückgreifen durfte, die Mütter oder Tanten über den Krieg gerettet hatten und die man umarbeiten konnte. Judith aber gelang es immer, irgendwo ein Stück Stoff zu bekommen, aus dem ein Kleidungsstück zu fertigen war, sie nähte sich ihre Kleider selbst, und da sie keine Nähmaschine besaß, nähte sie mit der Hand. Aus einer