„Hä?“
„Du musst leider als Erster unter meiner neuen Moral leiden.“
„Wovon redest du? Ist das der Sauerstoffmangel in deinem Gehirn?“
Oh, er ist ja gar nicht so doof, wie er tut. Aber das ändert eigentlich nichts. Zumal der Druck um meinen Hals immer stärker wird und irgendwann größere Schäden verursachen könnte. Ich möchte nicht, dass meine aktuellen Freunde über meine Unsterblichkeit Bescheid wissen.
Ich schlage ansatzlos mit den Händen gegen seine Ohren. Das hilft immer. Na ja, fast. Gegen den Krumana-Dämon bei der allerersten Begegnung hat es absolut nichts gebracht. Aber Stiernackenmonster ist kein Dämon, außerdem bin ich seitdem deutlich stärker geworden.
Er schreit auf und lässt mich los. Darauf bin ich vorbereitet, komme federnd auf und drehe mich blitzschnell um, denn Flutschie ist immer noch da. Und sein großer Bruder im Moment ungefährlich.
Flutschie hat sich zwischendurch eine Waffe besorgt, er hatte ja Zeit genug, die möglichen Verstecke abzuklappern. In den nicht ganz vollständigen Händen hält er eine Hellebarde.
Die sind ja echt witzig hier. Eine mittelalterliche Waffe bei diesem Wettbewerb, bei dem nicht getötet werden darf? Da muss man mit diesem Ding schon gut umgehen können, um keine tödlichen Verletzungen zuzufügen.
Ich erinnere mich an mein Waffentraining im Dojo und weiche mit einer Drehbewegung der zustoßenden Lanze aus, Der Schwung trägt Flutschie vorwärts. Ich lasse Show mal Show sein, springe aus meiner Drehbewegung hoch und treffe mit dem Fuß seine Schläfe. Hellebarde und Flutschie landen beide auf dem Boden und rühren sich nicht mehr. Ich hoffe, ich habe die Stabilität seines Schädels nicht überschätzt, töten wollte ich ihn nicht.
Ich wende mich wieder dem Stiernacken zu.
Er richtet sich gerade auf. Sein nackter Oberkörper ist von Schweiß und Blut bedeckt, sieht irgendwie gruselig aus. Vor allem mit seiner armlosen linken Schulter. Das Blut spritzt aber nicht mehr. Eigentlich dürfte er gar nicht mehr stehen können.
„Hallo? Leg dich doch endlich hin. Du bist ja echt masochistisch veranlagt!“
Statt einer Antwort stürmt er auf mich zu. Dafür, dass er kaum noch Blut haben dürfte, erstaunlich schnell sogar. Ich warte auf ihn. Mir reicht es jetzt. Kurz, bevor er mich erreicht, schwinge ich den linken Fuß hoch, genau zwischen seine Beine.
Das stoppt selbst einen wie ihn.
Mit hervorquellenden Augen sinkt er auf die Knie, auf denen er einige Sekunden verweilt. Schließlich macht er die Augen zu und fällt endlich um.
Es ist vollkommen still.
Ich trete erst zum Muskelmonster und prüfe seinen Puls, dann zu Flutschie. Beide sind noch am Leben, Glück gehabt.
Dann blicke ich hoch zur Tribüne, auf der sich Baro befindet.
„Habe ich gewonnen?“
„Bewegen sich die beiden?“, fragt Soima. Bescheuerte Frage.
„Offensichtlich nicht!“
„Sind sie tot?“
„Nein!!“
„Dann hast du gewonnen! Komm hoch!“
Unter den Jubelrufen des anscheinend etwas wankelmütigen Publikums verlasse ich die Arena und begebe mich wieder nach oben, wo ich von einem lachenden Baro empfangen werde. Cou reicht mir ein Glas mit irgendeiner alkoholischen Flüssigkeit darin. Geschmacklich wie Scotch, aber gepanscht und ausgewürgt. Egal.
Die drei aus dem ursprünglichen Team wirken etwas eingeschüchtert. Vielleicht interpretiere ich das aber auch nur falsch. Ist eigentlich ebenfalls egal.
„Du hast mit den beiden nur gespielt, oder?“, erkundigt sich Maroin. „Ich denke, du hättest sie sofort am Ende erledigen können.“
„Dem zahlenden Publikum steht eine gute Show zu“, erwidere ich und setze mich ihm gegenüber auf eine Couch.
