Dresden/Hannover im April 2019
Einleitung
von Michael Bohne
Klopfen – was ist das denn?
Mit dem Begriff Klopfen wird eine emotionale Selbsthilfetechnik bezeichnet, bei der man sich selbst, während man akut ein unangenehmes Gefühl wie z. B. Angst hat, auf verschiedenen Körperpunkten beklopft. Dies führt zu einer direkten und prompten Veränderung der neuronalen Verarbeitung von Emotionen im Gehirn, und die negativen Gefühle, wie eben z. B. Ängste, können sich erstaunlich leicht und schnell reduzieren oder gar auflösen. Darüber hinaus arbeiten wir mit Affirmationen, die die Selbstbeziehung verbessern sollen. Dies hat einen direkten selbstwertstärkenden Effekt. Das gesamte Prozedere sieht bisweilen etwas komisch aus. Das sollte einen aber nicht davon abhalten, es auszuprobieren, denn wenn wir Menschen gerade von einer Angst oder einem anderen unangenehmen Gefühl überflutet werden, sehen wir ja auch irgendwie komisch aus.
Die Klopftechniken haben historisch gesehen einen langen Weg hinter sich. Das Klopfen soll schon bei den Shaolin-Mönchen im alten China dazu gedient haben, die mentale Fitness zu stärken. In der Medizin war es vermutlich George Goodheart, der als Erster entdeckte, dass das Klopfen hilfreich und wirksam ist, wenn es darum geht, Patienten von Ängsten zu befreien. Von ihm ausgehend setzte das Klopfen in verschiedenen Techniken seine Reise fort. Es sind da Namen zu nennen wie Roger Callahan (Thought Field Therapy – TFT), John Diamond, Gary Craig (Emotional Freedom Techniques – EFT) und Fred Gallo (Energy Diagnostic & Treatment Methods – EDxTM), von dem ich die Klopftechniken Anfang der 2000er-Jahre kennengelernt hatte.
An dieser Stelle sei allen »Klopfvorfahren« herzlich gedankt. Sie haben sich alle nicht von der fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung abhalten lassen, hatten aber oft selbst nicht die öffentliche Anerkennung, die nötig ist, um eine neue Methode zu einer wirklichen Innovation werden zu lassen und sie bekanntzumachen – wahrscheinlich war die Zeit einfach noch nicht reif.
In Deutschland hat es eine Methode schwer, wirklich anerkannt zu werden, wenn sie zu nah an der Esoterik ist. Unsere Wissenschaft ist nun mal konservativ und bisweilen nicht wirklich offen für Ungewöhnliches und Neues. Somit müssen sich ungewöhnliche Ansätze eben bisweilen zunächst fernab der Universitäten entwickeln.
Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie war mir bei aller Begeisterung für das Klopfen aufgefallen, dass diesen Techniken einerseits einiges fehlte und sie anderseits manche Elemente enthielten, die mir im Hinblick auf die Anerkennung, die ihnen eigentlich zusteht, weniger hilfreich erschienen. In der Folgezeit habe ich sie zur Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie (PEP) weiterentwickelt – u. a. mit dem Ziel, sie wissenschaftlich besser untersuchbar zu machen, aber auch, um ihre Wirkung noch zu steigern. Meine Praxisforschung setzte vor allem bei den 10–20 % der Fälle an, bei denen das einfache Klopfen nicht wirkte. Die Gründe dafür habe ich dann als »Big Five«-Lösungsblockaden beschrieben. Sie erklären einiges über die Hartnäckigkeit unserer Probleme und werden in den einzelnen Kapiteln sowie im Anhang zu diesem Buch beschrieben. Mehr zur Historie, zu den Hintergründen, den Entwicklungslinien und zur detaillierten Beschreibung der PEP-Technik lässt sich in meinen anderen Veröffentlichungen im Carl-Auer Verlag nachlesen.
Klopfen mit Kindern
In diesem Buch geht es darum, wie ein Bündel verschiedener hilfreicher Techniken Kindern und deren Eltern auch als Selbsthilfetechnik dazu dienen kann, die Untiefen des Alltags etwas besser zu umschiffen. Das Faszinierende an den Klopftechniken ist ja vor allem, dass man sie selbst anwenden kann, um Ängste, Stress oder sonstiges emotionales und kognitives Unbehagen zu überwinden.
Das Tolle am Klopfen ist auch, dass es zunächst sehr unspektakulär und nicht so bedeutungsschwer wie manche alten Formen der Psychotherapie daherkommt. Mir haben ärztliche Kollegen immer wieder psychotherapiekritische oder -ängstliche Patienten bzw. Klienten geschickt – mit dem Hinweis: »Gehen Sie mal zum Bohne, der ist zwar Psychiater und Psychotherapeut, aber der redet nicht lange um den heißen Brei herum, sondern bei dem wird sofort geklopft.« Das ist natürlich eine komplette Fehleinschätzung meiner Arbeitsweise gewesen, war aber für viele Klienten sehr hilfreich. Das Klopfen fokussiert nämlich darauf, dass man selbst etwas machen kann, und das im Bereich der Psychologie, in dem die meisten Menschen gar nicht wissen, wie unsere Probleme zustande kommen, geschweige denn, wie sie sich lösen lassen.
