„O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt werden!“ brüllte der Hauptmann. „Warte, Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad kommt ihr; oder die Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. Warte, du Schmalz von Gera, dein Fett soll all werden, wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde! Hunde!“
„Gebt Raum, Hauptmann!“ schrie ein riesenhafter Kerl, genannt Valentin Weisser von Roseneck, dem Führer den Büchsenkolben vor die Brust setzend. „Ihr seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! Wollt Ihr uns nicht etwa über das Wasser, über den Rhein, von des Reiches Boden führen? He, sprecht!“
„Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht vor Bommel! nicht vor Bommel!“ schrie es von allen Seiten, und weit über das Feld durch alle Tausende wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den Kolben von seiner Brust zur Seite.
„Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,“ schrie er.
„Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!“ brüllte der Schütz wieder, die brennende Lunte über dem Haupte schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe, sie aufzuschrauben, das Feuerrohr lag auf der Gabel — im nächsten Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des Todes gewesen, wenn nicht plötzlich zwischen dem Bedrohten und dem Drohenden ein Reiter im vollen Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer den Büchsenlauf in die Höhe geschlagen hätte, daß der Schuß in die Luft ging.
„Der Junker! der Junker!“ schrie es auf allen Seiten. „Der Junker zurück! sprecht, sprecht, was ist’s? was sagt der Graf? Haben sie uns verkauft an die holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach Bommel, nicht vor Bommel! nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! In die Spieße der von Hollach!“
„Ja, schreit nur, bis ihr berstet!“ zischte blau vor Grimm der Hauptmann durch die zusammengebissenen Zähne und ballte die Hände, daß die Nägel tief ins Fleisch drangen. „Schreit nur — es ist noch nicht im Topf, darin es gekocht wird — Christoph von Denow, sprecht zu den Meutmachern! sagt den räudigen Hunden Eure Botschaft!“
Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, und alle die wilden Gesichter im Fackelschein ringsumher wandten sich ihm zu.
„Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von Hohenlohe, unser gnädiger Feldhauptmann —“
„Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, dem Judas!“ schrien einige. „Stille! Ruhe! Hört ihn!“ riefen die andern und gewannen die Oberhand, daß der Reiter fortfahren konnte.
„Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen Regiments zu Roß und zu Fuß vermelden, daß ihr Begehren und Gebaren unehrlich und treulos sei, deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem Schaden gereiche —“
Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach den Redner, der erst nach langem Harren weiter rufen konnte.
„Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, Generalmarsch zu schlagen vor jeglichem Quartier und auszurücken in die Linien gen Rees, auf weitern Befehl! Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von Rethen.“
Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen Rosseslauf erscheinenden Führer, welcher den schriftlichen Befehl des Grafen mit sich führte; aber ebenfalls vergeblich durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. Atemlos, zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen Kreise der Hauptleute und Offiziere und der wenigen treugebliebenen Söldner. Der Junker aber befand sich, willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels der aufrührerischen Knechte, die von Mord und Blut sprachen, und bereits ihre Spieße senkten, ihre Feuergewehre richteten auf das Häuflein der Getreuen, welche einen Ring schlossen um die Führer und die geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, von Minute zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten all dieser drohenden Spieße, Schwerter und Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen, ausschlagenden, stampfenden Rossen und trunkenen Männern taucht jetzt für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich gebaut, aber trutzig und unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, gebräunt von Wind und Wetter, abgehärtet in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, ein klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, auf den krausen, wirren Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, — bekannt bei Führern, Knechten und Reisigen; zu Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: Anneke Mey von Stadtoldendorf, des braunschweigschen Regiments Marketenderin und Schenkin!
„Hab’ ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?“ fragte ganz kleinmütig der wilde Valentin Weisser, der eben das Feuergewehr gegen den Hauptmann hatte losgehen lassen. „Nimm dich in acht, daß sie dich nicht erdrücken, Engel-Anneke — stelle dich hinter mich, du wirst gleich dein blaues Wunder sehen.“
„Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,“ lachte das wildherzige Kind, „Ihr spielt ein hoch Spiel diese Nacht!“
Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über die hin und her wogenden Massen. —
„Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? Nicht vor Bommel! Ju — ho! ho! nicht vor Bommel! nicht übern Rhein! Fort mit den Hauptleuten, fort mit dem Grafen von Hollach!“
In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von Stimmen nach dem Junker — dem Christoph von Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über das Gesicht des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit auf einen Schutthaufen, wo sich bereits mehrere Soldatenweiber mit ihren Kindern und Habseligkeiten zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm hineinkreischten.
„Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich alle! Gottes Sohn — Franz! Franz!“
„Was macht der Junker? wo ist der Junker?“ rief Anneke Mey, eine Hand, welche ihr entgegengestreckt wurde, ergreifend.
„Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein — da — da — Jesus, sie werfen den Hauptmann Eberbach nieder, und mein Mann, Jesus, mein Mann!“ —
Die Augen der Armen wurden starr, mit einem Sprung war sie von der Höhe herab und stürzte sich mitten in das Getümmel; über den am Boden liegenden Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der Meutrer der Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt zusammen. Vergeblich hatte sich Christoph von Denow unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf stürzte jetzt das aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen und die Befehlshaber, Schüsse krachten hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide reißend trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. Christoph von Denow sah sie plötzlich an seiner Seite unter den Füßen der Kämpfenden; — noch ein Augenblick, und sie war verloren, noch ein Augenblick, und er hatte sie, fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich emporgezogen aufs Pferd; alles drehte sich um ihn her — „Mordio! Mordio!“ brüllte es auf allen Seiten — — Da — — urplötzlich — — blieben alle die zum Verbrechen gezückten und geschwungenen Waffen, wie durch ein Zauberwort aufgehalten in der Luft — jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen — Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos!
Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem donnerartigen Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot gefärbt. Alle Geschütze auf