„Die Show kann aber auch mal anders ausgehen“, bemerkt Cou.
Ich zucke die Achseln.
„Leute, habt ihr gerade nicht zugesehen?“ Maroin schüttelt den Kopf. Er ist der Jüngste des Quartetts und vermutlich derjenige mit der besten Nahkampfausbildung. Er sieht mit seinen schulterlangen, dunkelblonden Haaren gar nicht mal schlecht aus. In meinen wilden Jahren hätte ich alles drangesetzt, ihn wenigstens einmal zu ficken. Dass er schwul ist, hätte mich nur zusätzlich motiviert.
Wenn ich ehrlich bin, verhalte ich mich, seitdem ich in dieser Welt bin, fast so idiotisch wie damals. Trotzdem werde ich diesen Jungen nicht verführen. Nein, nein, nein.
„Was sollen wir gesehen haben?“, fragt Cou. „Fiona hat die beiden vorgeführt, aber es gab Momente, die waren kritisch, da hätte das Ganze kippen können.“
„Echt jetzt?“ Ich mustere ihn nachdenklich, während ich mit meinem Glas spiele. „Meine Show war wohl wirklich überzeugend. Ich kann dir versichern, es gab keinen einzigen kritischen Moment. Keinen. Die beiden hatten zu keinem Zeitpunkt auch nur den Hauch einer Chance, nicht einmal, wenn sie beide doppelt gewesen wären.“
„Du hast es nicht nötig, so anzugeben. Wir haben ja gesehen, was du kannst.“
„Nein, habt ihr nicht.“
„Davon gehe ich auch aus“, mischt sich Maroin wieder ein. „So wie sie die Axt aufgefangen hat … Dazu gehören mehr als nur Reflexe.“
„Stimmt.“ Ich proste ihm zu. „Mich interessiert, ob ich heute noch einen Auftritt habe.“
„Das kommt darauf an, wie lange die anderen brauchen“, antwortet Baro. „Höchstwahrscheinlich aber erst morgen wieder.“
Wir blicken jetzt auf einen Mann, der auf die Tribüne kommt. Er ist Baros Buchmacher, das weiß ich bereits. Er grinst mich an.
„Die Wetten stehen gut, was zwar unseren Verdienst schmälert, aber! Da niemand außer uns beim ersten Kampf auf dich gewettet hat, haben wir bereits mehr eingenommen als sonst während des ganzen Wettbewerbs!“
„Das ist doch mal eine gute Nachricht!“, ruft Baro. „Auf Fiona!“
Alle rufen meinen Namen und heben die Gläser. Ich hebe mein Glas auch, dann schütte ich das kaum trinkbare Zeug hinunter.
Ich glaube, es wird höchste Zeit, intensiv darüber nachzudenken, wie ich Katharina finde.
„Für dich war es sicher langweilig?“
Ich denke über die Frage nach, während ich hinter Baro die Treppe hinunter gehe. War es das? Es ist viel Blut geflossen, es sind etliche Knochen gebrochen worden, und nur wenige haben die Arena nicht als Krüppel verlassen. Eigentlich müsste ich darüber empört sein, mich aufregen, entrüsten, wütend beschließen, dem ein Ende zu bereiten.
Aber nichts von dem ist der Fall. Mal ganz abgesehen davon, dass zwei der Krüppel auf mein Konto gehen. Habe ich mich wirklich so verändert? Wodurch? Oder hat es damit zu tun, dass ich einfach keine Kriegerin mehr bin? Die Götter haben mit dem Löschen meines Universums im Grunde genommen jeden Anspruch auf Moral ebenfalls gelöscht. Und warum habe ich dann Marbutan beschützt? Wegen Kian? Askan? Siana? Hätte ich genauso gehandelt im Vollbesitz meiner Erinnerungen?
Ich glaube, dass ja. Aber ganz sicher kann ich mir dessen nicht sein.
„Fiona?“
Baro sieht mich fragend an. Und nicht nur er.
„Äh … Es tut mir leid, ich musste gerade über etwas nachdenken. Doch, irgendwie schon. Brechende Knochen sind nur interessant, wenn ich die Ursache bin.“
Baro lacht auf. „Diese Antwort habe ich von dir erwartet! Du gefällst mir wirklich! Kommt, wir feiern!“
Niemand erhebt Widerspruch, also ist unser nächstes Ziel die dritte Kreo. Der