Frühling auf Huntington Castle. Imelda Arran . Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Imelda Arran
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783937013336
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Kleid, mit einer gepuderten Perücke an einer Tafel gesessen hatte. Damals hatte sie sich schrecklich darüber gegrämt, dass ihr Schönheitspflästerchen nicht halten wollte.Wie dumm und lächerlich war sie gewesen!

      Als sie beide ihren ersten Hunger gestillt hatten, bemerkte Xavier ihre bedrückte Stimmung.

      „Kommt, Mademoiselle la Duchesse. Kopf hoch! Erzählt mir mehr von Euren Verwandten in England.“

      Wieder fragte er sie ganz genau nach allen Familienverhältnissen, wie sie mit wem verwandt war und richtete ihre Gedanken damit auf schöne Zeiten, in denen ihre Welt noch in Ordnung gewesen war.

      „Und Euer Onkel Charles? Wie kam es, dass er auch nach Frankreich kam? Wenn ich Euch richtig verstanden habe, stammt er wie Eure Mutter aus England, nicht wahr?“

      „Das ist richtig. Bei der Hochzeit meiner Eltern hat mein Onkel meine Tante Odile kennen gelernt. Bald darauf gab es wieder eine Hochzeit, und mein Onkel blieb hier. So kommt es, dass von den drei Geschwistern nur noch mein Onkel Robert, der Earl of Huntingdon, in England lebt.“

      „Aber Euer Onkel Charles hätte seine Gemahlin doch auch nach England bringen können?“

      „Onkel Charles ist der jüngste Sohn, und damit nicht erbberechtigt. Das Schloss, die Ländereien und das meiste Geld hat der älteste Bruder Robert bekommen. Tante Odile war die einzige Tochter ihrer Eltern und hat alles geerbt.“

      „Das kam Eurem Onkel Charles sehr gelegen.“ Sie überhörte den leisen Spott in seiner Stimme.

      „Ja, natürlich. Und zu Onkel Robert - also dem Earl of Huntigton gehen wir jetzt, nicht wahr?“

      „Ja, Mademoiselle la Duchesse, das tun wir. Wisst Ihr eigentlich, wo Huntington liegt? Ich wüsste nicht, wie ich das finden soll.“

      „Huntigton Castle, der Stammsitz der Familie, liegt im Nordosten von England. Die Schiffe legen in Dover an, wie mir meine Mutter erzählte; von Dover nach Huntington ist man mit einer Kutsche etwa vier Tage unterwegs. -Vorausgesetzt man hat keine Wartezeiten, muss keine Umwege fahren oder was sonst noch an Verzögerungen entstehen kann.“ Madeleine klang ganz weltmännisch, als habe sie diese Reise selbst schon oft gemacht.

      „Dann könnten wir von Dover aus in spätestens einer Woche in Huntington sein.“

      „Wie viel müssen wir für die Kutsche bezahlen? Eine so lange Reise wird nicht billig sein.“

      „Ach,“ sagte Madeleine leichthin, „meine Mutter sagte immer, das sei ein lächerlicher Betrag, den man in England für die Postkutsche bezahlt. Sogar Bürgerliche fahren damit.“ Bei diesen Worten hob sie ihre Schultern, um die Nichtigkeit der Fahrtkosten zu unterstreichen. Xavier zog es vor, dies nicht zu kommentieren, sondern vermutete: „Dann werden wir wohl von Dover bis Huntington höchstens eine Woche brauchen.“

      „Ja, das denke ich. Mein Onkel und meine Tante werden zwar sehr überrascht sein, mich zu sehen, aber ich bin sicher, dass sie mich bei sich aufnehmen werden, wenn ich ihnen alles erzähle.“

      „Wäre es nicht sinnvoll, ihnen einen Brief zu schicken und sie auf Euer Kommen vorzubereiten?“ schlug Xavier vor.

      „Wir werden mit der Postkutsche reisen. Da wird ein Brief nicht schneller da sein als wir selbst“, überlegte Madeleine. Dies schien auch Xavier nachdenklich zu stimmen. Nach einer Weile fragte er: „Und Euer Onkel Robert, hat er Söhne?“

      „Nein, er hat leider gar keine Kinder.“

      „Das muss sehr schrecklich sein für einen so hochgestellten Mann, wenn er niemanden hat, an den er all das, was er geschaffen und von seinen Vorvätern geerbt hat, weitergeben kann.“

      „Nun, zunächst wären meine Mutter und mein Onkel an der Reihe gewesen, dann mein Bruder.“

      „Euer Bruder?“ Hier schien Xavier sehr hellhörig zu werden.

