Ben nickt den Polizisten zu, die sofort losgehen.
Ich blicke Martin an. „Ich brauche eine Liste der Beerdigungen heute und gestern.“
„Die habe ich im Büro.“
„Dann holen Sie sie bitte.“
Als auch er weg ist, sehe ich Ben an. „Da drinnen spuken einige noch herum, aber eben nicht in ihren Körpern. Ich halte es jedenfalls für immer wahrscheinlicher, dass unser Victor tatsächlich auferstanden ist.“
„Müsste er aber nicht völlig verwest sein?“
„Warum denn? Ist doch eh alles nur eine Illusion.“
„Ja, aber das bedeutet doch nicht, dass einer wieder einen vollständig wiederhergestellten Körper hat!“
„Ben, ich habe noch nie einen echten Geist gesehen, dafür aber viele andere Dinge, von denen ich früher gedacht habe, sie wären Ausgeburten von Fantasyautoren. Mich kann nichts mehr erschüttern.“
„Gut zu wissen. Und jetzt?“
Ich nehme einen letzten Zug, dann drücke ich die Zigarette aus und werfe sie fort.
„Das habe ich nicht gesehen.“
„Was denn? - Komm, wir laufen mal über den Friedhof, vielleicht begegnen wir ihm. Erzähl mir was über ihn.“
„Tja, er war das, was man einen Pechvogel nennen könnte. Er starb am 3. September 2005 bei einer Massenkarambolage aufgrund des Nebels, der an dem Tag die ganze Stadt eingehüllt hat. Am Tag zuvor hatte er geheiratet.“
„Autsch.“
„Seine Frau, also seine Witwe, die heißt Victoria, geborene Johnson.“
„Wo wohnt die? In Skyline?“
„Keine Ahnung, kann ich aber herausfinden, wenn es wichtig ist.“
„Vielleicht. Kommt darauf … dein Handy.“
Ben nickt und nimmt den Anruf an. Er hört interessiert zu, dann sagt er: „Wir kommen“ und legt auf.
„Was ist los?“
„In einem der Häuser wurde eingebrochen. Gestohlen wurde nur Kleidung. Ein Jogginganzug für Männer, Schuhe und etwas Geld. Der Dieb hat aber das Portemonnaie, Papiere, Kreditkarte, alles dagelassen, nur etwa 20 Dollar mitgenommen.“
„Reicht für ein Taxi“, murmele ich.
„Wie, was?“
„Reicht für eine Taxifahrt innerhalb von Skyline. Finde mal heraus, wo diese Victoria wohnt!“
Während Ben noch telefoniert, erreichen wir das Haus neben dem Friedhof, vor dem die beiden Polizisten herumstehen.
„Langsam kommt mir das Ganze doch etwas seltsam vor“, sagt jener, der vorhin die Masken ins Spiel gebracht hat. „Vielleicht wollte jemand jemandem einen Streich spielen und hat ihm die Kleidung geklaut.“
„Auf dem Friedhof?“, frage ich. „Haben Sie noch mehr unwahrscheinliche Vorschläge?“
„Jedenfalls wahrscheinlicher als Spukgestalten.“
Martin kommt mit einem Blatt Papier angelaufen und Ben ist fertig mit dem Telefonieren. Ich werfe pflichtbewusst einen Blick auf die Liste mit den Beerdigungen, dann blicke ich Ben fragend an.
Er nickt und sagt zu den Polizisten: „Ihr macht ein Protokoll und ich fahre mit Fiona zu Victoria Burton.“
„Und was mache ich?“, fragt Martin.
„Einen Rundgang über den Friedhof, vielleicht haben wir was Wichtiges übersehen“, antworte ich ihm.
Ben kann sich beherrschen, bis er im Auto sitzt, dann kriegt er einen Lachkrampf. Ich steige in mein eigenes Auto, zünde mir eine Zigarette an und warte. Als Ben endlich losfährt, folge ich ihm.
Victoria Burton wohnt in einer Villa, die mich eher an einen Bunker erinnert, der in einen Hügel reingebaut wurde. Wir parken vor der Doppelgarage und schlendern zum verglasten Hauseingang in der verglasten Fassade.