Inzwischen habe ich seit über 18 Jahren gute Erfahrungen mit dem Klopfen und später mit PEP gemacht – sowohl in der Praxis wie auch in der Fortbildung. Das Faszinierende am Klopfen mit Kindern ist für mich die Beobachtung, dass Kinder diese Selbsthilfestrategie ziemlich schnell zu ihrem eigenen Ding machen und sie dann in ganz anderen Kontexten plötzlich selbst ganz eigenständig anwenden. Dadurch erhöhen sie ihre Selbstwirksamkeit deutlich, was an sich schon angstmindernd und resilienzstärkend ist. Um diese Beobachtung zu veranschaulichen, habe ich die Fallgeschichte eines Mädchens herausgesucht, welches das Klopfen gar nicht in einer Behandlung kennengelernt hat, sondern von ihren Eltern, zwei befreundeten Kollegen, die bei mir einen Fortbildungskurs in PEP besucht haben.1
Die kleine Finnja lernte das Klopfen erstmals mit sechs Jahren kennen – in einer Situation, in der sie abends allein im Bett lag und Angst bekam. Sie rief daraufhin ihren Vater, der sofort zu ihr kam. Als sie ihm ihre Ängste schilderte, schlug er vor, dass man auch so einen tollen Trick anwenden könnte, um die Ängste zu verjagen. Finnja selbst könnte das sogar tun, indem sie bestimmte Stellen an den Händen, dem Kopf und dem Oberkörper beklopft, und – schwupp – bekommt die Angst selbst Angst und haut ab. Daraufhin erwiderte die kleine Finnja: »Nein, Papa, du sollst hierbleiben.« Finnja wollte also keine schnelle Hilfe zur Selbsthilfe, sondern Beziehung und Bonding, also die Nähe zum Vater. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, wie wichtig es auch bei Kindern ist, einen genauen Auftrag zu bekommen, welche Hilfe erwünscht ist. Wenn ein Kind Nähe sucht, dann ist es in diesem Moment eben nicht unbedingt wirklich offen für Selbsthilfe. Aber manchmal wollen Kinder ja gerade keine allzu große Nähe, oder es ist grad niemand da, der einen trösten oder einem helfen könnte, und da kann die Möglichkeit, sich alleine und selbst zu beklopfen, eine große Hilfe sein, wie z. B. in folgender Situation:
Finnja, mittlerweile sieben Jahre alt, war mit ihren Eltern abends in einem italienischen Restaurant, als der Vater bemerkte, dass sie, anstatt in die Speisekarte zu schauen, sich selbst beklopfte. Als er sie fragte, was denn sei, äußerste sie: »Papa, guck weg, nicht jetzt bitte«, und klopfte (öffentlich) weiter. Nach der Bestellung fragte er sie nochmals, und sie äußerte dann, dass sie sich über sich selbst geärgert hatte. Finnja hatte das Klopfen also gegen ihren Ärger auf sich selbst genutzt, was ihr die Eltern so dezidiert gar nicht gezeigt hatten. Bislang war es ja immer nur um Ängste gegangen, wenn geklopft wurde.
Zwei Jahre später gab es eine Situation in einem ausländischen Urlaubsort, wo Finnja ganz allein vom Seminarraum, in dem die Eltern einen Kurs besuchten, durch das Dorf zur Unterkunft zurückging. Finnjas Vater saß schon auf der Terrasse, da er vorausgegangen war, und sah nun, dass Finnja ohne jede Begleitung in Richtung Unterkunft auf ihn zukam. Sie war also ganz allein auch an den bellenden Windhunden vorbeigegangen. Finnja kam ganz stolz auf die Terrasse und erzählte, dass sie ganz allein und an den Hunden vorbei vom Seminarraum zur Unterkunft gegangen sei. Als der Vater sie fragte, ob sie denn gar keine Angst gehabt habe, äußerte sie: »Doch, aber ich habe geklopft, und ich habe mir gesagt: Finnja, sei mutig.« Das habe ihr geholfen. Sie war ganz allein darauf gekommen zu klopfen und hatte sich dann noch einer stärkenden Affirmation bedient, was ihr zuvor weder Mutter noch Vater beigebracht hatten. Finnja hatte also den nächsten Transfer gemacht.
Kurze Zeit später sagte sie während einer Autofahrt etwas verträumt zu ihrer Mutter: »Du,