      „Ja, natürlich mein Bruder. Aber da er jetzt auch nicht mehr da ist, weiß ich nicht, an wen der ganze Besitz in England fallen wird, wenn mein Onkel nicht mehr lebt.“

      „Ist es denn ein großer Besitz?“

      „Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich nehme schon an, dass mein Onkel einen sehr großen Besitz hat. Meine Mutter hat immer wieder von verschiedenen Häusern, Landsitzen und Gütern erzählt, um die sich die Familie zu kümmern hatte. - Es gibt dort sicher Arbeit für Sie, Xavier. Ich werde meinem Onkel erzählen, wie tüchtig Sie sind, dann wird er Sie ganz bestimmt einstellen, obwohl Sie noch so jung sind. Und außerdem haben Sie mir das Leben gerettet.“ Madeleine war ganz begeistert von ihrer eigenen Idee und freute sich, auch etwas für Xavier tun zu können, doch Xavier schien nicht mehr zuzuhören.

      „Xavier?“

      „Ja?“

      „Sie schweigen. Wären Sie denn nicht glücklich, für meinen Onkel zu arbeiten?“

      „Aber ja, ja, natürlich wäre ich sehr glücklich. Aber ich weiß nicht, ob mein Englisch gut genug ist.“

      „Dann werde ich Ihnen ganz intensiv Unterricht geben, und bis wir dort sind, sprechen Sie perfekt. Genau wie mein Bruder und ich.Was halten Sie davon?“

      „Ja, das wäre großartig!“

      Xavier hatte im Zimmer der alten Duchesse die Briefe gefunden, auch etwas Geld und Schmuck in dem Geheimfach, das Madeleine ihm beschrieben hatte. Das Geld würde sie nach England bringen, den Schmuck konnten sie dort verkaufen, um den Rest des Weges zu ihren Verwandten mit leidlicher Bequemlichkeit zurückzulegen. Xavier hatte alles so wohl durchdacht, und Madeleine war ihm dankbar, dass er sie mit Gesprächen über ihre Verwandten in England von ihrem Schmerz ablenkte. Er ließ sie alles erzählen, was sie wusste. Gemeinsam lasen sie eines abends bei einer Rast die Briefe, die der Onkel auf Englisch geschrieben hatte. Das war kein leichtes Unterfangen, denn im Schein ihres kleinen Lagerfeuers war die Schrift schwer zu erkennen, und der Onkel schrieb in sehr eigenwilligen Zügen. Madeleine erklärte Xavier Dinge, die er nicht verstand, weil er die beteiligten Personen nicht kannte oder ihr Onkel Dinge erwähnte, die die Mutter in vorherigen Briefen geschrieben haben musste.

      „Wieso tun Sie das?“ fragte Madeleine einmal unvermittelt.

      „Was?“ In Xaviers Frage lag ein leiser Schrecken, den er jedoch schnell überspielte, indem er sich von ihr abwandte und frische Äste aufs Feuer warf.

      „Mich retten, mich trösten, in Sicherheit bringen?“

      „Das Schicksal hat uns zusammengeworfen. Ihr seid ohne Familie, genau wie ich. Mein Vater hat Eurem Vater gedient, davor hat sein Vater Eurem Großvater gedient. Ich wüsste gar nichts anderes zu tun, als nun Euch zu dienen. Außer Euch habe ich niemanden mehr, und Ihr habt niemanden mehr außer mir. Da ist es doch nur natürlich, dass wir uns zusammentun, nicht wahr? Aber nun sollten wir uns nicht weiter mit dieser Trauer befassen“, sagte er mit einer wegwerfenden Geste. „Erzählt mir lieber mehr von Eurer Familie. Das lenkt uns beide ab. In England liegt unser beider Zukunft. Darauf sollten wir uns konzentrieren. - Für heute ist es genug. Wir sollten das Feuer löschen und schlafen.“ Er warf Erde und Gras, das schon feucht vom Nachttau war, auf das Feuer, bis nur noch winzige Funken glommen. Madeleine wickelte sich in ihre Jacke und schaute zu, wie die Funken ganz und gar verloschen. Nicht mehr lange und sie würde wieder in einem richtigen Bett schlafen. Sie konnte es kaum erwarten, endlich nach England zu kommen.

      Madeleine hatte Freude daran, Xavier Englisch beizubringen. Er war ein gelehriger Schüler, und verwundert stellte sie fest, dass er schon lange sehr aufmerksam ihrem Unterricht gefolgt sein musste, den die Mutter ihr und ihrem Bruder in Englisch gegeben hatte. Sein Akzent war deutlich stärker als ihr eigener, aber mit etwas gutem Willen konnte man verstehen, was er sagte. Madeleine hoffte sehr, dass die Engländer - vor allem ihr Onkel und die Tante - guten Willens waren, damit Xavier sich schnell einleben würde. Bald konnten sie sich fließend in Englisch unterhalten, was sie aber nur taten, solange sie alleine waren. Sobald sie in Harfleur angelangt waren, sprachen sie wieder französisch.

      „Ich