Sie öffnet uns in einem bodenlangen, gelben Kleid, das bis zum Bauchnabel ausgeschnitten ist. Irgendwie macht sie den Eindruck, als hätte sie jemand anderes erwartet. Sie sieht uns fragend an.
„Guten Abend“, sagt Ben und zeigt seinen Ausweis. „Ich bin Ben Norris, das hier ist Fiona. Wir sind wegen Ihres Mannes hier.“
„Wegen meines Mannes? Ich bin Witwe.“
„Das wissen wir“, erwidert Ben nickend. „Dürfen wir hereinkommen?“
Nach kurzem Zögern nickt sie und tritt zur Seite. Sie führt uns in das große, helle Wohnzimmer. Mir fällt ein Bild auf dem Kaminsims auf, das sie mit einem jungen, gutaussehenden Mann zeigt. Hinter ihnen der Eiffelturm.
„Ist das Victor?“, erkundige ich mich.
„Ja, das ist Victor. Und wer waren Sie nochmal?“
„Mein Name ist Fiona Flame.“
„Aha. Sie haben mir gar nicht Ihren Ausweis gezeigt.“
„Ich bin keine Polizistin, Victoria. Ich helfe dem Lieutenant in dieser Angelegenheit.“
„In welcher Angelegenheit?“ Sie blickt von mir zu Ben und zurück.
„Mrs Burton, Ihr Mann ist aus der Gruft verschwunden“, erklärt Ben feinfühlig. Ich habe große Lust, ihm einen Tritt in den Hintern zu verpassen.
„Mein Mann verschwunden? Aus der Gruft?“ Sie starrt ihn aus großen Augen an. „Sie meinen, er wurde … gestohlen?“
„Nun, das wissen wir nicht so genau. Der Friedhofswärter ist auf dem Friedhof einem nackten Mann begegnet, der aussah wie Ihr Mann.“
Sie starrt ihn immer noch an, aber ich sehe ihr an, sie wird gleich explodieren.
„Sind Sie verrückt?! Wenn das ein Witz sein soll, ist das ein verdammt schlechter! Wo ist die versteckte Kamera?! Wer zum Teufel seid ihr?!“
Ich fange sie ab, als sie auf Ben losgeht und zerre sie auf die Couch. Dabei werfe ich Ben wütende Blicke zu.
„Mrs. Burton! Mrs. Burton, sehen Sie mich an!“ Als sie stattdessen versucht, auf mich einzuschlagen, packe ich ihre Handgelenke und drücke so fest zu, dass sie vor Schmerz aufschreit. Und sie sieht mich endlich an. „Mrs. Burton, ich weiß, wie verrückt das klingt. Jemand, der aussieht wie Ihr Mann vor seinem Tod ausgesehen hat, ist nackt auf dem Friedhof rumgerannt, ist dann in einem Haus daneben eingebrochen, hat Kleidung und 20 Dollar gestohlen und ist seitdem verschwunden. Ich glaube, dass er herkommen wird.“
„Aber warum?“
Ich lasse testweise ihre Handgelenke los. Sie bleibt wie erstarrt in derselben Position.
„Nun, ich kann nicht ausschließen, dass es Ihr Mann ist und Sie besuchen will.“
„Er ist tot! Seit zwei Jahren!“
„Das weiß ich.“
Sie sieht mich an, als würde sie mich zum ersten Mal wahrnehmen, und sagt: „Ich kenne Sie. Ich hab Sie schon mal gesehen. Sind Sie nicht die Wahnsinnige, die nackt auf dem Flughafen rumgerannt ist?“
„Sie wurde dazu gezwungen“, erwidert Ben.
„Schon gut, Ben. - Mrs. Burton, mir ist klar, wie absurd das für Sie klingen mag. Für gewöhnlich vermeide ich es, das zu tun, was ich jetzt tun werde.“
„Nein!“, sagt Ben.
Ich höre nicht auf ihn, sondern packe mit der linken Hand meinen ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand und knicke ihn ruckartig nach hinten. Es knackt laut und vernehmlich. Der Schmerz ist die Hölle, aber ich bin ihn gewohnt und presse nur aufzischend die Zähne zusammen.
Victoria